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Warum all die Aufregung ums Gendern?

Das Gendern ist ein Dauerbrenner, auf der Straße, in den Medien, in der Politik. Geht es wirklich nur um Sprache? Oder steckt mehr dahinter? Ein Streitgespräch.

Von Oliver Reinhard
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Im Podcast Debatte in Sachsen zum Thema Gendersprache diskutierten in der Frauenkirche: Viola Klein (r-l), Christian Piwarz, Kathrin Kondaurow und Barbara Schlücker. Moderiert wurde das Format von SZ-Redakteur Oliver Reinhard (l).
Im Podcast Debatte in Sachsen zum Thema Gendersprache diskutierten in der Frauenkirche: Viola Klein (r-l), Christian Piwarz, Kathrin Kondaurow und Barbara Schlücker. Moderiert wurde das Format von SZ-Redakteur Oliver Reinhard (l). © Matthias Hundt

Für den Podcast "Debatte in Sachsen" diskutierten in der Frauenkirche Dresden Viola Klein, Gesellschafterin & Geschäftsführerin der Saxonia Systems Holding GmbH, Staatsoperettenintendantin Kathrin Kondaurow, die Leipziger Sprachwissenschaftlerin Professor Barbara Schlücker und Christian Piwarz, Sachsens Staatsminister für Kultus. Die Moderation hatte Oliver Reinhard, stellvertretender Feuilletonleiter bei Sächsische.de. Die Diskussion in Auszügen.

Frau Professorin Schlücker, lassen Sie uns zu Beginn einmal unser heutiges Streitobjekt definieren: Was ist Gendern überhaupt?

Barbara Schlücker: Ich spreche lieber von geschlechtergerechter oder geschlechtersensibler Sprache, weil der Begriff Gendern sehr negativ besetzt und längst zum Reizwort geworden ist. Wir verstehen darunter die Sichtbarmachung von Mann und Frau in der Sprache. In den letzten Jahren sind noch nichtbinäre Personen hinzugekommen, die sich keinem der beiden genannten Geschlechter zuordnen. Die Gendersprache reicht von der Beidnennung – also etwa Lehrerinnen und Lehrer – bis hin zum Glottisschlag, der „Genderpause“ im Gesprochenen, und Sonderzeichen wie Stern oder Doppelpunkt in der Schrift.

Bis auf Letzteres ist Gendersprache ja auch kein Aufreger, oder?

Barbara Schlücker: Nein, die Beidnennung gibt es schon lange, oft werden auch umschreibende Begriffe verwendet, die vom Geschlecht abstrahieren, zum Beispiel das Wort „Lehrkräfte“. Umstrittener sind da schon Partizip-Formen wie „Lehrende“ oder „Studierende“.

Frau Klein, Sie als Unternehmerin lehnen trotzdem Gendersprache ab. Warum?

Viola Klein: Weil ich das ganze Projekt, wie es sich auch in den Medien niederschlägt, für ein akademisches Elitenprojekt halte, das an den Lebens- und Sprachwirklichkeiten der Menschen im Allgemeinen ziemlich vorbeigeht. Ungefähr zwei Drittel der Bevölkerung lehnen das Gendern ab. Das sind ja nicht alles ungebildete und dumme Menschen. Und ich finde, Deutschland hat genug Probleme, als dass wir uns auch noch mit so was befassen sollten.

Ist Sprache denn kein wichtiges Thema?

Viola Klein: Doch, und natürlich sollte man eine Ärztin und eine Lehrerin auch so nennen. Aber nur durch gerechtere Sprache kommt keine einzige Frau schneller an einen Job im Vorstand eines Unternehmens oder im Aufsichtsrat. Nicht eine wird dadurch mehr Gehalt bekommen, dass wir alle gendern. Das Gendern an sich löst die Probleme nicht, es müssen gleiche Chancen für alle her!

Barbara Schlücker: Aber wer behauptet das denn? Das ist doch ein Scheinargument, darum geht es bei der geschlechtergerechten Sprache gar nicht.

