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Von der Queen bis Titanic: Wo die Seidenblumen der Stars schlafen

Kunstblumen aus Wallroda zierten 50 Jahre lang die Hüte von Royals und Hollywoodstars. Heide Steyer kann den Betrieb mit fast 80 Jahren jedoch nicht weiterführen, die Nachfolgersuche blieb erfolglos. Gibt es nun neue Hoffnung?

Von Dominique Bielmeier
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Heide Steyer ist die Herrin der Stoffblumen in Wallroda und war von jeher für das Design zuständig. In ihrem Lager schlummern Tausende fertige Blüten, von denen jede mehrere hundert Euro wert ist.
Heide Steyer ist die Herrin der Stoffblumen in Wallroda und war von jeher für das Design zuständig. In ihrem Lager schlummern Tausende fertige Blüten, von denen jede mehrere hundert Euro wert ist. © kairospress

Wallroda. Was hätte Queen Elizabeth wohl gesagt, hätte sie gewusst, dass ihr Hutschmuck in einem ehemaligen Schweinestall hergestellt wurde? Heide Steyer stützt sich auf ihren Stock und lacht herzlich, ihr Handy, das in einer blumigen Umhänge-Hülle steckt, baumelt an ihrer Hüfte. Na ja, sagt sie, als sie sich wieder einkriegt. Der Stall war ja nur hier hinten – das vorne war eine Scheune.

An der Wand des niedrigen Raumes, der vor langer Zeit einmal 200 Schweine beherbergt hat, stapeln sich bis unter die mit Sauerkrautplatten verkleidete Decke Stoffbahnen in einem Regal. Samt, Duchesse, Taft, feinste Seide. Der Stoff, aus dem royale Träume sind.

Hier im 435-Seelen-Dorf Wallroda, einem Ortsteil von Arnsdorf bei Radeberg, wurden sie über Jahrzehnte in Kunstblumen für Hüte und andere Kleidung verwandelt. Bevor alles in einen Dornröschenschlaf fiel, aus dem es nun nicht mehr zu erwachen droht.

Stoffblumen aus Wallroda: Ein Leben für die Blumen

Heide Steyer aber, die Chefin der gleichnamigen Kunstblumenmanufaktur, ist hellwach. Trotz ihres Alters. Im Mai wird sie 80, doch man schätzt sie locker zehn Jahre jünger. Noch bis 75 fuhr sie mit ihrem Mann Gerald zu den Modemessen nach Paris. Im Februar ist Gerald gestorben, ganz friedlich zu Hause auf dem Vierseithof, in dem das Paar auch lebte.

Sie blickt aus dem Fenster auf die schöne, fast zwei Meter hohe Kamelie im Innenhof, die schon einige pinkfarbene Blüten zeigt. Ein Geschenk zu Geralds 50. Geburtstag von Freunden aus Berlin. Bald soll sie auf sein Grab umgepflanzt werden. "Das war sein letzter Wunsch", sagt Heide Steyer. Ein Leben für die Blumen, über den Tod hinaus.

Farbenfroh und kompostierbar: In Wallroda haben die Steyers ausschließlich natürliche Stoffe für ihre Blumen verarbeitet.
Farbenfroh und kompostierbar: In Wallroda haben die Steyers ausschließlich natürliche Stoffe für ihre Blumen verarbeitet. © kairospress

Die Geschichte der Kunstblumenmanufaktur Steyer ist einzigartig, denn abgesehen von Wallroda werden Blumen aus Stoff auf diese besondere Art und Weise, durch Verformung mit heißen Messern und Kugeln per Hand, nur noch in Paris gefertigt. Dort hat Chanel die letzten verbliebenen Kunstblumenmacher versammelt. "Aber die haben auch das nötige Geld", sagt Heide Steyer.

Blumenproduktion in Berlin seit 1970

Der Mangel an Fachkräften war es auch, der die gebürtige Oldenburgerin und ihren Mann in den 90er-Jahren aus Westberlin nach Sachsen lockte. In Berlin hatten die Steyers 1970 die Blumenproduktion der Blumen- und Federnfabrik Curt Morgenstern übernommen. In der Bundesrepublik war der Ausbildungsberuf schon 1972 abgeschafft worden. Nun ging in Berlin ihre letzte Mitarbeiterin in Rente. Im Osten aber wurde noch ausgebildet.

Die Firma Morgenstern war 1925 in Sebnitz gegründet worden. Das Paar wollte nach der Wende deshalb einen Teil der VEB Kunstblume dort übernehmen. Fünf Jahre lang hätten sie mit der Treuhand verhandelt, sagt Heide Steyer. Ohne Ergebnis. Auf dem Grundstück, das im Gespräch gewesen sei, stehe heute ein Aldi.

