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Die wunderlichen Abenteuer eines Autogrammsammlers

Mit der Unterschrift des Mount-Everest-Erstbesteigers fing es an. Jochen Mischke erlebte viele Überraschungen – durch die Post und von der Stasi.

Von Jochen Mayer
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Sein ganzer Stolz. Jochen Mischke präsentiert die wertvollen Alben mit zahlreichen Autogrammen.
Sein ganzer Stolz. Jochen Mischke präsentiert die wertvollen Alben mit zahlreichen Autogrammen. © Ronald Bonß

Dresden. Post vom anderen Ende der Erde ist inzwischen normal. Der Brief aus Neuseeland aber, den der Dresdner Jochen Mischke 1984 erhielt, hatte Folgen. Absender war: Edmund Hillary. Sogar mit einem persönlichen Gruß erfüllte der Erstbesteiger des Mount Everest dessen Autogramm-Wunsch. Dabei war es schon überraschend, dass Mischkes Bitte überhaupt sein Ziel erreichte. „Sir Edmund Hillary, first man of Mount Everest, Auckland, New Zeeland“, gab Mischke als Adresse an und listete in seinem Brief zudem alles das auf, was er im Vor-Computer-Zeitalter über Hillary auftreiben konnte.

Welch Wunder: „Plötzlich war ein Brief aus Neuseeland mit schönen Briefmarken da“, erzählt der 76-Jährige und fügt schmunzelnd hinzu, dass das natürlich Folgen hatte: „Ich bekam Besuch von einem Mitarbeiter des Rates des Bezirkes Dresden.“ So stellten sich damals auch die Mitarbeiter der Stasi vor.

Autogramm von Sir Edmund Hillary. Dem neuseeländischen Bergsteiger war am 29. Mai 1953 zusammen mit dem nepalesischen Bergsteiger Tenzing Norgay die Erstbesteigung des Mount Everest gelungen.
Autogramm von Sir Edmund Hillary. Dem neuseeländischen Bergsteiger war am 29. Mai 1953 zusammen mit dem nepalesischen Bergsteiger Tenzing Norgay die Erstbesteigung des Mount Everest gelungen. ©  Ronald Bonss

Es hagelte Fragen: Warum, weshalb, wieso dieser Kontakt? Die Befragung blieb aber ohne Konsequenzen. „Der war selbst begeisterter Kletterer“, sagt Mischke über den Besucher, der zudem befand, dass es eine „politisch unverfängliche Sache sei, Autogramme von namhaften Bergsteigern und Alpinisten zu sammeln“.

Nur eine Forderung blieb: Nicht nur die ausländischen Gipfelstürmer kontaktieren, sondern auch die guten Einheimischen. „Ihm habe ich zu verdanken, dass meine Sammlung nicht schon mit Hillary beendet war“, sagt Mischke. In seiner Wohnung befindet sich mittlerweile eine einmalige Autogramm-Sammlung von Achttausender-Erstbesteigern und weiteren Bergsteiger-Ikonen.

Autogramme sind Familien-Sache

Den Anstoß gab Anfang der 1980-er Jahre ein Antiquariat-Buch: „Bis zum Gipfel der Welt“ von Hans Albert Förster und Franz Grassler aus dem Jahr 1959 über aufregende Geschichten der Erstbesteigungen der Achttausender. Jochen Mischke wuchs in Geising auf, da gehören Berge zum Leben. Als Zehnjähriger erfuhr er, wie Hermann Buhl 1954 bei einer Vortragsreise durch die Region getourt war. Ein Jahr zuvor hatte der Innsbrucker in einem spektakulären Alleingang den Nanga Parbat erstbestiegen.

Von einem Film darüber hatte Mischke Motive als Dia-Kopien geschenkt bekommen. „Das hat mich begeistert“, erzählt er. „Damit hielt ich kleine Vorträge bei Pioniernachmittagen. Das kam an.“ Inzwischen gehört ihm eine kleine Buhl-Sammlung, die an den 1957 an der Chogolisa in Pakistan abgestürzten Alpinisten erinnert.

Das Sammeln von Autogrammen liegt in der Familie. Mischkes Stiefvater Joachim Hammer war nebenberuflich Kleindarsteller am Dresdner Staatsschauspiel und hatte eine riesige Autogrammsammlung von Bühnen- und Filmgrößen. Die Kollektion verglühte in den Dresdner Bombennächten, die Leidenschaft für Autogramme blieb.