Kathrin Kondaurow: Es geht um Bewusstsein und um Bewusstmachung. In vielen Führungsetagen kommen Frauen sprachlich gar nicht vor. Und es macht schon einen Bewusstseins-Unterschied, ob wir zum Beispiel von einer Intendantenrunde im Deutschen Bühnenverein reden oder von einer Intendant:innenrunde, weil wir nur damit das ganze Spektrum an Personen und Personengruppen mit abbilden. Bei uns an der Operette wird das im künstlerischen Bereich noch deutlicher. Wir haben ein sehr internationales und diverses Ensemble. Insofern bin ich sehr dafür, bewusst mit der Sprache umzugehen und so zu reden, dass sich alle angesprochen fühlen.

Kathrin Kondaurow ist Intendantin der Dresdner Staatsoperette. Sie sagt: "Wir haben ein sehr internationales und diverses Ensemble. Insofern bin ich sehr dafür, bewusst mit der Sprache umzugehen und so zu reden, dass sich alle angesprochen fühlen."
Kathrin Kondaurow ist Intendantin der Dresdner Staatsoperette. Sie sagt: "Wir haben ein sehr internationales und diverses Ensemble. Insofern bin ich sehr dafür, bewusst mit der Sprache umzugehen und so zu reden, dass sich alle angesprochen fühlen." © Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Frau Kondaurow, Sie sind Mutter von drei Kindern im Teenie-Alter. Wie handhaben Sie das in der Familie?

Kathrin Kondaurow: Meine Kinder haben einen ganz natürlichen Umgang mit geschlechtergerechter Sprache und hinterfragen das Thema gar nicht.

Herr Minister Piwarz, gendern auch Ihre Kinder?

Christian Piwarz: Natürlich spielt das Thema unter Jugendlichen und Kindern eine Rolle, und ich finde es grundsätzlich sehr gut, dass sie sich damit auseinandersetzen. Das muss Teil einer guten schulischen Bildung sein, sich mit Rollenverständnis und Rollenklischees und der Frage auseinanderzusetzen: Wie schaffen wir tatsächliche Gleichberechtigung in unserer Gesellschaft? Dass Gleichberechtigung auch über Sprache funktioniert, darüber sind wir uns vollständig einig.

Trotzdem empfehlen Sie für Sachsens Schulen zwar gendergerechte Sprache in Form von Doppelnennungen wie „Schülerinnen und Schüler“, untersagen aber den Gebrauch von Sonderzeichen. Warum?

Piwarz: Weil wir im Kultusministerium darauf achten müssen, dass wir Kindern und Jugendlichen die Sprache in Wort und Schrift vermitteln. Und wenn ich an den Shitstorm denke, den wir dafür kassiert haben, finde ich es geradezu grotesk, dass ich mich als für die Schulen verantwortlicher Kultusminister dafür rechtfertigen muss, die Einhaltung der geltenden Rechtschreibregeln einzufordern. Und dass die Mehrheit der Bevölkerung ein Problem mit Gendersprache in Form von Sonderzeichen hat, muss man auch zur Kenntnis nehmen in einer Demokratie, da bin ich ganz bei Frau Klein. Und eine Elite, die anderen Menschen gegen deren Willen etwas überhelfen will – da bin ich ganz vorsichtig, das hatten wir alles schon mal, das brauchen wir nicht noch mal!

Kondaurow: Ich denke, dass sich in unserer Debatte auch ein Generationenkonflikt abbildet. Im Sprachgebrauch der Kinder und Jugendlichen und überhaupt jüngerer Menschen ist das – genauso wie in unserem künstlerischen Ensemble – eigentlich kein Streitthema. Der Umgang damit ist absolut natürlich und normal, weil Kinder und Jugendliche heute damit eben großwerden und Fragen nach Rollenzugehörigkeit, Rollenklischees und Rollenzuschreibungen zu ihren Lebenserfahrungen gehören. Sie gehen damit auch sehr frei um, ohne Zwänge. Auch mit den Sonderzeichen in der Sprache.

