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Telefonterror nach Telefonsex-Werbung

Vor 30 Jahren ging das Dresdner Stadtmagazin Sax an den Start. Nicht mal Corona kann es jetzt bremsen.

Von Andy Dallmann
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Fünf Herren, ein Plan: Die Sax-Gründerväter stiegen 1990 extra aufs Dach, um den historischen Moment gebühren festzuhalten. Gegenüber vom Bahnhof Dresden-Neustadt setzten Peter Chemnitz, Uwe Stuhrberg, Bernhard Theilmann, Alexander Lange und Bernd Lorenz
Fünf Herren, ein Plan: Die Sax-Gründerväter stiegen 1990 extra aufs Dach, um den historischen Moment gebühren festzuhalten. Gegenüber vom Bahnhof Dresden-Neustadt setzten Peter Chemnitz, Uwe Stuhrberg, Bernhard Theilmann, Alexander Lange und Bernd Lorenz © Lothar Sprenger

Die Festkonzerte sind zwar auf November verschoben, doch das Ereignis selbst steht unerschütterlich als Termin im Kalender. Nicht mal Corona kann dem Dauerstolz etwas anhaben, selbst wenn Uwe Stuhrberg durch die Virus-Krise nur im Stillen der 30 Jahre Sax gedenken kann, die jetzt hinter ihm liegen. Stuhrberg gehörte 1990 zu den Gründern des Dresdner Stadtmagazins, ist seit Jahren dessen Chefredakteur, inzwischen auch Miteigentümer und sich sicher: „Es ist noch nie ein Heft ausgefallen und das wird auch in Zukunft nie passieren. Komme, was da wolle.“ Und so strickt er halbwegs gelassen die April-Ausgabe fertig. Das 361. Sax-Heft wird mit reduziertem Veranstaltungstermin-Teil, aber sonst mit gewohntem Umfang erscheinen. Klar, wer so viel mitgemacht hat, kriegt nicht gleich Panik.

„Ich bin und bleibe der gelernte Quereinsteiger“, sagt Stuhrberg und kichert leise. Am 1. Dezember im Geburtshaus Dresden-Neustadt, in dem heute die Raiffeisenbank residiert, zur Welt gekommen, machte er nach der Schule eine Lehre zum Elektronikfacharbeiter. „Fürs Abi war ich zu faul, also habe ich es später an der Schauspielschule versucht.“ Das hätte sogar geklappt, doch der beim Fußball ramponierte und folglich eingegipste Meniskus verhinderte die Bühnenkarriere. Also fing Stuhrberg bei der Betriebszeitung des VEB Elektromat an, schrieb zudem Konzertrezensionen für die Sächsischen Neuesten Nachrichten und mischte ab 1982 in der Scheune-Brigade, dem Jugendklub des Neustädter Kulturzentrums, mit. „Dann ging das 1989 los mit den ganzen Bürgerbewegungen; aus diesem Dunstkreis heraus formte sich schließlich auch das Gründungsteam der Sax.“

Sax-Chef Uwe Stuhrberg musste jetzt zwar die Feiern zum Jubiläum absagen, nicht aber das nächste Heft.
Sax-Chef Uwe Stuhrberg musste jetzt zwar die Feiern zum Jubiläum absagen, nicht aber das nächste Heft. © Angela Stuhrberg

Man traf sich halb konspirativ in der Wohnung des Lyrikers, Szene-Urgesteins und SZ-Autors Bernhard Theilmann. Stuhrberg: „An einem dunklen Februarabend 1990 kam ich in diese Bude, die Theilmann in den Siebzigern mit seiner Familie besetzt hatte. Da hing ein riesiges Penck-Gemälde im Flur und eine ziemlich wilde Truppe marschierte nach und nach ein.“ Vorbilder für das eigene Blatt seien die Kölner Stadtrevue und Zitty aus Berlin gewesen. „Politisch links, kritischer Ansatz, Lokalpolitik und Kultur, das wollten wir bündeln.“ Die Runde hätte sich dann relativ schnell gespalten, weil es einer Hälfte zu wenig um Kunst ging. „Diese Truppe startete mit ReiterIn später ihr eigenes Ding“, sagt Stuhrberg, der umgehend betont: „Das erste Stadtmagazin waren wir nicht. Noch vor uns gab es August.“ Allerdings hätte es dieses Blatt, das 14-tägig erschien, nur ganze acht Wochen lang gegeben. Sax war also damals und ist heute immer noch das einzige Dresdner Stadtmonatsmagazin, das es nicht gratis gibt.