Schauspieler waren auch Mischke vertraut. Er galt als jüngster Filmvorführer mit bestandener Fachprüfung im Kreis Dippoldiswalde. „Ich stand fast jeden Tag im Kino oder in den Landfilm-Räumen an den Projektoren“, erzählt Mischke, der seine Funkmechaniker-Lehre in Glashütte mit dem Nebenverdienst in Einklang brachte. Er kam mit wenig Schlaf aus. „Das Beste war: Ich spielte Filme mit dem Prädikat P 18 ab, war aber erst 16. Und ich musste allen, die noch keine 18 waren, den Zugang verwehren. Das fühlte sich damals gut an.“

Auch von Tenzing Norgay besitzt Mischke ein unterschriebenes Zeit-Dokument.
Auch von Tenzing Norgay besitzt Mischke ein unterschriebenes Zeit-Dokument. © Ronald Bonß

Das Sammeln von Künstler-Schriftzügen funktionierte einige Jahre, er schrieb die Stars an und bezahlte das Rückporto. „Bis 1961 hatte ich eine ziemliche Sammlung damaliger Schlagerstars und Schauspieler aus dem Westen. Mit dem Mauerbau war damit Schluss. Es kamen nur noch leere Umschläge an, die Post war geöffnet worden. Ich wusste nicht mal, von wem die Autogrammkarten gewesen wären, die ich nicht erhalten hatte. Von anderen Sammlern hörte ich, dass sie Stapelweise solche Karten gelocht in ihren Stasi-Akten gefunden haben“, sagt Mischke.

Also begann er Autogramme von DDR-Künstlern zu sammeln. „Da hatten wir ja auch Gute“, sagt er. Nur hatte er schnell alle beisammen – und schrieb nun erfolgreiche DDR-Sportler an. „Manche Sammler gaben auf, ich blieb immer dabei. Jetzt habe ich die Unterschriften aller DDR-Medaillengewinner bei Olympischen Spielen im Sommer wie Winter ab 1956 – bis auf zwei: Ein Rostocker Segler und ein bronzener Mannschaftsboxer fehlen.“

Stolz holt er die sieben Olympia-Alben aus dem Schrank und blättert darin. Es ist ein Blick in die Sportgeschichte – von Boxer Wolfgang Behrendt, Eisschnellläuferin Helga Haase und Wasserspringerin Ingrid Gulbin-Krämer bis zu Heike Drechsler und Katarina Witt.

Im Schrank daneben liegen die Folianten mit den Bergsteiger-Autogrammen sowie Dokumenten, Zeitungsausschnitten und signierten Büchern. Nach der Post vom Everest-Erstbesteiger Hillary und dem behördlichen Freibrief hatten es ihm die Achttausender-Bezwinger und deren Geschichten angetan.

Und auch die oft aussichtslos scheinende Suche nach den Kontakten reizte ihn. 13 der 14 Autogramme von Achttausender-Erstbesteigern hat er, von neun Gipfeln sogar die Unterschriften der kompletten Mannschaften. Nur die der Japaner vom Manaslu fehlen.

Jede Unterschrift hat eine Geschichte

Dabei war einst nicht nur die Post in Neuseeland sehr findig bei der Suche nach diffusen Adressen. Den Erstbesteiger des K2 schrieb Mischke an mit: Achille Compagnoni, K2-Erstbesteiger, Aosta-Tal. „Inzwischen weiß ich, wie es dort aussieht“, sagt der Dresdner und meint die mehr als 120.000 Menschen, die unweit des Mont Blanc und Monte Rosa leben. Der Brief kam dennoch an.

Den Cho-Ouy-Erstbesteiger Herbert Tichy grenzte Mischke ein mit: Geograph, Reiseabenteurer, Erstbesteiger, Wien. Tichy schrieb zurück: „Ihre Post kam auf seltsamen Wegen zu mir.“ Junko Tabei, die erste Frau auf dem Everest, vermutete Mischke in Tokio. Sie wohnte aber auf einer entfernten Insel und erhielt den Brief trotzdem.

Und noch eine Episode: Der Franzose Maurice Herzog hatte 1950 mit Landsmann Louis Lachenal den Annapurna-Gipfel erreicht. Sie standen als erste Menschen überhaupt auf einem Achttausender. Herzog war später Bürgermeister von Chamonix. „Ich hatte mir eine französische Übersetzung und die Postleitzahl besorgt. Post bekam ich aber aus Paris. Herzog war inzwischen Minister für Jugend und Sport geworden“, erzählt Mischke.

Beim Blättern spult er Namen, Daten und die Gipfel dazu ab. Jede Unterschrift hat ihre Geschichte, auch von Familienangehörigen, wenn die Gipfelstürmer beim Kontaktversuch nicht mehr lebten. Mischkes Sammlung emotionalisiert.