Piwarz: Natürlich wenden das auch Jugendliche an. Ob mir das nun gefällt oder nicht, sei dahingestellt. Aber wenn wir unseren Blick mal nicht nur auf großstädtische Gymnasien beschränken, sondern ihn auch auf Schulen in den Regionen richten, dann werden Sie feststellen: Dort spielt das Thema überhaupt keine Rolle, es wird auch nicht gegendert. Dort ist es eher wichtig, dass wir zwar sensibilisiert sind für Sprache und deren Bedeutung, aber vor allem, dass wir klare Regeln haben, an die wir uns halten.

Sie bilden an der Uni Leipzig auch künftige Lehrerinnen und Lehrer aus, Frau Schlücker. Was sagen die zum Erlass des Kultusministeriums, Sonderzeichen in der Gendersprache zu untersagen?

Schlücker: Wir haben intensive Diskussionen darüber. Viele unserer Studierenden sind ja schon während des Studiums in Schulen tätig und erfahren dort, dass viele Schülerinnen und Schüler erbost sind, weil sie sich bevormundet fühlen, dass ihnen faktisch ein Sprachverbot auferlegt wird. Und das betrifft nicht nur Schulen, sondern auch Bildungseinrichtungen, die mit den Schulen kooperieren.

Wie zum Beispiel „Schule gegen Rassismus“, für die Gendersprache das Normale ist.

Schlücker: Zum Beispiel. Insofern ist es schon komisch, dass ständig über einen angeblichen Genderzwang geredet wird, den es tatsächlich gar nicht gibt, aber die Weisung des Kultusministeriums ja ein echtes Verbot – auch für Dritte außerhalb der Schule – ist, ein Nicht-Gender-Zwang. Das finde ich als aus linguistischer Sicht sehr problematisch, eben weil Sprache allen gehört und es möglich sein muss, auch Gendersprache zu verwenden.

Unternehmerin Viola Klein hält das Gendern "für ein akademisches Elitenprojekt halte, das an den Lebens- und Sprachwirklichkeiten der Menschen im Allgemeinen ziemlich vorbeigeht".
Unternehmerin Viola Klein hält das Gendern "für ein akademisches Elitenprojekt halte, das an den Lebens- und Sprachwirklichkeiten der Menschen im Allgemeinen ziemlich vorbeigeht". ©  André Wirsig

Piwarz: Mit Verlaub, was ist denn das jetzt? Wir haben ein klares Regelwerk der deutschen Rechtschreibung. Was gibt Ihnen das Recht und die moralische Kraft, sich darüberzustellen? Es stört mich wirklich massiv in dieser Diskussion, dass Sie glauben, Sie seien auf einem besseren Weg als alle anderen. Und Sie wissen genau, dass es an einigen Hochschulen zwar offiziell keinen Genderzwang gibt, aber entsprechende Empfehlungen, mit denen ein ziemlicher Druck ausgeübt wird, unter dem viele Menschen aus dem akademischen Mittelbau sehr leiden. Auch darüber müssen wir sprechen. Dass die einen eben nicht moralisch besser sind als die anderen.

Schlücker: Sie reden schon wieder nur über Genderstern oder Doppelpunkt. Aber es gibt doch ganz viele verschiedene Möglichkeiten, geschlechtergerechte Sprache zu verwenden, und irgendwelche Empfehlung sind trotzdem etwas anderes als ein konkretes Verbot. Natürlich möchte ich die Schönheit der Sprache vermitteln, aber dazu gehört eben auch, dass ich die Vielfalt der Sprache ermöglichen möchte.

Klein: Ich möchte das auch noch mal unterstreichen: Solange es Regeln gibt, werden die eingehalten, Punkt. Kinder können nur Sprache und Kommunikation lernen, wenn sie sich an festen Regeln orientieren. Wenn sich die Sprache dann irgendwann ändert, können auch die Regeln angepasst werden. Unsere Diskussion hier zeigt aber auch, dass es nicht nur um die Sprache geht. Sondern um Polemik und Politik und das Durchsetzen von „politisch korrekten“ Meinungen auch über die Köpfe der Menschen hinweg!

Ist Gendersprache für Sie ein politisches Statement?

