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Was der Rechnungshof am Sozialministerium alles bemängelt

Sozialministerin Petra Köpping räumt Defizite bei der Vergabe von Fördergeld an Asylprojekte ein. Die Debatte ist noch nicht beendet: Für November plant der Rechnungshof einen Abschlussbericht.

Von Gunnar Saft & Karin Schlottmann
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Die 65-jährige SPD-Politikerin Petra Köpping ist seit Ende 2019 sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Davor war sie Gleichstellungs- und Integrationsministerin.
Die 65-jährige SPD-Politikerin Petra Köpping ist seit Ende 2019 sächsische Staatsministerin für Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt. Davor war sie Gleichstellungs- und Integrationsministerin. ©  dpa/Matthias Rietschel

Es war ein Paukenschlag, dessen Folgen bis heute nicht absehbar sind. Ende August wurden erstmals Details aus einem vorläufigen Prüfbericht bekannt, den der Landesrechnungshof zur Arbeit des sächsischen Sozialministeriums angefertigt hat. Im Visier der Prüfer steht dabei hauptsächlich die zwischen 2016 und 2019 erfolgte Vergabe von Fördergeldern in Millionenhöhe an Vereine und Verbände für Integrationsmaßnahmen von Ausländern.

Das Fazit des Berichts ist verheerend: Der Rechnungshof spricht von unzulässigen persönlichen Verflechtungen, korruptionsgefährdeten Strukturen und einem Missbrauch von öffentlichen Geldern. Das Sozialministerium befindet sich seitdem im Krisenmodus. Mit dem Verweis, dass man erkannte Fehler behoben hat, gelobte das Ministerium Besserung. Dennoch musste Staatssekretär Sebastian Vogel seinen Posten aufgeben – er wurde auf Bitten von Sozialministerin Petra Köpping (SPD) in den einstweiligen Ruhestand entlassen.

Ob das die einzige Konsequenz bleibt, muss abgewartet werden. So will der Rechnungshof demnächst dem Landtag seinen Abschlussbericht vorstellen. Sollten sich darin die meisten Kritikpunkte bestätigen, werden sich wohl weitere Verantwortliche erklären müssen. Die SZ schildert an ausgewählten Prüffällen, warum das so ist, und welche Vorwürfe noch im Raum stehen.

Verein der Russlanddeutschen profitiert von einer ministeriellen Kehrtwende

Äußerst kritisch sind die Einwände des Rechnungshofs gegen die Förderpraxis zugunsten der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR) e. V. Landesverband Sachsen. So wurde deren Antrag für die Förderung einer besseren Integration von Spätaussiedlern zunächst aus fachlicher Sicht nicht zugestimmt. Unterdessen, so die Prüfer, gab es Kontakte der Landsmannschaft auf politischer Ebene: unter anderem zum Büro von Frau Köpping, die damals noch Integrationsministerin im Sozialministerium war. Gratuliert wurde der Politikerin zu einem vorderen Platz auf der SPD-Landesliste und zu ihrem „berührenden Grußwort“ auf einer Gedenkveranstaltung des Vereins. Dann folgte die Bitte an die Ministerin, den Förderantrag persönlich zu unterstützen. Ähnliches wiederholte sich mit einem weiteren Schreiben.

Obwohl auch der Geschäftsbereich von Köpping den Förderantrag zuvor aus mehreren Gründen als nicht förderfähig einstufte, ging die Landsmannschaft nach der Ablehnung in Widerspruch. Und plötzlich wurde dieser vom Sozialministerium sogar unterstützt. Die zuständige Sächsische Aufbaubank bat man, das Widerspruchsverfahren nicht fortzuführen, „da nun unsere Hausspitze im Vorgehen involviert ist“.

Aus Sicht des Rechnungshofs völlig unverständlich erhielt die Landsmannschaft vom Ministerium konkrete Hinweise, mit welchen – eigentlich geheimen – Kriterien sie den Antrag besser begründen soll. Und das vom selben Referenten, der ihn zuvor als nicht förderfähig einstufte. Zudem tauchten verbale Argumente des nun umformulierten Antrags fast wortgleich in einem Interview auf, das Ministerin Köpping dem Mitteilungsblatt der Spätaussiedler gab. Der Prüfbericht wertet das als „gegenseitige politische Unterstützung“. Am Ende wird die Förderung trotz großer Bedenken der Aufbaubank auf Anweisung des Ministeriums genehmigt. Der Rechnungshof spricht von „schwerwiegenden“ Rechtsverstößen und fordert eine Prüfung, „ob die gewährte Zuwendung zurückgefordert werden kann“.