Fast ehrfürchtig spricht er über die erste Everest-Besteigung von chinesischer Seite. „Nachts haben sie beim Abstieg ganz entfernt etwas glänzen sehen. Es war die Leiche von George L. Mallory, die Jahrzehnte später tatsächlich dort gefunden wurde und einen Streit auslöste, ob der Engländer den Gipfel wohl 1924 erreicht haben könnte“, sagt Mischke.

Die besondere Leidenschaft des Dresdners Jochen Mischke sind die Bergsteiger und ihre Schriftzüge.
Die besondere Leidenschaft des Dresdners Jochen Mischke sind die Bergsteiger und ihre Schriftzüge. © Ronald Bonß

Wang Fu-Zhou, Vizepräsident des chinesischen Alpenvereins, einer der Erstbesteiger des chinesischen Achttausenders Shisha Pangma und Teilnehmer und Erstbegeher der Everest-Expedition, schickte ein Autogramm. Da half wohl ein gewisser Ost-Bonus, denn Mischke hatte sich als Sammler aus East-Germany zu erkennen gegeben.

Mischkes Ordner füllten sich mit den Jahren. „Ich bekam auch regelmäßig Post von den Expeditionen unserer Nationalmannschaft aus dem Kaukasus, Pamir oder Tienschan“, erzählt er. Selbst bezeichnet sich Mischke als Bergwanderer, der 1969 seine Traumgipfel am Elbrus im Zentralkaukasus erlebte.

Er kann sich gut in die Kletterer hineinversetzen und präsentierte bei Bergsportveranstaltungen und anderen Bergsteigertreffen die Stücke aus seiner Sammlung. Bei diesen Gelegenheiten bekam er auch Unterschriften von den prominenten Gästen wie der Polin Wanda Rutkiewicz, die den Everest und sieben weitere Achttausender bestiegen hatte. Sie war auf dem besten Weg, als erste Frau der Welt alle Achttausender-Gipfel zu erreichen. Sie starb 1992 in der eisigen Höhe des Kangchendzönga und gilt als verschollen.

Mischke wird ernst und sagt entschieden: „Jetzt ist Schluss. Ich habe aufgehört zu sammeln.“ Auf seine Anfrage bekomme er kaum noch Antwort. „Oder die Post scheitert inzwischen wegen fehlender Adress-Genauigkeit, obwohl ich nun oft viel besser weiß als früher, wo die Leute wohnen könnten. Das macht alles keinen Spaß mehr“, meint er.

Der Datenschutz beendet die Jagd

Zudem sei die Szene zurückhaltender geworden. „Der Datenschutz macht viele vorsichtig. Längst unterschreiben viele nicht mehr so ordentlich, weil sie Angst haben, dass die Unterschriften missbraucht werden. Oft sind es nur noch Krakel“, sagt er. Auch macht sich die Kommerzialisierung breit. „Als die ersten Händler auftauchten und Autogramme auf Börsen teuer verkauften, gaben die Stars ihre Fotos zunehmend nur noch gegen Gebühren ab. Wenn Geld im Spiel ist, verdirbt es so ein Hobby.“

Mischke weiß, dass sich Verhältnisse ändern, das kennt er aus seinem Arbeitsleben. Der Funkmechaniker arbeitete einst im VEB Rechenelektronik Glashütte noch an Analogtechnik, die mit Röhren in Riesenschränken steckte. Als die Produktion in die Sowjetunion verlagert wurde, wechselte er als Labortechniker in die Forschungsabteilung des Dresdner Institutes für Elektronik.

Im Abendstudium qualifizierte er sich zum Ingenieur für Elektronik. Ein erneuter beruflicher Wechsel in das Rechenzentrum des Betonleichtbaukombinates folgte danach. Und in das Gebäude des nach der Wende aufgelösten Betonleichtbaukombinates zog dann das Arbeitsamt. Mischke bewarb sich als Mitarbeiter der Kindergeldkasse – und verabschiedete sich dort 2004 als Leiter der Familienkasse in die Altersteilzeit.

Jetzt fragt er: „Was wird mal aus der Sammlung? Wertvolle Autographen wie die von Elvis, den Beatles oder Thor Heyerdahl, die können die Erben sicher mal verkaufen. Aber was wird aus den Bergsteigern und Olympiasiegern?“ Der Südtiroler Reinhold Messner hatte mal Interesse signalisiert, die Alpinisten-Sammlung in sein Museum zu integrieren. Es blieb bisher bei Gedankenspielen.

Jochen Mischke möchte die Kollektionen in gute Hände geben. Nachdenklich und auch ratlos räumt er seine Ordner schließlich wieder in die Schränke. Seine Schätze sind Zeugnisse früherer Heldentaten. Gemeinsam ist ihnen die ewige Menschheits-Frage: Was bleibt davon?