Klein: Absolut. Und dieses Eindringen der Politik in die Sprache polarisiert die Menschen immer mehr. Warum sehen wir das nicht lockerer? Wer gendern will, soll das machen, wer nicht will, soll es lassen können. Aber in der Schule, beim Erlernen von Sprache, braucht es klare Regeln.

Schlücker: Die helfen aber nicht, wenn wir versuchen, auch Menschen sprachlich sichtbar zu machen, die sich eben nicht als entweder männlich oder weiblich verstehen. Das ist ja nicht nur irgendeine Spielerei. Klar kann man jetzt denken: Was interessieren mich diese Leute? Das ist doch der springende Punkt: Dass wir Menschen, die ansonsten nicht sehr stark repräsentiert und also unsichtbar sind, in unserer Sprache mitnennen.

Die Leipziger Sprachwissenschaftlerin Barbara Schlücker findet das Verbot von Gender-Schriftsprache mit Sonderzeichen an Sachsens Schulen "sehr problematisch, weil Sprache allen gehört und es möglich sein muss, auch Gendersprache zu verwenden".
Die Leipziger Sprachwissenschaftlerin Barbara Schlücker findet das Verbot von Gender-Schriftsprache mit Sonderzeichen an Sachsens Schulen "sehr problematisch, weil Sprache allen gehört und es möglich sein muss, auch Gendersprache zu verwenden". © privat

Kondaurow: Wenn wir dafür mit Sonderzeichen arbeiten, liegt das doch nur daran, dass wir noch keine andere Lösung gefunden haben. Vielleicht könnten Sie innerhalb Ihres Ministeriums oder innerhalb der Kultusministerkonferenz auch mal über solche Fragen debattieren, Herr Piwarz: Wie könnte ein Kompromiss aussehen, mit dem wir uns von diesen Sonderzeichen entfernen und geschlechtergerechte Sprache einfacher und flüssiger gestalten?

Piwarz: Frau Kondaurow, bei dem Ziel, geschlechtergerechte und geschlechtersensible Sprache anzuwenden, sind wir uns völlig einig. Und dass wir da Aufholbedarf haben, auch in der Alltagssprache, ist völlig unbestritten. Ich will trotzdem den Blick noch mal darauf lenken, dass wir beim Heranführen von Kindern und Jugendlichen an unsere Sprache vor vielfältigen Herausforderungen stehen. Nicht nur, was das Thema Migration betrifft, denn Integration kann nur über Sprache gelingen. Wir haben aber bereits jetzt derartige Leistungsunterschiede schon an Grundschulen, dass es mich mit großer Sorge erfüllt.

Was genau treibt Sie um?

Piwarz: Wie die benachteiligteren Kinder nach dem vierten Schuljahr den Schritt an die weiterführenden Schulen schaffen sollen, ganz egal, ob Oberschule oder Gymnasium. Bei all dem müssen wir Sprache so halten, dass sie vermittelbar und verständlich ist, dass sie gelernt und sicher angewendet werden kann. Für das alles – übrigens auch für die vielen Erwachsenen, die Schwierigkeiten beim Umgang mit der Sprache haben, brauchen wir eine barrierefreie, leicht zugängliche Sprache. Und so leid es mir tut, das so deutlich sagen zu müssen: Das betrifft eine deutlich höhere Anzahl von Menschen in unserem Land als die derjenigen, die sich nicht zweifelsfrei einem Geschlecht zuordnen können.

Kondaurow: Aber wollen Sie die anderen dann ausgrenzen?

Piwarz: Wir haben eine Aufgabe in unserer demokratischen Gesellschaft, Minderheiten zu schützen. Und bei Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich diesen beiden biologischen Geschlechtern zuzuordnen, ist das ohne Zweifel so, dass wir dort besonderen Schutz und besondere Zuwendung anheimstellen. Aber wir haben eben auch eine Verpflichtung gegenüber der übergroßen Mehrheit in unserem Land, auch sie mitzunehmen und zu beteiligen. Und das geht eben nicht von oben herab, sondern nur gemeinsam im Diskurs.

