SZ + Sachsen
Merken

Wie es ist, mehr als einen Menschen zugleich zu lieben

Ruth lebt polyamor – sie hat mehrere Partner, begreift das aber nicht als Untreue. Vom Rechtssystem wünscht sich die Leipzigerin Anerkennung.

Von Angelina Sortino
 4 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Polyamor zu leben, hat Ruth nicht bewusst entschieden. Sie verliebt sich einfach in mehrere Menschen.
Polyamor zu leben, hat Ruth nicht bewusst entschieden. Sie verliebt sich einfach in mehrere Menschen. © kairospress

Auf den Treuebruch eines Partners reagiert man mit Wut, Trennungsangst und Eifersucht. So hat Ruth es in zahlreichen Filmen und realen Beziehungen vorgelebt bekommen. Allerdings empfindet sie keines dieser Gefühle, nachdem ihr damaliger Freund ihr gesteht, dass er mit einer seiner Ex-Partnerinnen geschlafen hat.

„Mir war irgendwie klar, dass deshalb unsere Beziehung nicht in Gefahr ist.“ Sie kann nachvollziehen, warum es zu dem Seitensprung mit der ehemaligen Partnerin gekommen ist. „In der Situation ging es viel um die lange Zeit, in der man sich nahe stand. Und um diesen Abschied“.

Über die Untreue und deren Gründe offen sprechen zu können, gibt ihr sogar das Gefühl, ihrem Freund noch näher zu sein. Ruth wird durch die Gespräche bewusst, dass sexuelle Exklusivität für sie in einer Beziehung nicht notwendig ist. „Wir sind ja trotzdem ein richtig gutes Team gewesen“, erklärt sie. Wenn sie über ihren Ex-Partner spricht, ist kein Groll auf ihrem Gesicht zu erkennen. Heute lächelt sie, wenn sie an die gemeinsame Zeit zurückdenkt.

Ehrlichkeit und Einverständnis sind wichtig

Später beginnt Ruth mehrere Menschen gleichzeitig zu treffen. „Eigentlich wollte ich erstmal keine Beziehung mehr und hatte dann sogar drei auf einmal.“ Die Geschichte lässt sie schmunzeln.

So wie Ruth lebt, nennt sie polyamor. Das heißt, dass sie in Absprache mit allen Beteiligten mehrere Partner lieben kann. Ruth hat sich dafür nicht bewusst entschieden. Sie verliebt sich einfach in mehrere Menschen. Absprachen seien wichtig, wenn man polyamor lebt. Aber sie findet auch: „Ehrlichkeit und Einverständnis sind die Grundlagen jeder guten Beziehung.“

Derzeit hat die Doktorandin zwei Partner und wohnt in Leipzig. „Ich lebe aber mit keinem von beiden zusammen.“ Ruth gefällt das so besser. Sie entscheide sich lieber ganz bewusst für ein Treffen.

Die Familie der 30-Jährigen reagiert sehr offen, als Ruth ihnen mehrere Menschen vorstellt, mit denen sie eine Beziehung führt. „Bei meiner Mutter habe ich es eventuell ein wenig übertrieben.“ Ruth legt den Kopf leicht in den Nacken, während sie erzählt: „Ich war mit ihr damals erst bei meiner Partnerin zum Mittagessen und danach bei meinem Partner zum Kaffee und Kuchen, damit sie beide kennenlernen kann.“ Abends sei dann noch eine dritte Person zum Übernachten vorbeigekommen. Ihre Mutter war offen, sobald klar war, dass alle Partner voneinander wissen.

Weil viele Menschen ihrer Lebensweise mit Vorurteilen begegnen, möchte Ruth lieber nicht erkannt werden.
Weil viele Menschen ihrer Lebensweise mit Vorurteilen begegnen, möchte Ruth lieber nicht erkannt werden. © kairospress

Ruth spricht langsam und bedacht, wenn sie von ihrer Art zu lieben berichtet. Sie wählt ihre Worte sorgsam aus. Viele Menschen begegnen Ruth und ihrer Polyamorie mit Vorurteilen. Sie führt das auch auf ihr Geschlecht zurück. „Für Frauen, die mit mehreren Partnern schlafen, gibt es viele Worte, und keines davon ist freundlich.

“Die 30-Jährige stört, dass Beziehungen oft in sehr klassischen Bildern gedacht werden. „Ich glaube, dass wir alle davon profitieren könnten, unsere Vorstellung von Beziehungen zu hinterfragen.“ Sie definiert in jeder Beziehung gemeinsam mit ihrem Partner oder ihrer Partnerin selbst, wie die Verbindung beiden guttut. „Das kann eben alles sein, womit beide froh sind. Das bedeutet unter anderem, dass Sex keine Voraussetzung für eine schöne Beziehung sein muss, aber sein darf.“ Der Anspruch, ein Leben lang exklusiv mit einer Person Sex zu haben, baue häufig Druck auf. „Man fühlt sich dann automatisch schlecht, wenn man mal eine Zeit lang nicht so Lust hat, mit dem Partner zu schlafen.“

Familie anders denken

Für Ruth ist es schwer nachzuvollziehen, dass der Staat hauptsächlich auf Liebesbeziehungen setzt, wenn es darum geht, Versorgergemeinschaften zu bilden. „Romantische Beziehungen sind oft nicht die stabilsten, die man im Leben hat.“ Weil viele Familien durch die Trennung der Eltern zerbrechen, wünscht Ruth sich rechtliche Regelungen, die auch andere Versorgergemeinschaften erlauben. „Wenn es beispielsweise möglich wäre, dass mehr als zwei Personen sich das Sorgerecht teilen, könnten Freunde sich gegenseitig besser bei der Erziehung unterstützen.

“Um Vorbehalten gegenüber Poly-Beziehungen vorzubeugen, wünscht sich Ruth mehr Repräsentation in den Medien. „Die meisten Beziehungen, die gezeigt werden, sind monogam und zwischen Mann und Frau.“ Wenn Poly-Beziehungen dann doch mal thematisiert werden, findet Ruth die Beispiele sehr extrem. „Die Menschen leben dann oft in einer Kommune und haben alle gemeinsam Sex.“ Sie blickt sich im Wohnzimmer ihres Partners um, in dem ein weihnachtlich geschmückter Tannenbaum steht. „Das Wohnzimmer einer WG, in der polyamore Menschen leben, kann auch ganz normal und spießig aussehen.“