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So lernen wir die Sprache der Babys

Die Dresdnerin Marianne Irmer weiß, wie Kleinkinder zeigen können, was sie wollen, sehen, hören, fühlen – und bringt es Eltern bei.

Von Nadja Laske
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Eine Ente? Eine Ente! Marianne Irmer „unterhält“ sich mit ihrem Sohn in der Babyzeichensprache.
Eine Ente? Eine Ente! Marianne Irmer „unterhält“ sich mit ihrem Sohn in der Babyzeichensprache. © Sven Ellger

Was die Großen sich doch alles zu erzählen haben, wenn sie erst ins Plaudern kommen! Da wird es den Kleinen gähnend langweilig. Jaro jedenfalls scheint reif für seinen Mittagsschlaf zu sein. Der Einjährige zupft Papa am Ärmel und lässt seine kleinen Fäuste vor ihm kreisen. „Ja, du hast recht“, antwortet der Vater. „Wir fahren los!“ Und schon sind die beiden auf dem Weg zum Fahrrad, um heimzuradeln.

Diese Szene stammt aus dem letzten Sommer. Jaro war reichlich ein Jahr alt. Sprechen konnte er noch nicht. Nicht so, wie es Erwachsene tun. Wörter zu formulieren, dafür war der Knirps noch zu klein. Aber Zeichen hat er schon gelernt, mit denen kann er seinen Eltern sagen, was er will, sieht, hört, fühlt. Jetzt noch besser als im Juni. Nun ist Jaro anderthalb und sein Wort-, nein, Zeichenschatz beträgt bis zu 50 Gebärden, mit denen er anderen seine Welt erklärt. Jetzt beispielsweise seiner Mutter. Vor ihm auf dem Tisch liegt ein Bilderbuch, darin zu entdecken: eine Ente, eine Giraffe, ein Schmetterling. Marianne Irmer zeigt auf eine der Abbildungen, und spricht das Wort zusammen zur Geste, während auch ihr Sohn mit seiner Hand einen schnatternden Schnabel formt: Ente!

Marianne Irmer bringt nicht nur Jaro die sogenannte Zwergensprache bei. Sie unterrichtet auch Eltern darin. „Die Zeichen sind der Gebärdensprache entlehnt“, sagt sie. Die Idee, sie für Kleinkinder zu nutzen, stamme aus den USA und sei in den 1980er-Jahren entwickelt worden. Wissenschaftler hatten herausgefunden, dass hörende Kinder gehörloser Eltern über Gebärden früher kommunizieren, als andere Altersgenossen. „Die meisten Kinder machen im Alter von acht, neun Monaten Winke-Winke“, sagt Marianne Irmer. „Genauso funktionieren auch andere Zeichen.“

Was, um Himmels willen, hat das Kind nur? Diese Frage stellen sich alle Eltern gleichermaßen. Hunger, Durst und Müdigkeit lassen sich am Tagesrhythmus ablesen, eine volle Windelhose an der Atemluft. Aber Schmerzen und Unwohlsein? Jaro kennt Zeichen für das Bedürfnis zu kuscheln, für Bauchweh, für das kleine und das große Geschäft, für trinken wollen und, wie schon im Sommer zu erleben war, fürs Radfahren.

„Die Motorik der Babyhände entwickelt sich weit früher als die des Sprechapparates. Laute zu formen, ist viel komplexer“, erklärt Marianne Irmer. Zeichen prägen sich schon ab einem Alter von einem halben Jahr ein, wenn Eltern sie mit wiederkehrenden Dingen, Handlungen, Gefühlen verknüpfen. Kritikern, die befürchten, die Zeichensprache behindere das Sprechenlernen, sagt sie: „Im Gegenteil. Kinder lernen früher, sich erfolgreich mitzuteilen. Das fördert ihre Freude auch am Sprechen.“ Wichtig sei, zur Gebärde immer das Wort zu nennen.

Jaro ist ihr viertes Kind. Besonders gern erinnert sich Marianne an eine berührende Situation zwischen ihren inzwischen älteren Kindern. „Sie standen vor einer großen Zimmerpflanze und tauschten sich darüber aus, ob das ein Baum oder eine Blume sei.“ Der eine zeigte so, der andere so, es wurde richtig diskutiert. Das zeigt: Zwergensprache ermöglicht auch Geschwistern, sich miteinander zu verständigen. „Es gibt bereits Kitas, die ihre Erzieherinnen darin schulen lassen, und auch für Au-pairs eignen sich die Gebärden gut“, weiß Marianne. Vor neun Jahren hatte sie von dem Angebot, als Kursleiterin zu arbeiten, gehört und ihre Ausbildung absolviert. Seitdem zeigt sie anderen Eltern mit Kindern ab sechs Monaten, wie es funktioniert. Für Eltern, deren Nachwuchs schon 13 Monate alt ist, bietet sie Folgekurse an. Wer wenig Zeit hat oder schon Vorbildung mitbringt, kann die Babyzeichensprache und wie man sie anwendet auch in Wochenendworkshops lernen. Für Erzieherinnen, Tages- und Pflegeeltern, Hebammen, Heilpädagogen und Logopäden gibt es ebenfalls Kurse. Der Unterricht basiert auf einem einheitlichen Zeichenkanon. Es spricht zwar nichts dagegen, mit dem eigenen Kind individuelle Gebärden und Gesten einzuüben. Aber wenn alle die gleichen kennen, fördert das die Kommunikation in größeren Gruppen. Nur für Namen von Brüdern, Schwestern, Freunden oder Kindergartentanten finden Familien ihre ganz eigenen Zeichen. Hat jemand Locken oder trägt eine Brille, heißt Schuster oder macht gern Faxen – solche Attribute fließen intern in die Zwergensprache ein.

„Man kann die Zeichen auch als Geheimsprache nutzen“, sagt Jaros Vater Carsten scherzhaft: „Wenn ich meine Kinder vor anderen Leuten daran erinnern will, dass sie sich für etwas bedanken sollen, zeige ich es ihnen ganz dezent.“ Das sei viel charmanter als die laute Frage: Wie heißt das?!

Der nächste Babyzeichen-Kurs beginnt am 28. Oktober und der nächste Workshop am 22. November. Auch Trageberatung bietet Marianne Irmer an. Anmeldungen unter Tel. 0151-28277367
www.facebook.com/mamutra

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