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Geplante Rodung des „Heibo“: Die wichtigsten Fragen und Antworten

Das Kieswerk Ottendorf-Okrilla will Kies unter dem Heidebogen in der Westlausitz fördern. Der Wald soll dafür weichen. Protestierende wollen das verhindern – die Fakten.

Von Franziska Klemenz
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Mit wackeligen Plattformen und Baumhäusern wollen die „Heibo“-Waldbesetzer die Räumung ihres Camps verhindern.
Mit wackeligen Plattformen und Baumhäusern wollen die „Heibo“-Waldbesetzer die Räumung ihres Camps verhindern. © Kristin Richter

Im sächsischen Staatswald sollen fünf Hektar Fläche dem Abbau von Kies weichen. Dagegen regt sich Widerstand - zu ebener Erde und hoch in den Bäumen. Dem Protestcamp steht nun die Räumung bevor.

Was soll im Heidebogen passieren?

Das Kieswerk Ottendorf-Okrilla will die Kiesgrube in der Laußnitzer und Radeburger Heide erweitern, um Kies abzubauen. An den Baustoff kann das Unternehmen nur kommen, wenn Wald weicht. Es handelt sich dabei um den Heidebogen, ein Waldstück zwischen Würschnitz und Ottendorf-Okrilla in den Landkreisen Bautzen und Meißen. Bis zu 20 Meter dick sollen die Kiesschichten sein, einen besonders hohen Quarzanteil enthalten.

Das Werk in Ottendorf-Okrilla fördert jährlich bis zu 750.000 Tonnen Kies. 2023 sollen fünf Hektar Wald gerodet werden, gesamt mehr als 100. Sachsens Ministerien für Umwelt, Wirtschaft und Inneres sind in Planung und Durchführung involviert. Das Oberbergamt mit Sitz in Freiberg ist für das Genehmigungsverfahren zuständig, das Verfahren für ein weit größeres Waldstück, Würschnitz-West, läuft noch.

Was und wer spricht gegen das Vorhaben?

Seit 20 Jahren wehren sich einige Ortsansässige und Umweltschützer gegen die Pläne des Kieswerks. Seit September 2021 besetzen Gegnerinnen und Gegner Teile des Waldes, leben auf Bäumen, haben Barrikaden, Gräben und ein Seilsystem errichtet. Einige Protestierende gegen die Rodung in Lützerath (Nordrhein-Westfalen) zu Jahresbeginn sollen nach der dortigen Räumung nach Sachsen gereist sein, um den „Heibo“ zu schützen.

Die Besetzerinnen und Besetzer argumentieren, dass in Zeiten des menschengemachten Klimawandels kein weiterer Wald weichen dürfe, da Wälder Kohlendioxid binden, sich somit positiv auf das Klima auswirken. Außerdem seien teils seltene Arten bedroht, wenn ihr Lebensraum wegfalle. Es sei möglich, dass die Pläne das Grundwasser beeinträchtigen. Der Plan des Unternehmens, Kiesgruben teilweise mit Bauschutt zu füllen, könne Moore in der Nähe zerstören, weil Nährstoffe und Salze hineingelangen könnten.

Ein Aktivist im Heibo-Camp.
Ein Aktivist im Heibo-Camp. © Norbert Millauer

Moore sind für die Umwelt besonders wertvoll, sie binden sehr viel Kohlendioxid. Im Januar haben sich unter anderem der Bund für Umwelt und Naturschutz und die Jugendorganisation der Grünen mit den Besetzerinnen und Besetzern solidarisiert. Ein Gutachten des Naturschutzbundes Nabu von Ende 2022 kam zu dem Schluss, dass die geplante Verfüllung mit Bauschutt im Kiestagebau Würschnitz-West „verheerende Auswirkungen auf die Grundwassergüte“ im Flora-Fauna-Habitat „Moorwaldgebiet Großdittmansdorf“ im Landkreis Meißen hätte. Die Besetzerinnen und Besetzer argumentieren außerdem, dass die Bauindustrie mehr klimaschädliche Emissionen verursache als der Flugverkehr.

Wie argumentieren Befürworter der Rodung und des Kiesabbaus?

Oberbergamt und die beteiligten Ministerien widersprechen der Argumentation der Besetzer weitgehend. Gutachten würden bestätigen, dass keine seltenen Arten bedroht seien. Moore seien weit genug entfernt. Kies für Bauvorhaben brauche man in jedem Fall.

Würde man ihn nicht regional abbauen, käme er möglicherweise Tausende Kilometer weit her aus einem Land mit schlechteren Arbeitsbedingungen. Umwelt- und Wirtschaftsministerium, Kieswerk und Oberbergamt haben sich kürzlich darauf geeinigt, keinen Bauschutt, sondern bergeigene Materialien in die Kiesgrube von Würschnitz-West zu kippen, nachdem sie ausgekiest ist. Man halte bei der Grabung mindestens einen Meter Abstand zum Grundwasser, moornahe Abbaugebiete sollen zuletzt beansprucht werden. Umweltschützerinnen und -schützer sprechen von einem „faulen Kompromiss“.

Wie ist die rechtliche Lage zum Kiesabbau?

Die Kieswerkbetreiber sind im Recht, weil sie von jahrzehntealten Gesetzen profitieren. Bis 1996 galt eine Sonderregelung im Bergrechtskapitel. Infolgedessen laufen die Betriebspläne teils über Jahrzehnte. Der für Versammlungen zuständige Landkreis Bautzen hat die Protestierenden aufgefordert, ihr Protestcamp, Baumplattformen und die Seilkonstruktion bis 23. Januar 2023 freiwillig zu räumen.

© Norbert Millauer

Dem sind die Protestierenden nicht nachgekommen. Das Recht, sich zu versammeln, ist im deutschen Grundgesetz verankert. Allerdings sind Baumhäuser dem Oberverwaltungsgericht zufolge keine Versammlungsmittel.

Warum bringt das die Grünen in die Zwickmühle?

Als die Grünen das Umweltministerium übernahmen, gab es die Verträge mit dem Kieswerk seit Jahrzehnten. Als Teil der Kenia-Koalition sind sie an die Verträge gebunden. Außerdem leitet ein Grüner das involvierte Umweltministerium. Gerade er, Wolfram Günther, sprach sich in der Vergangenheit immer wieder für Artenschutz aus. Ein Dilemma, das gerade erst die Grünen in Nordrhein-Westfalen bei der Räumung von Lützerath erlebten. Die grüne Jugend solidarisiert sich entgegen der Parteilinie mit dem Protest.

Was passiert als Nächstes? Droht die Räumung

Die Polizei plant ähnlich wie zuletzt in Lützerath, den Wald zu räumen. Die Protestierenden wollen bleiben. Wann die Polizei mit der Rodung beginnt, ist unklar. Die Polizei bereitet sich nach Sächsische.de-Informationen derzeit vor.

Nach dem Naturschutzgesetz dürfen zwischen 1. März und 30. September im Sinn des Brut-Schutzes keine Bäume und Büsche gefällt werden. Wenn sie stattfindet, muss die Rodung bis Ende Februar also erfolgt sein.

Mitarbeit: Ulrich Wolf