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So geht es Kristina Vogels Ersthelfer

Maximilan Levy hat viele Höhen und Tiefen erlebt. Über den Tag seines 31. Geburtstages zu reden, fällt dem Bahnradsprinter aber noch immer schwer.

Von Michaela Widder
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Guten Freunden gibt man ein Küssen... Vor gut einem Jahr feiern Kristina Vogel und Maximilian Levy noch ihre Goldmedaillen bei der Bahnrad-EM in Berlin.
Guten Freunden gibt man ein Küssen... Vor gut einem Jahr feiern Kristina Vogel und Maximilian Levy noch ihre Goldmedaillen bei der Bahnrad-EM in Berlin. © Jens Büttner/dpa

Er kniet vor der Olympiasiegerin, vor seiner guten Freundin Kristina Vogel. Sie liegt bergab auf der Bahn, ihr Gesicht auf dem kalten Beton. Maximilian Levy schiebt eine Hand unter ihren Kopf, mit der anderen hält er ihre Hand. „Mein erster Gedanke war, ich trage sie von der Bahn“, erzählt er und klopft dabei mit der Faust auf den Tisch aus Holz. „Zum Glück habe ich es nicht gemacht. Sonst hätte ich sie wahrscheinlich umgebracht.“

Sekunden vorher war Vogel auf der Radrennbahn in Cottbus in einen anderen Fahrer gekracht. Levy, ihr langjähriger Teamkollege, ist als Erster am Unfallort. Sie ist schwer verletzt, das weiß er, als er ihr Rad sieht, ihren Helm, ihre Schürfwunden im Gesicht. Bitte steh auf, denkt er. Der Cottbuser hat selbst schon viele Stürze erlebt und weiß, was zu tun ist. Für Ruhe sorgen, er schickt die jüngeren Fahrer weg, bloß keine Hektik. Er lässt nicht zu, in dem Moment an etwas Dramatisches zu denken. „Mir dämmerte es aber langsam, als sie sagte, dass meine Hand sie sticht. Sie sagte immer, du hast was in der Hand, das pikst. Aber da war nichts.“

Levy erfüllt sich einen Traum

Noch in der Klinik in Cottbus bekommt er die Diagnose. „Die Ärzte haben mir ganz klar gesagt, was die Stunde geschlagen hat.“ Seit dem Dienstag, es war der 26. Juni und sein 31. Geburtstag, weiß er, Kristina Vogel kann nie wieder laufen.

Ein Tag, den er nie vergessen wird. „Noch immer fällt es mir schwer, darüber zu reden“, sagt der Sprinter ein halbes Jahr nach dem verhängnisvollen Unfall im Gold-Magazin der Deutschen Sporthilfe.

Die Bilder verblassen nur langsam, und wohl jeder hätte ihn verstanden, wenn er danach nicht wieder aufs Rad gestiegen wäre und weiterhin über die Bahnen der Welt sprinten würde. „Ich wollte Kristina nicht auch noch zumuten, dass ich wegen ihr nie wieder auf dem Fahrrad sitze.“

Sein Blick auf manche Dinge ist aber seit diesem Sommertag ein anderer. „Wenn mich der Unfall was gelehrt hat, dann: Erfülle deine Träume nicht irgendwann.“ Irgendwann will er einen Ironman absolvieren. Die Premiere der European Championships in Glasgow ließ er im Sommer aus und kaufte sich ein kleines Boot. Für die WM im Frühjahr in Polen hat er bereits abgesagt. Der Geburtstermin seines dritten Kindes fällt in diese Zeit. „Das ist ein Erlebnis, was nicht wiederkommt. Da reizt mich die 13. WM weniger.“

Vor wenigen Wochen ist der Cottbuser in seine 14. Weltcup-Saison gestartet. „Das klang auch für mich verrückt.“ Im deutschen Sprintteam ist er längst der Senior, sein Spitzname ist „Vaddi“. Denn dass sich ein Sprinter länger als ein Jahrzehnt in der Weltspitze hält, ist ungewöhnlich.

Erst recht, wenn die Karriere nicht nur von vielen Erfolgen, sondern immer wieder auch von Rückschlägen geprägt ist. Schon dreimal brach er sich das Schlüsselbein, zuletzt 2017 beim Training in der Oderlandhalle. Bei fast 80 Stundenkilometer war ihm der Reifen geplatzt. Die Spuren auf der Holzbahn in Frankfurt/Oder sind noch immer zu erkennen. Damals war Kristina Vogel als Erste an seiner Seite. „Sie hat mir das verbrannte Trikot vom Leib gezogen. Das sind Momente, die verbinden. Wir haben schon einige Extremsituationen zusammen erlebt“, sagt er.

Levy, der mit seiner Frau und seinen Töchtern Tessa (5) und Mila (2) in Cottbus wohnt, stand schon mehrmals vorm Karriereende. Bei der WM 2014 in Cali stürzte er auf Goldkurs liegend, brach sich das Schlüsselbein. Er wurde in Kolumbien operiert, doch zurück in Deutschland entzündete sich die Wunde so heftig, dass das Schlüsselbein durch Teile des Beckenknochens neu aufgebaut werden musste. „Damals war die Frage nicht, ob ich wieder Fahrrad fahre, sondern ob ich je wieder gesund werde.“

Levy kam zurück. Im vergangenen Jahr fand die Heim-EM im Berliner Velodrom statt, nur 200 Meter entfernt von seinem Geburtshaus im Prenzlauer Berg. Dort hatte er einst mit dem Radsport begonnen, nachdem ihm mehrmals das Fahrrad geklaut worden war. „Da haben meine Eltern gesagt: Wenn du weiter Fahrrad fahren möchtest, dann geh doch bitte in einen Verein, da kannst du den ganzen Tag Fahrrad fahren“, erzählte Levy im Interview mit dem RBB. Das Leihrad vom Verein wurde in der Wohnung per Flaschenzug zur Zimmerdecke hochgehoben.

Genugtuung für den Altmeister

Nun also wieder Berlin. Mit seiner langen Verletzungsgeschichte – er war zuvor gestürzt – hatten die Trainer ihn schon abgeschrieben. Doch dann gewann er Gold im Keirin. „Eine Genugtuung sondergleichen. Diese Emotion, dieser Moment hat noch einmal alles verändert.“ Bei der Weltmeisterschaft im Frühjahr holte er Bronze – seine erste WM-Medaille seit 2014.

Am Wochenende wurde der Altmeister in seiner früheren sportlichen Heimat Dritter im Teamsprint. Am Rande des Weltcups in Berlin traf er auch Kristina Vogel. Im Oktober hatten sie zusammen die Fußball-Nationalmannschaft vor dem Länderspiel in Paris besucht. „Der Kontakt ging über Manuel Neuer“, sagt Levy. „Wir Freunde versuchen, immer mal Sachen zu machen, die sie im normalen Leben halten, kleine Highlights zu setzen. Das tut ihr gut.“

Nach dem Unglück hatte er eine Spendenaktion für Kristina Vogel organisiert. Mehr als 120 000 Euro kamen auf diesem Weg zusammen. „Ich hoffe und wünsche ihr, dass sie jetzt erst mal ihr Ziel schafft, Weihnachten zu Hause zu sein“, sagt Levy.