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Länger, weiter, extremer: Darf Sport auch noch Spaß machen?

Auch sportliche Betätigung kennt keine Grenzen mehr. Je extremer, desto besser. Doch ist das gut? Und sind Nordic Walker wirklich Luschen? Eine Kritik am neuen Bewegungswahn.

Von Tino Meyer
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5 Kilometer, 10 Kilometer, Halbmarathon, Marathon – so gehen Freizeitsportlerkarrieren. Mancher wird danach sogar Ultra, und damit ist nicht die exzessive Fankultur im Fußballstadion gemeint.
5 Kilometer, 10 Kilometer, Halbmarathon, Marathon – so gehen Freizeitsportlerkarrieren. Mancher wird danach sogar Ultra, und damit ist nicht die exzessive Fankultur im Fußballstadion gemeint. © dpa/Thomas Banneyer; SZ-Montage

Dresden. Läuft wieder, und wie! Unglaubliche 28.500 Hobby- und Freizeitsportler werden in knapp zwei Wochen bei der Rewe Team Challenge in Dresden an der Startlinie stehen, das hat selbst diese laufbegeisterte Stadt noch nicht erlebt. Corona – war einmal, sportliche Massenveranstaltungen mit Eventcharakter sind offensichtlich mehr denn je wieder ein Selbstläufer.

Rekordzahlen gibt es derzeit jedenfalls allerorten, beim Oberelbe-Marathon von Königstein nach Dresden ebenso wie in Hamburg oder am Rennsteig. Und der Marathon in Berlin, mit gut 40.000 Läuferinnen und Läufern der zweitgrößte weltweit, ist sowieso immer ausgebucht. Voll angesagt ist inzwischen auch Triathlon, egal, ob der Kult-Dreikampf schlechthin im fränkischen Roth oder die verschiedenen Distanzen mit unvergleichlich familiärem Flair in Moritzburg – überall ausverkauft.

Die Preisfrage stellt sich an dieser Stelle ausdrücklich nicht. Was nachgefragt ist, kostet nun mal. Ob 250 Euro für 3,8 Kilometer Schwimmen im Schlossteich, anschließend 180 Kilometer auf dem Rad rund um Moritzburg sowie die 42 Kilometer zu Fuß in den angrenzenden Park- und Waldgebieten besser angelegtes Geld sind als die gleiche Summe für den Premium-Stehplatz bei den Deutschland-Konzerten von Taylor Swift? Entscheidet jeder selbst. Und wer gern Golf spielt oder reitet, kann über solche Ausgaben ohnehin nur lachen.

Normal, so der Eindruck, ist was für Verlierer

Dennoch gibt es Leute, die weit über 100 Euro weder für die Teilnahme an einem Städte-Marathon zahlen noch für ein Rammstein-Konzert – und erst recht nicht für Turnschuhe. Es werden allerdings immer weniger, nimmt man diverse Statusmeldungen in den sozialen Medien oder eben einfach nur die proppenvollen Anmeldelisten zum Maßstab. Und noch ein Trend lässt sich feststellen: je extremer, desto besser. Normal, so der Eindruck, ist was für Verlierer.

Jeder Arzt würde bei ein, zwei kleinen Spaziergängen, die gerne den Charakter einer Wanderung haben dürfen, oder auch einer Runde mit dem Rad zufrieden nicken. Und tatsächlich, die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt pro Woche für Erwachsene zweieinhalb bis fünf Stunden moderate Bewegung. Im Anamnesebogen ließe sich dann guten Gewissens die Frage nach der Sportlichkeit mit einem klaren Ja beantworten. Unter Freunden, Bekannten und Kollegen, die regelmäßig eine Startnummer tragen, ist das schon deutlich schwieriger. Da gilt der Nordic Walker diesseits des Rentenalters schnell als Lusche.

Auch Yoga und Pilates wird belächelt, dabei ist beides ein sehr empfehlenswertes Ganzkörpertraining – übrigens auch für Männer. Echte Leistungssportler wissen das und halten sich daran.

Je länger der Lauf, umso größer das Glück

Nun sind die fünf Kilometer, wie sie bei der Team Challenge in Dresden zu absolvieren sind, natürlich für fast niemanden ein wirkliches Problem. Mit Lust und Laune und ein bisschen Leiden schafft das jeder, eine intakte Gesundheit vorausgesetzt. Nur sind, und das bedeutet Fluch und Segen zugleich, jene fünf Kilometer oftmals erst der Anfang. Wer den Adrenalin-Kick spürt beim Passieren der Ziellinie, ein wirklich schwer zu beschreibendes, intensives Glücksgefühl, der will mehr davon.

Die Rechnung ist simpel: je länger der Lauf, umso größer das Glück. 10 Kilometer, Halbmarathon, Marathon – so gehen Freizeitsportlerkarrieren. Mancher wird sogar Ultra, und damit ist nicht die exzessive Fankultur im Fußballstadion gemeint, sondern ein extralanger Wettbewerb. Wie beispielsweise das "Race Across Germany" an diesem Wochenende, eine Radfernfahrt nonstop einmal quer durch Deutschland von Aachen bis Görlitz. Oder "Rund um Sachsen", also 900 Kilometer entlang der Landesgrenzen. Oder der Mauerlauf in Berlin auf den rund 160 Kilometern des ehemaligen Grenzstreifens. Selbst Wanderungen sind inzwischen Megamärsche von 30 Kilometern und mehr.

Das Gesündeste am Marathon ist die Vorbereitung darauf

Je extremer die Aufgabe, desto größer der Kick. Bewegung allein reicht schon lange nicht mehr, es geht um Grenzerfahrungen – nur leider sind da nicht selten auch schmerzhafte körperliche Grenzen. Und es tut verdammt weh, bei einem Marathon nach sechs, sieben Kilometern die ersten Teilnehmenden gehen zu sehen. Wobei es ja generell heißt: Das Gesündeste am Marathon ist die Vorbereitung darauf, die 42,195 Kilometer selbst sind dann eine medizinisch durchaus fragwürdige Sache.

Doch es ist die Macht des Willens, die antreibt, der Drang des "sich Beweisens" und "sich Zeigens", nicht zuletzt in den sozialen Medien. Soziologen sehen die Häufung extremer sportlicher Betätigungen zugleich begründet in einer im Sicherheitsdenken erstarrten, gelangweilten, in ihrem Abenteuerbedürfnis unterforderten Gesellschaft.

Bleibt die eine große Frage: Darf Sport, bitteschön, einfach auch nur Spaß machen? So ganz ohne Leistungsdruck, ohne Pulsuhr und Startnummer? Klare Antwort auch hier: Ja, unbedingt! Sport soll, darf und muss vor allem Spaß machen. Umso schöner, dass es die gesundheitsfördernden Aspekte gratis dazu gibt. Hauptsache Bewegen, völlig gleich, ob beim Ultrarennen über Berge oder mit den Walkingstöcken im Park nebenan. Es gilt wie sonst im Leben: Mach das, was dir guttut.