Vorwurf an Entscheider: sachfremde Kriterien und persönliche Befangenheit

Ähnliche Ungereimtheiten werden bei anderen Verfahren moniert. So hatte die Aufbaubank ebenfalls einen Förderantrag des Diakonischen Werkes Aue-Schwarzenberg abgelehnt. Das ging mit dem sachfremden Hinweis und der Bitte in Widerspruch, „unter Berücksichtigung der verschärften Situation nach der Kommunalwahl und der bevorstehenden Bürgermeisterwahl der Stadt Aue-Bad Schlema“ den Antrag nochmals zu prüfen. Nun kam es im Sozialministerium tatsächlich zu einer Neubewertung und zu der aus Sicht der Prüfer rechtlich nicht statthaften Anweisung an die Aufbaubank, den Antrag zu genehmigen.

Bei weiteren Förderverfahren lautet der Vorwurf an das Ministerium: willkürliches Anwenden des eigenen Rankingsystems sowie eine Ungleichbehandlung von Antragsstellern. Angeführt ist hier das Projekt der Känguru Kindertagesstätten Leipzig gGmbH, dessen Förderantrag abgelehnt wurde, obwohl der „zielgenau“, „fundiert“ und „konkret“ auf eine Unterstützung von Kindern mit Migrationshintergrund ausgerichtet war. Ein nahezu identisches Projekt des Ausländerrates Dresden e. V., bei dem das nicht bzw. nicht in dem Maße der Fall gewesen sei, wurde dagegen bewilligt. Im Bericht heißt es dazu: Der Rechnungshof „schließt nicht aus, dass eine Befangenheit vorlag, da der zuständige Abteilungsleiter im Sozialministerium einige Jahre Vorsitzender des Ausländerrates Dresden war und auch ein persönliches Kennen – auch aufgrund parteipolitischer Nähe und aufgrund direkter Auftragsverhältnisse mit der Vereinsvorsitzenden – vorliegt“.

Geld für SPD-nahe Arbeiterwohlfahrt trotz deren Millionenrücklagen

Im Fall der Arbeiterwohlfahrt Sachsen (AWO) bemängelt der Rechnungshof wiederum, dass Angemessenheit und Notwendigkeit der Projektausgaben nur unzureichend geprüft wurden. Die teilweise hohen jährlichen Ausgabensteigerungen von rund 30 Prozent seien nicht plausibel und begründet. Für die Projektjahre 2018 und 2019 sei ein Fördersatz von 95 statt der üblichen 90 Prozent bewilligt worden, obwohl die Voraussetzungen nicht vorlagen.

Bei einer Prüfung der Leistungsfähigkeit hätte auffallen müssen, dass der Verband über Liquidität und Rücklagen in Millionenhöhe verfüge. Die AWO sei der finanziell stärkste Zuwendungsempfänger aller Antragsteller. Die finanzielle Begünstigung sei ein grober Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz, den Wirtschaftlichkeitsgrundsatz und das Subsidiaritätsprinzip.

Nach Angaben des Rechnungshofs waren die geprüften Projekte mit einem hohen wirtschaftlichen Eigennutz für den AWO-Landesverband Sachsen und für andere Einrichtungen der AWO verbunden. Ein Teil der Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit habe keinen Projektbezug gehabt, sondern finanzierte allgemeines Werbematerial für die AWO. Der Verband habe – abgesehen von den Trägern der Psychosozialen Zentren – kumuliert mit über einer Million Euro die höchste Fördersumme erhalten.

Enge persönliche Beziehungen könnten ein Grund für eine Befangenheit der Entscheider gegenüber der AWO gewesen sein, heißt es im Berichtsentwurf. Sozialministerin Köpping sei AWO-Mitglied, ihre Staatssekretärin Dagmar Neukirch stellvertretender Vorstand der AWO Dresden. Die bloße Mitgliedschaft bedeute zwar noch keine Befangenheit. Jedoch stehe die AWO der SPD nahe und es bestünden eine Vielzahl von Kontakten, Beziehungen und Zusammenarbeiten. Es sei zudem nicht auszuschließen, dass Mitarbeiter die engen Kontakte kannten und in „vorauseilender Erwartung“ tätig geworden sind.

