Waldbrand-Fotograf Mike Jäger: Der Felssüchtige von Schmilka

Er hatte verreisen wollen, ins Lechtal, zum Klettern. Klettern ist sein Leben, seine Therapie, sagt Mike Jäger. Aber dann begann es zu brennen in seinem Therapieraum, der Sächsischen Schweiz, die quasi auch sein Wohnzimmer ist. Die nächsten Feuer loderten nur ein paar Hundert Meter von Jägers Haus entfernt. Nein, er konnte nicht weg. Er hätte ja doch nur an Daheim gedacht. Stattdessen blieb er und machte Fotos vom größten Waldbrand im Elbsandstein seit zweihundert Jahren. Etwa 2.500 Bilder sind es geworden.
Eine Haustür, die nie verschlossen ist
Mike Jäger, 58, gelernter Forstfacharbeiter, jetzt Verleger, Baumpfleger und Bergsportfotograf, ist eine Ausnahmeerscheinung. Obwohl er eigentlich mehrere Jobs hat, ist er in seinem Wohnort Schmilka bekannt als der Mann, der nicht gern arbeiten geht. Und das stört ihn nicht einmal. Weil es stimmt. Für Geld macht er nur so viel, dass es reicht um zu leben, und um das Haus zu halten, sagt er. Die restliche Zeit tut er das, was er will: rausgehen und klettern.
Dass Mike Jäger anders ist als die anderen, merkt man schon daran, dass seine Haustür nicht verschlossen ist und gern sogar offen steht. Es ist vorgekommen, dass Touristen das als Einladung verstanden haben und ungefragt herein tappten. Jäger hält den Ort schon lange für übervölkert. "Wenn man sich überlegt, dass ich mal nach Schmilka gezogen bin, um meine Ruhe zu haben..."

Die Tür ist auch an diesem Tag offen. Für den Hausherrn ist sie ein Zeichen gegen das, was ihn an der Gesellschaft nervt: Egoismus, Konkurrenzdenken, Neid. Vom Streben der anderen nimmt er sich aus. Auch das Klettern sieht er nicht als Leistungssport, sondern als Bedürfnis. Er findet Glück und Zufriedenheit in den Felsen, selbst wenn er den Gipfel nicht gewinnt. "Im Fels kann ich sein, was ich bin, und wer ich bin", sagt Jäger. "Im Fels bin ich echt."
Wegen angeblicher Grenzverletzung in Handschellen
Durch das Treppenhaus, das eine Galerie von Jägers alljährlich produzierten Fotokalendern "Klettern im Elbsandstein" ziert, geht es hinauf in die Wohnstube. Das Haus ist das ehemalige Gemeindehaus von Schmilka, wo einmal die Gemeindeschwester und der Frisör zu finden waren. Als er es kaufte, sah es darin aus wie im Museum, sagt Jäger. Seit über zwanzig Jahren lebt er nun hier mit der Familie. Wirklich zugehörig zum Ort fühlt er sich nicht. "Wir sind immer die Fremden geblieben."
Mike Jäger stammt aus einem Porzellanmacherdorf im Thüringer Schiefergebirge. Vater Schlosser, Mutter Verkäuferin. Er wurde dazu erzogen, kritisch zu denken. Nach außen hin aber, wie es üblich war in der DDR, passte man sich an. Noch als Schuljunge machte er seine erste Klettertour. Eigentlich sah er keinen Sinn darin, auf Steine zu kraxeln. Die große Schwester aber, aktiv in einer studentischen Klettergruppe, schleppte ihn mit. "Da hat es mich gepackt", sagt Jäger, "und ich wusste: Das ist meins."

