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Warum Vögel häufiger fremdgehen

Amseln blicken sich tief in die Augen, Schwalben vermessen Schwanzfedern, und Gänse bekommen Herzklopfen: Spannend ist es, das Liebesleben der Vögel.

Von Christina Wittig-Tausch
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Kraniche musizieren nicht nur gemeinsam, beim Balzen tanzen sie auch.
Kraniche musizieren nicht nur gemeinsam, beim Balzen tanzen sie auch. © dpa pa

Süß, die Ringeltauben. Um sich näherzukommen, bietet das Männchen zunächst eine Flugschau dar. Wenn das Weibchen ihn lässt, hockt er sich in ihre Nähe, und beide putzen ausgiebig ihr Gefieder. Schließlich will man schön sein für den anderen. Dann beginnen sie, sich am Hals zu kraulen.

So beschaulich geht es im Liebesleben der Vögel nicht immer zu. Der Autor und Ökologe Ernst Paul Dörfler aus Sachsen-Anhalt hat gerade ein sehr lesenswertes Buch dazu vorgelegt. Bunt und laut wird es vor allem in diesen Tagen, in denen es wieder heller und wärmer ist und das Nahrungsangebot steigt. Hormone überschwemmen die Vögel. Fieberhaft wird nach einem Partner gesucht.

Die Männchen mancher Arten putzen sich visuell heraus. Andere setzen auf akustische Fähigkeiten. Manche verbinden beides. Das Amselmännchen bewirbt sich durch intensiven Gesang, aber das Weibchen achtet auch auf Äußerlichkeiten. Schimmern Augenringe und Schnabel in einem intensiven Orange, ist dies das Zeichen für Gesundheit. Die Carotinoide von Früchten sorgen nicht nur für Farbe, sondern stärken die Abwehrkräfte. Auch Buchfinken-Männchen leuchten derzeit prachtvoll. Rosa der Bauch, blaugrau der Kopf und der Schnabel, der sonst blassrosa ist. Vögel haben wesentlich bessere Augen als Menschen und nehmen den UV-Bereich wahr, sodass das Farbspiel für sie wesentlich intensiver sein dürfte.

Zaunkönige indes sind klein und vom Gefieder unauffällig. Dafür gehören sie trotz ihres geringen Gewichts von zehn Gramm zu den gewaltigsten Sängern. Mitunter erreichen Männchen mit ihrem Gesang bis zu 90 Dezibel Lautstärke. Auch Nachtigall-Männchen sind körperlich eher unauffällig, setzen jedoch auf die Kraft ihrer Stimme. „Da sind von ihrem süßen Schall die Rosen aufgesprungen“, so dichtete einst Theodor Storm. Hat der Vogel eine Partnerin gefunden, stürzt er sich ins Familienleben. Fortan hört man ihn kaum noch. Der sehnsuchtsvolle Nachtigallen-Gesang im Mai oder Juni stammt von Tieren, die allein geblieben sind.

Ringeltauben lassen sich viel Zeit für das Liebeswerben. Gern streicheln sie sich an Kopf und Hals. Manche leben in Dauerehe. Viele Ringeltauben leben eine Saison monogam. Im nächsten Frühling gehen sie erneut auf Partnersuche.
Ringeltauben lassen sich viel Zeit für das Liebeswerben. Gern streicheln sie sich an Kopf und Hals. Manche leben in Dauerehe. Viele Ringeltauben leben eine Saison monogam. Im nächsten Frühling gehen sie erneut auf Partnersuche. © dpa pa

Im Lauf der Evolution haben Männchen die unterschiedlichsten Taktiken entwickelt, um Weibchen von sich zu überzeugen. Die Immobilie spielt dabei eine große Rolle. Star-Männchen legen ihre Nester sogar mit Blüten aus, bevor sie sie präsentieren. Manche Arten machen Geschenke. Eulen überreichen eine Maus, Eisvögel einen Fisch. Spatzen-Weibchen bevorzugen die schnellsten Flieger, die bei Wettbewerben ermittelt werden. Bei den Kranichen wird heftig getanzt, bevor es zur Sache geht. Schwalben-Weibchen legen auf ganz andere Dinge Wert. Sie sehen aus wie die Männchen, zwitschern wie diese und fliegen mit 70 km/h genauso rasant. Das entscheidende Kriterium für die Gattenwahl ist offenbar die Länge des Schwanzes, besonders der beiden Steuerfedern. Diese Schwanzspieße werden genau vermessen.