Trotz finanzieller Unregelmäßigkeiten Steuergeld für politischen Dachverband

Laut Rechnungshof handelt es sich bei den Geldflüssen an den Dachverband sächsischer Migrantenorganisationen e. V. um eine verdeckte institutionelle Förderung, die erheblich gegen das Haushaltsrecht verstoße. Eine Projektförderung von Daueraufgaben sei grundsätzlich nur dann vertretbar, wenn geförderten Einrichtungen lediglich eine zeitlich begrenzte Anlaufförderung gewährt werden solle, um sie mittelfristig in eine finanzielle Unabhängigkeit von öffentlicher Förderung zu führen.

Die Aufbaubank habe bei der Antragsbearbeitung auch auf die fehlende Abgrenzung zur Vereinsarbeit und den fehlenden Projektcharakter hingewiesen. Bei mindestens drei Projekten habe sich das Sozialministerium aber über die Beurteilung der Bank hinweggesetzt. Bemängelt wird die unzureichende Überprüfung von Unregelmäßigkeiten bei der Buchführung und von Abrechnungen. Projektmittel seien verwendet worden, damit Vorstandsmitglieder über entgeltliche Beschäftigungen, Aufwandsentschädigungen oder auch Honorare Einnahmen erzielen konnten.

Der Dachverband, so der Prüfbericht, sei laut Aktenlage aus „politischen“ Gründen gefördert worden. Zweifel an der Zuverlässigkeit des Trägers seien bis heute nicht ausgeräumt worden. Bedenken haben die Prüfer auch hinsichtlich der Finanzierung der politischen Tätigkeiten des Vereins. Die Arbeit des Dachverbandes werde nahezu ausschließlich durch öffentliche Gelder finanziert, heißt es. Darunter fällt auch ein nicht unerheblicher Teil an politischen Tätigkeiten und Aktivitäten. Zwischen dem Ministerium und dem Dachverband bestehe eine starke Nähe. Aus Unterlagen des Vereins sei zu erkennen, dass über den Verband Einfluss auf die politische Willensbildung genommen wurde. So sei der Verband aufgefordert worden, stärker Lobbyarbeit auch für neue, noch nicht bestehende Richtlinien sowie Öffentlichkeitsarbeit im Vorfeld von Landtagswahlen zu betreiben.

Fehlende politische Neutralität bei der Projektförderung

Darüber hinaus wirft der Rechnungshof auch einigen anderen Empfängern vor, nicht sauber zwischen der mit staatlichen Geldern finanzierten Projektarbeit und politischer Lobbyarbeit zu trennen. Viele der geförderten Vereine positionierten sich in der Öffentlichkeit gegen einzelne Politiker und Parteien vor allem aus dem rechten und konservativen Spektrum. Teils würden radikale und extreme Haltungen, wie beispielsweise ziviler Ungehorsam und gemeinsame Aktionen mit linksradikalen Vereinen, vertreten.

Vor allem im Bereich der Asyl- und Migrationspolitik sowie in der Innenpolitik und Extremismusbekämpfung unterstützten sie schwerpunktmäßig Forderungen von SPD, Grünen und Linken. Es würden aktiv Kampagnen gegen die sächsische Innenpolitik sowie gegen Entscheidungen von Landkreisen betrieben. Ein Teil der höchsten Förderungen ging an Vereine, in denen Vorstände und Geschäftsführungen der SPD oder den Grünen angehörten und für die Anträge und Projekte verantwortlich waren. Bei diesen Fällen habe es sich in der Regel auch um die zuwendungsrechtlich nicht korrekten Entscheidungen des Sozialministeriums zugunsten der Antragsteller gehandelt.

Im Vorfeld des für November geplanten Abschlussberichts hatte das Sozialministerium mehrfach Gelegenheit, sich zu diesen Vorwürfen zu äußern. Mit Spannung wird jetzt erwartet, wie der Rechnungshof die entsprechenden Erklärungen bewertet.