Als er älter wurde und, dank Motorrad, unabhängiger, wurden die Felsen der Sächsischen Schweiz seine zweite Heimat. Und die Gesellschaft der Kletterfreunde, die ihn mit ihrem freien Denken ansteckte, ihm die Augen öffnete, wie er sagt. Schon damals kündigte Jäger zeitweise seinen Job im Wald, um klettern zu gehen. Den Staatsdienern war der "Arbeitsscheue" suspekt. Es kam zu kleineren Wortgefechten und kleinen Repressalien, die mit der Zeit größer wurden, bis sich Jäger in Schmilka eines Tags in Handschellen wiederfand, wegen angeblichen illegalen Grenzübertritts.
Mike Jäger sah im alten Schmilka ein Dorf der Hilfspolizisten und Büttel. Verblüffend findet er es deshalb, dass er nach dem Fall der Mauer, die er noch im Sommer 1989 per Ausreise hinter sich ließ, ausgerechnet in dieses Schmilka zurückkehrte und hier sesshaft wurde. Der Sog des Sandsteins war stärker als die unguten Gefühle. Die Natur, sagt er, ist seine heile Welt. "Die Natur hilft mir, meine Seele zu heilen und Kraft zu tanken."

Mike Jäger faltet seine lange Gestalt in den Stuhl vorm Computer und beginnt, Fotos seiner Welt auf den Bildschirm zu rufen. Es sind Fotos des Untergangs: himmelhohe Rauchsäulen, verkohlte Stämme, Baumkronen, die wie Fackeln lodern. Ein Bild, das er vom Schmilkaer Fähranleger aus aufnahm, zeigt, wie eine höllische Feuerwolke beim nahen Hřensko aufschießt. Die Worte des entsetzten Feuerwehrmanns neben ihm hört Jäger mit Grausen, denn sie klingen, als würde die Welt untergehen: "Das war's jetzt!"
Kletterfelsen offenbar nicht beschädigt
Der Naturfreund Jäger hatte Tränen in den Augen bei manchem Motiv, das er einfing. "Ich dachte: Meine Sächsische Schweiz brennt ab." Inzwischen hat er den Schock überwunden. Auf den Brandflächen grünt es schon wieder. Zwar ist der Anmarsch zu manchem Klettergipfel schwierig, ja sogar riskant, wegen der immensen Aschemengen und der sturzgefährdeten Bäume. Die Felsen selbst, soweit er das beurteilen kann, sind intakt. Sein Therapieraum steht noch.

Wenn Touristiker und auch ganz normale Einwohner der Sächsischen Schweiz sagen, dass der Waldbrand mit seinen Folgen ihre Existenz bedroht, wird Mike Jäger grundsätzlich. Ihn stört es, dass der Fokus auf Tourismusproblemen liegt. "Was unsere Existenz bedroht, ist unser eigenes Handeln." Der Klimawandel hat den Wald ausgetrocknet, Totholz hin oder her. Die dürre Krautschicht habe zuerst gebrannt und das Feuer auch über abgeräumte Flächen getragen. Tote Bäume sind für den Boden noch immer ein besserer Schutz, sagt Jäger, als gar keine Bäume.
Kletterfan: Boofen sollte verboten sein
Wenn jetzt Hilfsgelder des Freistaats fließen sollen, um extra Werbung für die Sächsische Schweiz zu machen, findet Mike Jäger das falsch. Seiner Ansicht nach sind schon jetzt zu viele Menschen hier. Und je mehr kämen, desto mehr Unsinn werde gemacht. Beinahe jeden Tag, den er im Wald verbringt, erlebt er diesen Unsinn: plärrende Musikboxen, Kackehaufen, Feuerstellen, Partys in der Boofe. Wenn es nach ihm ginge, würde das Freiübernachten im Nationalpark als unzeitgemäßes Privileg abgeschafft.

Mike Jäger sagt, was er denkt, und das mit Nachdruck. Er tritt vielen auf die Füße. Dabei behauptet er nicht, den Stein der Weisen zu besitzen. Ihm ist klar, dass es ohne Tourismus nicht geht. Ein Mittelweg müsste gefunden werden. Wo genau der verläuft, weiß auch er nicht. "Es gibt nie eine einfache Antwort auf ein komplexes Problem."
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Woran er nicht rütteln lässt, ist der Nationalparktitel für sein "Wohnzimmer". Im Nationalpark könne die Natur zeigen, dass sie den Menschen, der immer alles besser wissen wollen, überhaupt nicht braucht, auch nicht nach dem Feuer. Aus der Asche wird etwas Neues, etwas Besseres entstehen, da ist sich Jäger sicher. "Etwas, das Kraft hat, und Bestand."