Produziert wurde auf diesem Vierseithof in Wallroda - und geliefert in die ganze Welt.
Produziert wurde auf diesem Vierseithof in Wallroda - und geliefert in die ganze Welt. © kairospress

In der Sächsischen Zeitung, die Steyers schon von Berlin aus abonniert hatten, lasen sie in dieser Zeit von der Zwangsversteigerung des Vierseithofes in Wallroda. Zehn Jahre lang ließen sie die verfallenen Gebäude sanieren, doch die Produktion stand keinen Tag still, erzählt Heide Steyer stolz. "Wir haben am 1.1.1998 hier angefangen zu produzieren und hatten in Berlin am 31.12.1997 aufgehört."

Zu Spitzenzeiten arbeiteten 24 Menschen für die Manufaktur, darunter Heimarbeiterinnen. Bis zuletzt wurde das meiste exportiert – und landete auf exklusiven Häuptern wie dem der englischen Königin.

"Buckingham Palace, what do you want?"

Mit insgesamt vier Hutmachern der Queen machte das Ehepaar im Laufe seines Berufslebens Geschäfte. Nur einmal haben Steyers das englische Königshaus direkt beliefert. "Da war die Hofdame der Königin bei uns", sagt Heide Steyer und meint die Blumenausstellung des Unternehmens in einem Hotel ganz in der Nähe des Palastes.

Die Hofdame habe nur tolle Sachen für die Königin ausgesucht, natürlich alles Einzelstücke. Als Gerald wegen einer Nachfrage im Palast anrufen musste, habe eine affektierte britische Stimme am Telefon gesagt – Heide Steyer ahmt sie perfekt nach und bricht dann in Gelächter aus: "Buckingham Palace, what do you want?"

Rund 1.500 Stanzeisen für Blüten und Blätter ...
Rund 1.500 Stanzeisen für Blüten und Blätter ... © kairospress
...  stehen in Wallroda in den Regalen.
... stehen in Wallroda in den Regalen. © kairospress

Ein anderes Mal wurde ein Kleid von Herzogin Kate nach Wallroda geschickt, damit der Hutschmuck perfekt auf die Farbe abgestimmt werden konnte. "Ein zartes Vanillegelb, ganz toll", schwärmt Heide Steyer noch heute. Die passende Blüte färbte sie damals selbst ein. Und Camilla trug zu ihrer Hochzeit eine opulente Federblume am Hut – natürlich ebenfalls aus Wallroda.

Stoffblumen in Titanic und Downton Abbey

Heute stürzen die Royals ihre Hutmacher eher in die Krise, erzählt Heide Steyer. Denn sie tragen kaum noch Hüte. Sowohl Camilla als auch Kate sieht man immer häufiger ohne. Und Charles sei ja sehr naturverbunden, sagt Heide Steyer, eigentlich ein Bauer. "Oder sagen wir Landwirt. Das klingt besser." Sie lächelt verschmitzt.

Auch in Hollywoodfilmen und Serien sind die Blumen aus Wallroda vertreten, in Titanic etwa, in Vier Hochzeiten und ein Todesfall und Downton Abbey. Doch die Chefin ist besonders stolz auf etwas anderes: eine sechsseitige Strecke im Modemagazin Vogue vom Sommer 2021. "Das ist für mich wie eine Oscarverleihung."

Die Seite, ab der ein Artikel über ihre Blumenproduktion in Wallroda in der Vogue erschienen ist, kennt Heide Steyer aus dem Kopf.
Die Seite, ab der ein Artikel über ihre Blumenproduktion in Wallroda in der Vogue erschienen ist, kennt Heide Steyer aus dem Kopf. © kairospress

"Die Letzten ihrer Art" heißt der Artikel und erklärt im Vorspann: "Die Haute-Couture-Häuser der Welt lieben die Seidenblumen der Steyers. Doch ihre Kunst droht zu verschwinden." "Danach hatte ich viele Anfragen für die Firma", sagt Heide Steyer. Dann kommt das große Aber.

Nachfolgersuche bleibt vergeblich

Fünfzehn Jahre. Fünfzehn Jahre lang hat das Paar versucht, einen Nachfolger für das Unternehmen zu finden. Die Steyers waren in Talkshows, in der Fernsehrateshow "Wer weiß denn sowas?" und immer wieder auch in der Zeitung. Nichts haben sie unversucht gelassen, damit die Produktion in Wallroda ohne sie weitergehen kann. Vergeblich.

Nach dem Vogue-Artikel zum Beispiel hätten sich hauptsächlich Frauen aus Westdeutschland gemeldet, die sich wohl eher ein kleines Atelier vorstellten als ein richtiges Export-Unternehmen. "Die dachten, sie können sich hinsetzen, eine Blume am Tag fummeln und die dann für 500 Euro verkaufen", erzählt Heide Steyer belustigt.

Für richtige Investoren wiederum sei die Firma zu klein. "Wir haben eine Größe, bei der man als Chef auch immer noch mitarbeiten muss", sagt Heide Steyer. "Man kann nicht nur delegieren."