Nebenjob als DJ

„Witzig ist, dass wir über die Jahre fast eine Familienzeitschrift geworden sind.“ Stuhrberg lacht und erklärt: „Wir haben noch viele Abonnenten aus den frühen Neunzigern. Die sind ja inzwischen auch 30 Jahre älter, haben Kinder, vielleicht schon Enkel, lesen treu die Sax und fragen tatsächlich immer mal, ob wir denn nicht mehr für Kinder bringen könnten.“ Aus Stuhrbergs Lachen wird ein nachdenkliches Lächeln. „Vielleicht sollten wir das tatsächlich mal durchdenken.“

Etliche Umbrüche hat dieses Produkt des gesellschaftlichen Umbruchs bereits mitgemacht. Stuhrberg: „Wir waren die erste Zeitschrift, die eine Website hatte. Wir sind heute noch die Einzigen, die eine wirklich funktionierende App anbieten.“ Doch niemals, das betont der Mann, der seit Jahrzehnten nebenbei als DJ Rollercoaster auflegt, wird sein Magazin kostenlos verteilt werden. „Ich will am Ende des Monats wissen, wie viele Hefte wir unter die Menschen gebracht haben. Läuft das nicht mehr, stelle ich die Printausgabe lieber ein.“ Groß sei die Gefahr jedoch derzeit nicht, Sax habe vergleichsweise stabil 1.600 Abonnenten und eine Auflage zwischen 8.000 und 10.000.

Epische Schreischlachten

„Doch ich habe gar keinen Grund zu jammern“, so Stuhrberg. „Vor fünf Jahren hat uns die Steuerberaterin gefragt: Wollen Sie sich denn nicht mal ein Weihnachtsgeld bezahlen? Und wir: Ach, gibt es das denn her? Und sie: Sonst würde ich das ja nicht fragen.“ Man hielt und hält sich seither gern an diese Empfehlung. „Wir sind jetzt vier Entscheider und noch mal vier Angestellte, fünf festfreie Redakteure und um die 20 freie Schreiber, Fotografen. Alles in allem knapp 40 Leute. Doch was das Redaktionelle betrifft, habe ich alles in der Hand; alles von Kunst bis Kommerz.“

Zur "Fünf Jahre Sax"-Party 1995 bastelte die Leserschaft eine Collage aus Sägefischen, die Uwe Stuhrberg stolz präsentiert. Den Sägefisch als Logo des Stadtmagazins entwickelte Sax-Grafiker Dominik Schech zunächst für eine Postkarte zum Umzug der Redaktio
Zur "Fünf Jahre Sax"-Party 1995 bastelte die Leserschaft eine Collage aus Sägefischen, die Uwe Stuhrberg stolz präsentiert. Den Sägefisch als Logo des Stadtmagazins entwickelte Sax-Grafiker Dominik Schech zunächst für eine Postkarte zum Umzug der Redaktio © Sax-Archiv

Vor 30 Jahren, als die gesamte Truppe sich ganz frisch in den Räumen der früheren FDJ-Bezirksleitung breitgemacht hatte, war zunächst Bernhard Theilmann der einzige Angestellte, der Mann mit der meisten Macht. „Wir lieferten uns damals regelmäßig epische Schreischlachten, besonders, wenn es um die Titelbild-Auswahl ging“, erinnert sich Stuhrberg und zuckt nachträglich noch kurz zusammen. „Mit Bernhard zu streiten war extrem anstrengend, aber wenn es vorbei war, war es auch wirklich vorbei. Haken dran, Bier aufgemacht und fertig.“ Vor allem sei es nur um die Sache gegangen, nie darum, aus Prinzip recht zu haben. „Irgendwie haben wir doch jedes Mal einen Weg gefunden.“

Hoffen mit Dynamo

Ähnliches galt für die Debatten um die Mittel und Wege zur Finanzierung. „Ans Anzeigengeschäft sind wir doch reichlich naiv rangegangen“, sagt Uwe Stuhrberg, der seit 1988 verheiratet ist und mitnichten im Szene-Epizentrum Neustadt, sondern in der Johannstadt lebt. „Also hatten wir auch mal etliche Telefonsex-Inserate drin. Das gab vielleicht Ärger! Damals noch per Brief und Telefon!“ Während Schlüpfriges nie wieder beworben wurde, bekamen die Partnergesuche bald Kultcharakter. Stuhrberg: „Wir haben nachweislich Ehen gestiftet und sind indirekt für einige Kinder verantwortlich.“ Das, sagt der bekennende Optimist, kann gerne so weitergehen. Keine Schwarzseherei, wenn es um sein Stadtmagazin geht, ebenso mit Blick auf Dynamo Dresden. Als Vereinsmitglied und Dauerkartenbesitzer glaubt Stuhrberg fest an den Klassenerhalt. „Jetzt muss nur die Saison endlich weitergehen.“

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