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Einsätze der Bergwacht: Wie es den Rettern geht

Was Bergwächter bei ihren Einsätzen in der Sächsischen Schweiz erleben, geht ihnen nahe. Für die Zukunft gibt es ein Problem.

Von Jochen Mayer
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Christoph Weber ist ehrenamtlich als Bergretter unterwegs. Mancher Einsatz geht ihm besonders ans Gemüt.
Christoph Weber ist ehrenamtlich als Bergretter unterwegs. Mancher Einsatz geht ihm besonders ans Gemüt. © Thomas Kretschel

Wer Klettern geht, lebt immer mit einem gewissen Risiko. Doch Nervenkitzel und Naturgenuss, Selbstbestätigung und Grenzerfahrungen wiegen die Gefahren des Natursports wieder auf. Und falls etwas in den Felsen passiert, gibt es ein Sicherungsnetz. Wer im Elbsandstein in Not gerät, kann auf die Bergwacht zählen. Die ist immer bereit: wochentags als Alarmgruppe, die bei Notrufen sofort zusammenkommt. Und an Wochenenden sind während der Klettersaison die Bergwachthütten in Rathen und Bielatal mit mindestens vier Rettern besetzt. Bemerkenswert: Sie sind alle ehrenamtlich unterwegs.

Warum lassen sich Menschen auf diesen Zusatzstress ein? Christoph Weber ist einer von gut 100 Bergrettern in der Sächsischen Schweiz. Jedoch bilden nur etwa 30 den harten Kern. Der 24-Jährige gehört dazu, ist Bergwacht-Koordinator und jüngster Leiter eines Bergwacht-Stützpunktes mit Standort in Sebnitz.

Die besondere Bergwachtgemeinschaft zieht Weber an, das Gemeinschaftsgefühl unter Gleichgesinnten. „Ich gehe gern mit den Kameraden raus klettern“, sagt er bei einem SZ-Gespräch in Sebnitz. Und der Stolpener will etwas zurückgeben. „Man macht etwas Gutes“, nennt er einen Grund für sein Engagement, „weil man Kletterer ist und weiß, was alles passieren kann.“

In den Alpen geriet er mal in eine kritische Lage: Sie hatten sich verlaufen, waren den falschen steilen Bergrücken nach oben gestiegen. „Wir mussten aber nicht die Bergwacht rufen“, erzählt Weber und fügt lachend hinzu: „Gott sei Dank, aber es kann schneller passieren, als man denkt. Oben wurde es immer schwerer. Wir mussten zurück. Im brüchigen, steilen Gelände war das Hochklettern leichter als der Abstieg. Abseilen oder Haken schlagen war unmöglich. Da ging uns ganz schön die Pumpe.“

Weber wollte eigentlich Medizin studieren, bekam dafür aber keine Zulassung. So gönnte er sich ein Auslandsjahr in Australien, bestieg in Neuseeland den Mount Cook, ging in Nepal auf der Annapurna-Runde in die Höhe. Danach meisterte er eine dreijährige Ausbildung zum Notfallsanitäter und arbeitet nun im Rettungsdienst Sebnitz. Die Bergwacht ist räumlich angeschlossen. In der Garage steht ein aufgerüsteter Landrover, geländegängig, wuchtig, mit „feiner Seiltechnik und Winde“, wie der Koordinator stolz berichtet. „Da kommt man fast überall durch.“

© Thomas Kretschel

In seinen vier Jahren im Rettungswagen auf Arbeit und bei der Bergwacht hatte er 34 Todesfälle zu verarbeiten. „Das ist jedes Mal schwer“, bestätigt der oftmalige Erstversorger. „Ich habe jeden Tag mit Notfallpatienten zu tun. Aber wenn meine Bergwachtkameraden das nur ein paar Mal im Jahr erleben, trifft sie das emotional noch viel mehr. Es ist ein tolles Hobby, aber auch ein hartes Brot für die Seele.“ In diesem Jahr hatte die Bergwacht in der Sächsischen Schweiz bereits 17 Mal mit Toten zu tun – wegen Herz- und Kreislaufversagen, Suiziden und bei sieben Kletter-Tragödien.

Besonders ans Gemüt gehen Einsätze, wenn die Retter das Opfer persönlich kennen. „Meinen krassesten Einsatz erlebte ich, als wir einen abgestürzten Kletterer retten wollten, den ich kannte“, erzählt Weber mit stockender Stimme. „Er war im Vorstieg abgestürzt. Wir haben alles gemacht, was möglich war. Er war anfangs noch ansprechbar und ist dann trotzdem gestorben. Das geht einem sehr nahe, wenn man dazu auch noch sieht, wie die Angehörigen und Freunde leiden.“

Weber kennt unterschiedliche Einsatzszenarien. Attacken gegen Retter hat er in den Bergen aber noch nicht erlebt. „Das liegt wohl auch daran, dass Leute, die in die Berge gehen, meist anständige Menschen sind“, vermutet er und begründet seinen Eindruck: „Sie sind meistens hilfsbereit, weil sie in den Verunglückten so etwas wie Gleichgesinnte sehen. Aber bei der Stadtrettung erleben wir oft gaffgeile und lästig neugierige Menschen, die gierig nach Fotos sind, die dann wohl in den unterschiedlichsten Kanälen in die Welt geschickt werden. Warum auch immer.“

Christoph Weber will Sportlehrer werden. Die Einsätze bei der Bergwacht absolviert er ehrenamtlich.
Christoph Weber will Sportlehrer werden. Die Einsätze bei der Bergwacht absolviert er ehrenamtlich. © Thomas Kretschel

Irgendwie fühlt sich Weber wie im Hamsterrad. Die Einsätze hören nicht auf in seiner rollenden Woche. Sehr selten bekommt er einen persönlichen Dank von Geretteten, die Weber mit erstversorgt hatte. „Wenn jemand bewusstlos ist, dann ist ein Dank nicht möglich“, sagt er. „Aber man bekommt selten eine Information im Nachgang, ob noch alles gut gegangen ist.“ Der Datenschutz will es so.

Gedanken macht sich der Bergwacht-Koordinator über die Zukunft. Noch verfügten sie für die Dienstpläne über genügend Freiwillige. Die meisten sind zwischen 40 und 55 Jahre alt. Der Älteste ist 65. Die Jüngsten sind 15. Und doch sieht Weber ein Nachwuchsproblem: „Die Jugend begeistert sich am Anfang bei uns, macht mit Leidenschaft bei der Jugend-Bergwacht mit.“ Das ändert sich, wenn das Abitur geschafft ist, viele zum Studium gehen, Familien gründen oder die Interessen sich ändern. „Steigende Einsatzzahlen und weniger Leute, das ist auf Dauer problematisch.“

Weber ist ausgelastet. Nebenbei studiert er noch in Leipzig Sport und Philosophie auf Gymnasial-Lehramt, bestritt gerade ein Praktikum an der Grundschule in Stolpen. Ausbilder für Industriekletterer bei der Höhensicherheitstechnik in Struppen ist er zudem. Für ihn bleibt es „sportlich, das alles auf die Reihe zu bekommen. Ich lebe für alle diese Tätigkeiten.“

Das Studium empfindet er dabei wie Urlaub, unter all den „jungen Leuten zu sein, die so unkompliziert sind“. Sein Ziel lautet: Sportlehrer an einem Gymnasium zu sein. Für die Bergrettung wird er weiter Zeit haben – und irgendwann vielleicht auch mal für eine Familie.