Die Kopulation in der Vogelwelt ist meist eine eher schnelle Angelegenheit. Das Männchen lässt sich auf dem Rücken des Weibchens nieder. Für einige Sekunden wird Kloake auf Kloake gepresst, so heißt wenig poetisch jene Körperöffnung der Vögel, die gleichermaßen für Verdauung und Fortpflanzung genutzt wird. Da Vögel viele Feinde haben, müssen sie jederzeit und schnellstens flüchten können. Nur die Männchen weniger Arten haben einen Penis.

Viele Vogelarten kopulieren mehrfach am Tag oder an mehreren Tagen. Die Zahl der Eier, die die Weibchen bald darauf legen, schwankt je nach Art, ebenso die Anzahl der Bruten pro Jahr. Bei vielen Arten kümmern sich zwei feste Partner gemeinsam um die Brut. Aber es gibt immer auch Ausnahmen. Bei den Beutelmeisen suchen sowohl Männchen als auch Weibchen nach der Eiablage gern das Weite und überlassen das Ausbrüten und Füttern dem Partner, der nicht schnell genug fort war. Manchmal werfen die Weibchen die Männchen aus dem mit allerlei wolligen Materialien ausgekleideten Nest und verwehren jede Rückkehr.

Ein völlig anderes Modell leben die Nandus, jene exotischen Vögel, die aus Gefangenschaft entkommen sind und seither in Mecklenburg siedeln: Die Männchen sitzen auf dem schlichten Bodennest mit zehn oder noch mehr Eiern von verschiedenen Müttern, brüten sie aus und kümmern sich nach dem Schlüpfen über Monate um die Jungvögel.

Sozial treu, sexuell weniger

Lange Zeit galt die Annahme, dass ungefähr 90 Prozent der Vögel in festen Partnerschaften leben, die eine Saison halten können oder in manchen Fällen ein Vogelleben lang, also durchaus mehrere Jahre. Inzwischen habe sich in der Wissenschaft eine neue Sichtweise durchgesetzt, so Dörfler. Danach leben 90 Prozent der Vogelarten vorrangig monogam. „Die Monogamie der meisten Vögel ist in der Regel keine sexuelle Monogamie. Sie ist eine soziale Monogamie. Man lebt zwar als Vogel paarweise zusammen und erledigt den Alltag mit Bravour, aber darüber hinaus gibt es Beziehungen in verschiedenste Richtungen.“

Die Tannenmeise ist eine jener Arten, die lange Zeit als treu galt. Ebenso wie bei anderen Meisenarten, bei Haussperlingen oder Schwalbenarten fanden sich bei Untersuchungen aber erstaunlich viele Küken im Nest, die nicht vom Partner abstammten, sondern von Männchen aus benachbarten Revieren. Die Weibchen achteten darauf, heimlich fremdzugehen. Wurde der Gatte Augenzeuge, schwand die Bereitschaft, sich um den Nachwuchs zu kümmern. In einigen Fällen verließen sie das Weibchen. Bis zu 70 Prozent des Nachwuchses im Nest stammte von anderen Männchen. Damit gilt die Tannenmeise als eine der eifrigsten Fremdgeherinnen.

Das Liebesleben der Vögel richtet sich neben der Verfügbarkeit von Partnern und Nahrungsangebot auch nach dem Klima. Angesichts von Klimaextremen steigt offenbar die Bereitschaft, mit verschiedenen Partnern zu kopulieren, um den Arterhalt zu sichern. Damit wird es wahrscheinlicher, dass eins der Jungen genetisch so ausgestattet ist, um schwierige Umweltbedingungen besser zu bewältigen.

Woher das Vögeln kommt

Zu den zehn Prozent, von denen lange bekannt ist, dass sie nicht monogam sind, zählen Hühnervögel. Das Leben und Treiben der Haushühner fand über Jahrhunderte im unmittelbaren Umfeld der Menschen statt. Die Damen wandten sich zahlreich dem Hahn zu, der bei heftigen Kämpfen gesiegt hatte. Die Begattung wurde im Mittelhochdeutschen mit dem Begriff „vogelin“ umschrieben. Später wurde das Wort „vögeln“ auf den Menschen übertragen. Sogar bei Goethe findet es sich.

Offenbar ist aber auch die Vogelliebe nicht allein mit Trieben und Pflichten verbunden, sondern mit großen Gefühlen. Das ahnt nahezu jeder Mensch, der in der Dämmerung dem unfassbaren Frühlingsgesang der Vögel lauscht. Wissenschaftlerinnen untersuchten die Herztätigkeit bei Gänsen. Näherte sich der oder die Liebste, erhöhte sich die Herzfrequenz von 100 Schlägen pro Minute auf 500 Schläge.