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Kretschmer: "Jetzt ist die Zeit, Prioritäten zu setzen"

Sachsens alter und neuer CDU-Chef Michael Kretschmer schwört seine Partei auf harte Wahlkämpfe ein und setzt dabei auf den "gesunden Menschenverstand".

Von Annette Binninger & Gunnar Saft
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Ein guter Abgang gelingt Sachsens CDU-Chef auf dem Landesparteitag am Wochenende in Chemnitz:  Kam es im Vorfeld noch zu Kritik, gibt es für Michael Kretschmer am Ende  viel Beifall von den Delegierten
Ein guter Abgang gelingt Sachsens CDU-Chef auf dem Landesparteitag am Wochenende in Chemnitz: Kam es im Vorfeld noch zu Kritik, gibt es für Michael Kretschmer am Ende viel Beifall von den Delegierten © dpa

Die ersten Sätze am Mikrofon widmet Michael Kretschmer dem Wort Liebe. Das ist, so erklärt er stolz, auf seinen persönlichen Wunsch hin in das offizielle Motto des CDU-Parteitages in Chemnitz aufgenommen worden: „Ideen. Leistung. Liebe.“

Zwar begründet er dies vor allem damit, dass mehr Liebe für das eigene Land gebraucht werde, schiebt dann aber nach: „Und auch mehr Gemeinsamkeiten unter uns.“ Es klingt wie eine Botschaft direkt an die über 200 Delegierten im Saal.

Ein einfaches Heimspiel ist dieser Parteitag für Kretschmer tatsächlich nicht. Das war schon Tage zuvor spürbar. Es gibt nicht nur Ärger um seine personellen Vorschläge für Mandate und Parteiämter. Dem 48-Jährigen weht auch sonst ein schärferer Wind entgegen. Mit einer auf die Parteiseele zugeschnitten Rede hält er in der Chemnitzer Stadthalle dagegen. Verbale Hiebe gibt es dabei vor allem in Richtung Berlin. Technologie-Offenheit und Markt seien das bessere Konzept als Planwirtschaft und Regulierung, wettert Kretschmer los und beschreibt, wie gefährdet der Wirtschaftsstandort Deutschland angesichts einer verfehlten Energiepolitik mittlerweile ist. Dazu geht es gegen die Grünen. „Wir haben doch keine Gesetze gemacht, damit wir in jeden Lebensbereich der Menschen eingreifen. Wir wollen doch keine Volkserzieher sein.“ Auch die geplante Erhöhung des Bürgergeldes sowie die erneute Erhöhung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie nennt Kretschmer „Unfug“ und „Gift“. Einen weiteren Seitenhieb gibt es in puncto Finanzen. „Es muss jetzt aufhören, dass wir die Herausforderungen der Gegenwart ständig mit neuen Schulden lösen“, sagt er. „Jetzt ist die Zeit, Prioritäten zu setzen.“

Worauf diese Forderung zielt, macht er schnell klar. Viele Bürgerinnen und Bürger vermissten heutzutage den „gesunden Menschenverstand“. Genau dafür stehe aber die Sächsische Union, die mit einem christlichen Menschenbild Politik mache. „Willkommen sind hier alle Menschen, solange sie sich an unsere Werte, Gesetze und Regeln in unserem Grundgesetz halten.“ Kretschmer erinnert an den Begriff „Leitkultur“, den Friedrich Merz geprägt hat. Der sei richtig. „Es kann nicht jeder kommen, der will, sondern wir entscheiden, wer kommen darf.“ Und natürlich gebe es eine Obergrenze. Die richte sich nach der Zahl der Wohnungen, den Möglichkeiten der Kommunen und nach vorhandenen Plätzen in Kitas und Schulen. „Die Leute lassen sich nicht mehr verarschen. Die wollen eine Lösung haben“, appelliert er in den Beifall der Delegierten hinein.

Merz dankt ihm nur etwas später – von der Leinwand aus. In einer fünfminütigen Videobotschaft lobt der CDU-Bundesvorsitzende: „Du bist ein wirklicher Landesvater.“ Und der schwört seine Partei in Chemnitz auf schwere Wahlkämpfe ein. Außer der Landtagswahl seien zuvor im Juni die Kommunalwahlen extrem wichtig. Denn die kommunale Basis sei entscheidend. Die CDU müsse mit starken Kandidatinnen und Kandidaten und überall antreten. Zugleich verspricht Kretschmer, die Finanzhilfen für die Städte und Kreise zu überarbeiten, damit die „nicht unter Wasser gedrückt werden“. Sonst drohten den Menschen vor Ort „Ohnmachtserfahrungen“, die sich negativ für alle auswirken. Es gehe darum, das zu verteidigen, was die Sachsen aufgebaut haben: Wohlstand, Sicherheit und Demokratie. Dies werde durch Extremisten bedroht. Darum seien alle dazu aufgerufen, sich dem entgegenzustellen. „Wir brauchen eine klare Haltung und die Fähigkeit, den Extremisten entgegenzutreten.“ Erst wenn die Probleme gelöst werden, über die die Leute unzufrieden sind, werde sich auch die rechtsextreme AfD auflösen, sagt Kretschmer. Dann erklärt er noch, nach der Wahl gern auf die Grünen im Kabinett verzichten zu wollen. Der Applaus nach 50 Minuten Rede ist laut und lang.

Christiane Schenderlein hatte sich um den stellvertretenden CDU-Landesvorsitz beworben, fiel bei der Wahl aber durch.
Christiane Schenderlein hatte sich um den stellvertretenden CDU-Landesvorsitz beworben, fiel bei der Wahl aber durch. © Hendrik Schmidt/dpa

Der Parteitag revanchiert sich wenig später. Mit über 89 Prozent Zustimmung fährt der CDU-Landeschef bei seiner Wiederwahl ein überraschend gutes Ergebnis ein. Auch die meisten anderen Parteispitzen können sich über sehr gute Werte freuen. Einen Dämpfer erhält Kretschmer dennoch – bei einer anderen Personalie. So unterliegt die von ihm als neue Parteivize gewünschte Bundestagsabgeordnete Christiane Schenderlein der eilig aufgestellten Gegenkandidatin Sandra Gockel von der Frauen-Union. Und nicht nur das. Am Ende droht Kretschmers Favoritin sogar ein Scheitern bei den Wahlen zu den 20 Beisitzern im neuen CDU-Landesvorstand. Sie landet schließlich denkbar knapp auf dem letzten Abstimmungsplatz, der für den Einzug in dieses Gremium nötig ist. Für den CDU-Chef ein Hinweis, dass die eigene Partei längst noch nicht zufrieden ist.