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"Glück auf!": Der Steiger kommt in Sachsens Bergbau noch immer

Der "Steiger" wird derzeit bei Bergparaden viel besungen, seit diesem Jahr ist das "Steigerlied" Kulturerbe. Aber gibt es überhaupt noch echte Steiger hierzulande? Eine Stippvisite unter Tage im Erzgebirge.

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Steiger Jörg Neubert steht auf der Markus-Semmler-Sohle des Wismut Bergwerks im Erzgebirge.
Steiger Jörg Neubert steht auf der Markus-Semmler-Sohle des Wismut Bergwerks im Erzgebirge. © dpa/Hendrik Schmidt

Aue-Bad Schlema. Vor Jahrzehnten wurde dieser Stollen dem Felsen abgetrotzt, nun stapft Jörg Neubert hier festen Schrittes unter Tage voran. Das Dunkel wird auf diesem Abschnitt nur vom Schein der Lampe an seinem Helm durchbrochen. Der Weg führt ihn die Schienen entlang, auf denen hier unten benötigtes Material heran- und Gestein nach draußen geschafft wird.

Am Schacht 15 IIb in Bad Schlema hat der 37-Jährige seine Seilfahrtsmarke ans Brett gehängt, ist im Förderkorb 50 Meter in die Tiefe zur Markus-Semmler-Sohle eingefahren. Nun ist er auf dem Weg zu seinen Kollegen, die sich seit dem frühen Morgen hier unter Tage an die Arbeit machen.

Jörg Neubert ist Steiger - jener Beruf, der in diesen Wochen oft bei Bergparaden besungen wird; seit diesem Jahr zählt das "Steigerlied" gar zum immateriellen Kulturerbe.

Auch darüber hinaus ist das Brauchtum zu Weihnachten in Sachsen eng mit dem jahrhundertealten Bergbau verwoben. Nicht nur die Form der Schwibbögen in den Fenstern ist dem halbrunden Stolleneingang nachempfunden, vielerorts werden auch wieder Mettenschichten gefeiert.

Vom Bergmann zum Steiger

"Ich bin der Erste, der kommt, und der Letzte, der geht", erzählt Neubert, während er zügig weiter durch Pfützen und Matsch stapft. Er hat Bergmann gelernt, später einige Jahre in einem Betrieb zur Bergsicherung gearbeitet, danach bei der Bundesgesellschaft für Endlagerung in Niedersachsen, wo mit Schacht Konrad ein Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle entsteht. Seit Ende 2016 ist er bei der bundeseigenen Wismut, die die Hinterlassenschaften des Uranbergbaus in Sachsen und Thüringen saniert. Dort hat sich Neubert weiterqualifiziert und wurde vor etwa zwei Jahren zum Steiger ernannt, wie er erzählt. Hier in Bad Schlema im Erzgebirge betreut er einen Trupp von zwölf Bergmännern.

50 Meter unter Tage sanieren die Bergleute der bundeseigenen Wismut die Hinterlassenschaften des Uranbergbaus.
50 Meter unter Tage sanieren die Bergleute der bundeseigenen Wismut die Hinterlassenschaften des Uranbergbaus. © dpa/Hendrik Schmidt

Anders als im Lied graben sie aber weder Silber noch Gold aus dem Felsgestein. Neubert ist bei seinen Kollegen Denny Lenk und Florian Müller angekommen. Sie haben seit dem Morgen mehrere Hunte - so nennen die Bergleute die Wagen - beladen, die nun zum Abtransport bereit sind. "Das Gebirge arbeitet", erklärt Neubert. "Es drückt von allen Seiten." Dadurch brechen immer wieder Gänge unter Tage ein, die von den Bergleuten freigelegt und gesichert werden müssen.

"Die Grube muss dauerhaft offengehalten und entwettert werden", erläutert der Fachmann. Dazu wird das ganze Grubenfeld unter Tage durch ein ausgeklügeltes System durchlüftet - an dessen Ende steht ein sogenannter Abwetterschacht mit riesigen Ventilatoren. "Sonst würde es passieren, dass hier in der Region unkontrolliert radioaktives Radon austritt."

Der Steiger als Aufseher im Bergbau

Die Bezeichnung "Steiger" kommt daher, dass diese Aufseher im Bergbau ständig in Gruben steigen und einfahren mussten. Einst waren sie Beamte des Staates, die zur Aufsicht in Bergwerken eingesetzt waren. Auch heute müssen sie dem Oberbergamt als Aufsichtsbehörde benannt werden, wie dessen Leiter, Oberberghauptmann Bernhard Cramer, betont. Im Gesetz ist nicht mehr vom Steiger, sondern von "verantwortlichen Personen" die Rede. Für jeden Betrieb unter Bergaufsicht müssen die jeweiligen Unternehmen solche Aufsichtspersonen bestellen.

Wie viele Steiger es aktuell in Sachsen genau gibt, kann das Oberbergamt nicht sagen - entschuldigend verweist es auf eine Umstellung im System zur Datenerfassung. Die Funktion gebe es aber in allen Bergbaubetrieben, wenn sie nicht vom Unternehmer selbst wahrgenommen werde, erklärt Cramer. Die Statistik der Behörde weist für voriges Jahr 400 Betriebe aus. Von denen, die noch Rohstoffe aktiv fördern, entfällt das Gros auf Baustoffe wie Kies und Schotter.

Steiger Jörg Neubert (l,) unterhält sich unter Tage mit den Bergleuten Jörg Klimmer und Tobias Kaulfuß (r.).
Steiger Jörg Neubert (l,) unterhält sich unter Tage mit den Bergleuten Jörg Klimmer und Tobias Kaulfuß (r.). © dpa

Der genaue Aufgabenumfang eines Steigers hänge vom jeweiligen Unternehmen ab, erläutert der Oberberghauptmann. Das reiche vom bloßen Einteilen und Beaufsichtigen der täglichen Arbeiten vor Ort bis zum Beantragen von Betriebsplänen und sonstigen Genehmigungen. Die wichtigste Aufgabe sei aber die ordnungsgemäße und vor allem sichere Betriebsführung, damit Beschäftigte und Öffentlichkeit nicht gefährdet werden.

Gemeinsame Mettenschicht vor Weihnachten

So hat auch Neubert bei seinem Rundgang stets die Sicherheit im Blick. Dabei kontrolliert er etwa spezielle Geräte, mit denen die Radonbelastung unter Tage gemessen wird, und achtet darauf, dass jeder seinen Selbstretter für den Notfall bei sich trägt. "Sicherheit steht an allererster Stelle", betont der Steiger.

Der 37-Jährige engagiert sich auch bei der Grubenwehr, für jeden erkennbar am orangefarbenen Helm. Zur Sicherheit dienen auch scheinbar einfache Dinge wie die Tafel am Schachteingang. Als Neubert wieder ausfährt, nimmt er seine Marke dort wieder ab und steckt sie ein. "Wenn am Ende des Tages hier noch eine Marke hängt, wissen wir: Wir haben jemanden unten vergessen."

Die Arbeit des Bergmanns hat sich seiner Ansicht nach aber sehr verändert im Vergleich zu früher. Für unterschiedliche Aufgaben habe es einst verschiedene Brigaden gegeben: den Vortrieb in den Berg hinein, das Verlegen von Gleisen und Rohrleitungen, den Ausbau der Strecken. "Heute macht das der Bergmann alles selbst." Manches Brauchtum hat sich allerdings auch für die Männer unter Tage erhalten. So wollen sie vor Weihnachten gemeinsam die Mettenschicht feiern. (dpa)