Kondaurow: Genau das ist ja der Punkt: Wir wollen niemanden ausgrenzen. Insofern finde ich es schwierig, wenn Sie einerseits sagen, wir müssen den Menschen gerecht werden, die wir nur mit einfacher Sprache erreichen, aber andererseits die Sprache nicht so weit öffnen wollen, dass alle Geschlechter auch mitgemeint sind. Deshalb meine ich: Lassen Sie uns doch einen Weg finden, die geschlechtergerechte Sprache, wie soll ich sagen, geschmeidiger, schöner, ohne Sonderzeichen so in die Sprache zu integrieren, dass sie für alle leicht vermittelbar ist.

Zumindest im Mündlichen ist selbst der Sonderzeichen-Gendersprech ja nun lautlich gar nichts so Ungewöhnliches. Ob wir nun Handwerker-Innung sagen oder Handwerker:innen – es ist dieselbe kurze Lautpause. Welche Rolle spielt die Gewohnheit, Frau Schlücker?

Schlücker: Eine große. Sprache ist in stetigem Wandel begriffen, und was uns jetzt fremd und unästhetisch vorkommt, wirkt in 10, 20 oder 30 Jahren vermutlich völlig normal. Natürlich haben Sie vollkommen recht, Herr Piwarz, dass wir auch Menschen mitnehmen müssen, die hier neu ankommen. Eben das ist aber kein Argument gegen, sondern für geschlechtersensible Sprache, weil die ja schon von vielen Menschen, gerade auch jüngeren, praktiziert wird. Es ist also wichtig, damit zu arbeiten, weil es schon ein Teil der Lebensrealität ist. Und meine Prognose lautet: Das generische Maskulinum ist schon auf dem Rückzug und wird weiter abnehmen, geschlechtersensible Sprache nimmt im Gebrauch zu, bleibt aber vorerst noch variantenreich.

Klein: Wir reden mit in einer demokratischen Gesellschaft. Und wenn über 80 Prozent der Leute diese Sprache nie anwenden wollen, sollten wir drüber nachdenken, warum sie das nicht wollen. Und ich bin da wirklich sehr bei Ihnen, Frau Kondaurow: Es muss andere Konzepte und andere Lösungen geben, ohne Sonderzeichen.

Sachsens Kultusminister Piwarz, findet es "geradezu grotesk, dass ich mich als für die Schulen verantwortlicher Minister dafür rechtfertigen muss, die Einhaltung der geltenden Rechtschreibregeln einzufordern".
Sachsens Kultusminister Piwarz, findet es "geradezu grotesk, dass ich mich als für die Schulen verantwortlicher Minister dafür rechtfertigen muss, die Einhaltung der geltenden Rechtschreibregeln einzufordern". © Kristin Richter

Herr Piwarz, Frau Klein hat es eben schon angesprochen: Gendersprache ist politische Sprache. Ihre Partei, die CDU macht sie auch immer wieder zum Politikum und wettert dagegen, auf nahezu jedem großen und kleinen Parteitag. Warum?

Piwarz: Ich stelle die Frage zurück: Es sind doch Ihre Kolleginnen und Kollegen, die das Thema hochgeschrieben haben. Das sieht man gerade daran, wie die Medien auf unsere Weisung an die Schulleitungen reagiert haben. Sie haben darüber ganz groß berichtet, weil Sie gehofft haben, damit schnell Klicks abzugreifen, denn das ist natürlich ein Thema, bei dem der sprichwörtliche Taler rollt, um es mal so auszudrücken. Das müssen Sie nicht meiner Partei, der CDU, in die Schuhe schieben.

Meine Frage zielt natürlich darauf ab, dass Ihre Partei mit dem Thema billig Stimmen abgreifen will. Sie drehen es kurzerhand um und beklagen, dass „die Medien“ damit billig Klicks abgreifen wollen ... ist das nicht selbst ein bisschen billig?

Piwarz: Ich mache das der Presse ja nicht zum Vorwurf, ich verstehe doch, wie die Mechanismen funktionieren.

In diesem Punkt ähnlich wie in der Politik.

Piwarz: Das ist auch vollkommen in Ordnung in der Demokratie. Aber wir haben die Weisung ja nicht erlassen, um Außenwirkung zu erzielen. Sondern um Sachpolitik zu machen. Aber sofort stand ich deshalb am Pranger, was natürlich wieder aus bestimmten Kreisen kam. Man ist mittlerweile schon ein Rechtspopulist, wenn man die Regeln der deutschen Rechtschreibung einhalten will.

