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Sachsens schönste Flecken: Das geheime Ferienhaus des Königs

In der Sächsische.de-Serie "Meine Oase" verraten Redakteurinnen und Redakteure ihre Lieblingsorte. Heute: Schloss und Park Jahnishausen.

Von Christina Wittig-Tausch
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Im Park von Schloss Jahnishausen hat König Johann sich einen Teepavillon errichten lassen. Früher erklang darin eine Windharfe. Doch ein Nachfahre Johanns war davon so genervt, dass er die Saiten zerschnitt.
Im Park von Schloss Jahnishausen hat König Johann sich einen Teepavillon errichten lassen. Früher erklang darin eine Windharfe. Doch ein Nachfahre Johanns war davon so genervt, dass er die Saiten zerschnitt. © kairospress

Die Grasmücke hatte es dem König besonders angetan. Wenn König Johann von Sachsen im Mai im Schloss Jahnishausen eintraf, stellte er immer zwei Fragen. Zuerst erkundigte er sich bei den Gartenburschen nach dem Befinden des alten Nünchert. Der Veteran hatte bei den Napoleonischen Kriegen für Sachsen gekämpft und lebte in einem kleinen Haus in dem Dorf bei Riesa. Danach fragte der sächsische König: „Was macht meine Grasmücke?“

Wenige Minuten später ging er mit einem der Burschen in das Orangenhaus, wo die Vögel in einem der Pomeranzenbäume brüteten. Er setzte sich auf einen Stuhl, der für ihn bereitstand, und beobachtete das Nest. Manchmal stieg er auch auf den Stuhl. Stunden vergingen auf diese Weise, beschrieb im Jahr 1866 der einstige Gartenbursche. Von ihm sind nur die Initialen „B. Schr.“ bekannt. Er hielt den Stuhl fest, der Monarch spähte zum Nest. Sonst war niemand da, denn der „König liebte es nicht, bei dem Besuch des Vogelnestes von anderen Personen beobachtet zu werden“.

König Johann suchte und fand fernab vom Dresdner Hof mit dem Schloss Jahnishausen bei Riesa einen Ort, an dem er ein einfaches Leben führen konnte.
König Johann suchte und fand fernab vom Dresdner Hof mit dem Schloss Jahnishausen bei Riesa einen Ort, an dem er ein einfaches Leben führen konnte. © kairospress

Im Rittergut leben 60 ältere und jüngere Menschen

Der Pomeranzenbaum, der König und der Gartenbursche sind Erinnerungen. Als Johann vor ungefähr 200 Jahren erstmals nach Jahnishausen fuhr, saß er in einer Kutsche, einen Zug gab es noch nicht. Er blieb Tage oder mehrere Wochen, arbeitete teilweise, machte aber auch Ferien. Ich kam an einem sehr heißen Sommertag mit dem Auto durch Jahnishausen, eher zufällig. Stieg aus, tat ein paar Schritte. Sofort umfing mich der wohltuende Schatten alter Laubbäume. Und herrliche Stille. Im Laufe einer Stunde flanierten eine Oma und ihr Enkel vorbei, dann noch eine Dame mit Hund.

Der Park gehört heute teilweise der Stadt Riesa. Vor etwas mehr als 20 Jahren wurde das Areal an die Lebensgemeinschaft „Lebenstraum“ verkauft: Rittergut, Schloss und Grünland direkt an den Gebäuden. Im Rittergut leben derzeit 60 ältere und jüngere Menschen. Peter Griepentrog war von Anfang an dabei. Er ist inzwischen in Rente, hat sich aber eingearbeitet, förmlich hineingewühlt in die Geschichte des Anwesens und ein kleines Buch darüber geschrieben. Sein zweites Herzensthema ist die Sanierung des Schlosses, das leer steht.

In diesem Zimmer arbeitete König Johann. Einfach, aber mit herrlichem Blick in den Park.
In diesem Zimmer arbeitete König Johann. Einfach, aber mit herrlichem Blick in den Park. © kairospress

Das Arbeitszimmer des Königs mit schönem Blick ins Grüne

Mit Spenden und Mitteln aus der Denkmalpflege soll das einstige Ferienhaus des Königs nach und nach wiederaufgebaut werden. Ein Café ist angedacht, ein Veranstaltungsraum. Peter Griepentrog träumt davon, dass hier Seminare und Treffen stattfinden könnten, um zu philosophieren über menschliches Zusammenleben, Freiheit, Tod. „Das Leben und seinen Sinn in ganzheitlichem Zusammenhang verstehen und gestalten“, so formuliert er es. Bis es so weit ist, wird es wohl noch etwas dauern. Viele Wände sind roh, die Böden aufgerissen, matt schimmern uralte Deckenmalereien.

Was man schon gut sehen kann bei den Führungen, die regelmäßig angeboten werden, ist das Arbeitszimmer von König Johann: eher klein und mönchisch einfach, aber mit einem schönen Blick ins Grüne. Johann, der häufig als „Gelehrtenkönig“ bezeichnet wird, hat in Jahnishausen an der Übersetzung von Dantes Göttlicher Komödie gearbeitet. 1821 hatte er eine Ausgabe bei einer Reise nach Italien an einem Straßenstand entdeckt. Auf der Rückfahrt las er fieberhaft und begann bald, aus dem Italienischen ins Deutsche zu übersetzen.

Vieles im Schloss und von dem, was Johann in fast 50 Jahren im Park hatte anlegen lassen, ist verschwunden. Aber manches ist doch noch zu sehen. Alte Linden säumen Wege, Weiden die Wasserläufe und einen Teich.
Vieles im Schloss und von dem, was Johann in fast 50 Jahren im Park hatte anlegen lassen, ist verschwunden. Aber manches ist doch noch zu sehen. Alte Linden säumen Wege, Weiden die Wasserläufe und einen Teich. © kairospress

Als grünen Rückzugsort vom beengenden Dresdner Hof

Die Faszination währte lebenslang. Die Comedia mit ihrer Beschreibung eines Seelenweges vom Inferno über die Läuterung bis hin zur Erlösung war ihm wohl Inspiration und Leitfaden. Er gründete einen Gesprächskreis mit dem Namen „Accademia Dantesca“, dem er seine Übersetzung vorlegte. Zu diesem Kreis aus Dichtern und Gelehrten gehörte auch der Arzt und Maler Carl Gustav Carus. Es ist kein Zufall, dass der Verein, der das Schloss und den Geist des Ortes wiederbeleben will, „Accademia Dantesca Jahnishausen e. V.“ heißt.

Das Schloss war einst eine mittelalterliche Wasserburg. In den Besitz der Wettiner kam das Areal jedoch erst 1824, als der junge Prinz Johann, Jahrgang 1801, es kaufte, mitsamt Rittergut. Als grünen Rückzugsort vom Dresdner Hof, den vor allem seine Frau, die bayerische Prinzessin Amalie – übrigens eine Tante der berühmten Sisi – als verstaubt und einengend empfand. Johann war nicht der Thronfolger, sondern der Zweitgeborene. Ein wissbegieriger, vielseitig interessierter, nach Beschäftigung dürstender Mensch, der seinen Platz im Leben suchte.

Das Herrscherpaar suchte ein Stück Freiheit

„Er hatte eine große Faszination für das Landleben und für die Landwirtschaft“, sagt die Historikerin Silke Marburg, die einiges zu Johann veröffentlicht hat. Ein Stück Freiheit suchte das Herrscherpaar, obwohl Johann den großen Freiheits- und Revolutionsbewegungen seiner Zeit skeptisch bis kritisch gegenüberstand und eher nationalkonservativ gesonnen war. Zeitzeugen beschreiben, dass Johann die Menschen in Jahnishausen von Arbeitspflichten befreite und in Notlagen finanzielle Unterstützung gab, dass er lieber schlicht lebte und sich in Jahnishausen entsprechend kleidete.

Peter Griepentrog gehört zu den Bewohnern des Ritterguts Jahnishausen. Er ist inzwischen in Rente, hat sich aber eingearbeitet in die Geschichte des Anwesens und ein kleines Buch darüber geschrieben.
Peter Griepentrog gehört zu den Bewohnern des Ritterguts Jahnishausen. Er ist inzwischen in Rente, hat sich aber eingearbeitet in die Geschichte des Anwesens und ein kleines Buch darüber geschrieben. © kairospress

Folgt man den Beschreibungen aus mehreren Jahrhunderten, die Peter Griepentrog zusammengetragen hat, fällt auf, dass immer wieder der schlichte Charakter und die Abgeschiedenheit des Anwesens beschrieben werden, aber auch ein seltsamer Zauber. Von Mondscheinnächten ist die Rede, in denen Geister zwischen hohen Laubbäumen umher zu huschen scheinen. Von den „Tulipanen“, den duftenden Birnen und den Nachtigallen im Park, den wohl vor allem Marie Sophie Freifrau von Reichenbach im beginnenden 18. Jahrhundert angelegt hat.

Nach der Enteignung 1945 eine Landwirtschaftsschule

1854, nach dem Unfalltod seines Bruders, wurde Johann plötzlich König. Danach wurden die Aufenthalte der Familie in Jahnishausen seltener. Schon deshalb, da der Hofstaat des Regenten in dem eher überschaubaren Gebäude voller Anbauten, Umbauten und Winkel kaum Platz fand. Der Hof residierte an wechselnden Orten, neben Dresden auch in Pillnitz und Weesenstein. 1873 starb Johann, seine Frau vier Jahre später.

Die Erben nutzten das Areal gelegentlich für Jagden. Nach dem Ersten Weltkrieg diente das Schloss als Erholungsheim, nach der Enteignung 1945 als Landwirtschaftsschule und Mietshaus. Vieles im Schloss und von dem, was Johann in fast 50 Jahren im Park hatte anlegen lassen, verschwand. Aber manches ist doch noch zu sehen. Alte Linden säumen Wege, Weiden die Wasserläufe und einen Teich. Die Königsfamilie gondelte dort gern herum. Über eine Brücke gelangt man zu einer kleinen Insel mit einem chinesischen Teepavillon.

Ein Nachfahre des Königs zerstörte die Windharfe

Früher plätscherte im Pavillon ein kleiner Springbrunnen, eine Windharfe zierte das Dach. Das Becken aus Sandstein ist gefüllt mit Erde. Eine Geranie wächst darin. Die Windharfe ist weg. Einer der Nachfahren Johanns war genervt, kletterte eines Nachts auf den Pavillon und zerschnitt die Saiten. Das Wasser ist gegenwärtig voller Algen und so grün, dass es vom Pflanzengewucher ringsherum kaum zu unterscheiden ist.

Dennoch, es ist ein besonderer Ort, eine Oase, nicht nur im Sommer. Im Herbst färben sich die Laubbäume, und der über 200 Jahre alte Ginkgo, Nationalerbe-Baum seit 2019, leuchtet buttergelb über seinem beuligen, seltsam gedrehten Stamm. Im Spätwinter und im Frühling wuchern Schneeglöckchen, dann Märzenbecher. Vielleicht singt dann auch eine Grasmücke.

Historische Führungen von März bis Oktober jeden 2. und 4. Sonntag, 14 Uhr, Schloss Jahnishausen, Riesa, Jahnatalstraße 4a. Infos: www.a-d-j.de