Womit wir mal wieder bei der kuriosen Frage wären: Was war zuerst da, das Huhn oder das Ei? Hat die Politik die Gendersprache zum großen Thema gemacht, oder kam das aus der Gesellschaft?

Kondaurow: Sie machen das Thema zu einem Politikum, Herr Piwarz, aber wir können es doch nicht wirklich zu einer demokratischen Angelegenheit machen. Dann grenzt die Mehrheit ja wieder die Minderheit aus. Sie reden von 80 Prozent, Frau Klein, die keine Gendersprache verwenden. Aber wir können doch den übrigen 20 Prozent, die diese Sprache verwenden, das nicht einfach so untersagen.

Piwarz: Damit Sie mich nicht missverstehen: Dass 80 Prozent diese Sprache nicht sprechen, heißt nicht, dass wir uns automatisch nach diesen 80 Prozent richten müssen. Aber ich fordere ein, dass man diese 80 Prozent ernst nimmt.

Geschieht das zu wenig?

Piwarz: Es gibt Vertreterinnen und Vertreter bestimmter politischer und gesellschaftlicher Gruppierungen, gerade im akademischen Bereich, die das Thema Gendern vorantreiben. Das ist deren gutes Recht. Aber ich werbe nur dafür, dass wir darüber nicht nur in diesen Kreisen diskutieren, die sich selber für progressiv halten, sondern eben auch die anderen nicht vergessen. Und das ist ganz offenkundig die klare Mehrheit.

Schlücker: Wer genau sind denn „diese Kreise“?

Piwarz: Kreise, die ganz klar greifbar sind im politischen Bereich und im gesellschaftlichen Bereich. Sie wissen ganz genau, was an Universitäten passiert, Frau Schlücker: dass das Nicht-Verwenden von Sonderzeichen der gendergerechten Sprache in den Arbeiten von Studierenden als Fehler angerechnet wird.

Das habe ich ziemlich gründlich recherchiert: Es gab exakt einen Fall, und der verantwortliche Dozent wurde von der eigenen Universitätsleitung dafür kritisiert.

Schlücker: Es gab auch einen umgekehrten Fall, der dokumentiert ist, dass jemand wegen der Verwendung von Gendersternchen schlechter benotet wurde. So einfach ist es also nicht.

Piwarz: Ich wäre schon sehr zufrieden, wenn wir uns als Quintessenz aus diesem Gespräch darauf verständigen, dass wir gemeinsam an dem Thema dranbleiben müssen. Wir müssen darüber sprechen, wie wir eine gerechtere Sprache anlegen und wie wir sie im Alltag anwenden können. Wenn es uns da gelingt, zu einer Gemeinsamkeit in der Debatte zu kommen, dann hätten wir heute ja schon was geschafft.

Kondaurow: Aus meiner Sicht sind wir mittendrin in der Debatte. Und aus meiner Sicht gehört aber auch dazu, die Sonderzeichen mit zu akzeptieren, als Teil des Prozesses.

Klein: Es geht doch nicht immer darum, dass man recht behält oder seine Meinung durchsetzt und nur die, die diese Meinung teilen, moralisch gut und vollwertig sind. Aber noch mal zum Schluss: Wir sind doch alle gar nicht so weit auseinander. Bei der Schule bin ich ganz klar für die Einhaltung der geltenden Regeln. Ansonsten sollten wir es vielleicht einfach mal zulassen, wenn Leute gendern wollen. Ich mache das ja auch, aber ohne Sternchen und Sprechpausen, ich spreche lieber meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an. Und ich wünsche mir, dass wir das Thema ein bisschen entspannter angehen und es nicht mit Moralvorstellungen überfrachten, erst recht nicht in der Politik und den Medien. Und die Schönheit der Sprache, jetzt komme ich zum Schluss, sollte doch wirklich erhalten bleiben.

Notiert nach dem Podcast „Debatte in Sachsen“