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Liebeserklärung an den Elbsandstein

Frank Richter schlägt beim Klettern in der Sächsischen Schweiz eine Brücke über zwei Jahrhunderte. Dabei stellt er fest: Viel verändert hat sich nicht.

Von Jochen Mayer
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Eines der historischen Fotos im neuen Buch von Frank Richter zeigt den Kletterer Karl Ullrich im Jahr 1915 beim Rücksprung an der Lokomotive.
Eines der historischen Fotos im neuen Buch von Frank Richter zeigt den Kletterer Karl Ullrich im Jahr 1915 beim Rücksprung an der Lokomotive. © Walter Hahn aus dem Bildarchiv des SBB/Verlagsgrup

Dresden. Liebeserklärungen können Ventile für die Seele sein. Frank Richter hat viele Emotionen gesammelt. „Das Beste, was mir im Leben passieren konnte“, sagt der 75-Jährige in seiner Wohnung im Dresdner Stadtteil Kleinzschachwitz und lächelt, als er den Satz vollendet, „das ist die Sächsische Schweiz. Die ist ein Geschenk für alle.“ Eine Urlaubsbekanntschaft ebnete 1966 den Weg zur großen Liebe.

Sie schwärmte über ihre heimische Felsenwelt. „Das klang interessant“, erzählt der gebürtige Thüringer Frank Richter. „Meine erste Elbsandstein-Kletterei war am Türkenkopf. Oben wusste ich: ,Hier gehst du nie wieder weg.‘ Dieses Panorama, diese Felsen, diese Herausforderungen, das war alles so faszinierend.“ In Dresden studierte er Elektronik und fand bei den Bergbrüdern 59 Gleichgesinnte im Kletterclub.

Dann lernte er Günter Lamm kennen, der hatte „so herrliche Bergfahrtenbücher mit schönen Fotos“, plaudert Frank Richter. „Das gefiel mir. Ich begann zu fotografieren.“ Eines Tages schlug Bernd Arnolds Kletterpartner vor, mitzukommen, der Hohnsteiner würde was „Interessantes probieren. Die Wand der Abendröte am Nonnengärtner war einer der tollsten Wege“, klingt Richter immer noch begeistert. „Da machte ich die ersten Fotos von Bernd in der Wand. Er war damals in Dresden nicht gelitten in seiner Sturm-und-Drang-Zeit.“ Die Richter-Fotos erschienen im Dresdner Mitteilungsblatt des DWBO, des DDR-Verbandes für Wandern, Bergsteigen und Orientierungslauf.

Veröffentlichungen im Westen

Bernd Arnold gefiel das. Und dass Frank Richter sonntags aktuelle Fotos mitbrachte vom Klettern am Vortag. In der Dunkelkammer im Bad waren die nachts entstanden. Der fotografische Ehrgeiz hatte den Elektroniker gepackt. Sogar im Westen wurden Fotos von ihm veröffentlicht. Mit Karl Däweritz hätte er gerne ein Buch über das Klettern im Elbsandstein gemacht, das Material hatten sie. Doch der DDR-Sportverlag wollte nicht: kein Etat, kein Papier, kein Bedarf, hieß es.

Seine Fotos sollten dennoch ihr Publikum bekommen. Frank Richter zeigte sie bei Dresdner Bergabenden. Die waren im Hygiene-Museum gefragt. Er hatte bei Auftritten in einem Betriebsferienheim geübt und gemerkt: Klettermotive alleine reichen nicht. Der Autodidakt registrierte zudem, dass Däweritz-Fotos brillanter und schärfer wirkten. Das 6x6-Format war das Geheimnis, also kaufte er eine Pentacon six für mehr als ein Monatsgehalt, so ließen sich Fotos enorm vergrößern.

Frank Richter machte eine Erfahrung nach der anderen: Nachdem er vom Kleinbild auf das Mittelformat umgestiegen war, probierte er Farbe, was damals nicht selbstverständlich war und holte sich Orwo-Filme in der CSSR, weil DDR-Filme im Ausland in besserer Qualität verkauft wurden. Und ein Österreicher beeindruckte ihn mit Überblend-Technik.

Also tüftele er, bastelte zu zwei Projektoren eine Steuerung. Sein erster Vortrag damit im Hygiene-Museum lautete „Herausforderungen einer Landschaft, Klettern im Elbsandstein“. Der Bergabend war zweimal ausverkauft. Was Frank Richter anfasst, das macht er richtig, mit Konsequenz. Deshalb kam Musik in die Vorträge. Und eine Panoramakamera, die in Dresden gebaute Noblex, verhalf über den extra dafür gebauten Projektor zu neuen Landschafts-Effekten.

Bernd Arnold und Günter Lamm bei einer Wiederholungsbegehung am Mittlerer Torstein, um 1985.
Bernd Arnold und Günter Lamm bei einer Wiederholungsbegehung am Mittlerer Torstein, um 1985. © Frank Richter/Verlagsgruppe Husum

Die Vorträge ließen sich mit den Arbeitszeiten verbinden. Nach dem Studium hatte er bei Clamann & Grahnert in Dresden begonnen, die Firma wurde 1972 verstaatlicht und später zum Kombinat Präcitronic. Nach der Wende kam das Angebot, für den neu gegründeten Nationalpark die Öffentlichkeitsarbeit zu übernehmen. Das Neue reizte. So machte er die Aufbauphase des Nationalparks mit, erlebte als Seiteneinsteiger gute und komplizierte Tage, oft ging es um Geld und Regeln, aber auch um Neid und Misstrauen, da er kein ausgebildeter Naturschützer war. Plötzlich zeigten auch Verlage Interesse. Die hatten eigene Vorstellungen, was gefragt ist. So brachte Frank Richter im Josef-Berg-Verlag ein Wanderbuch heraus. Der Rosenheimer Verlag druckte Landschafts-, Sachsen- und Dresden-Bildbände.

Die Bitte eines Dresdner Pfarrers löste eine Kettenreaktion aus. Karl-Ludwig Hoch hatte ein Buch über den Maler Caspar David Friedrich in der Sächsischen Schweiz gemacht, Elbsandstein-Kenner Richter sollte bei der Präsentation dabei sein. „Ich hatte keine Ahnung von Friedrich, kannte mich aber in der Sächsischen Schweiz aus“, erzählt Frank Richter. „Also bin ich in allen möglichen Ecken rumgekrochen, habe die Originalplätze gesucht.“ Manche gab es, viele hatten sich verändert, einige waren verschwunden durch Wegebau oder Felsstürze. Er durchforstete historische Foto-Archive wie das von Walter Hahn, vertiefte sich in das grafische Werk von Caspar David Friedrich.

„Da wird nicht spekuliert“, lautet eine Richter-Maxime. „Ich will die Ursprungsplätze finden, selbst wenn sie nur auf alten Fotos abgebildet sind.“ So bekam er neuen Vortrags-Stoff, der passte zu großen Ausstellungen des Künstlers. Und er führte Medienleute und Interessierte an die Plätze des Romantik-Malers im Elbsandstein, Riesengebirge oder auf Rügen. Als Frank Richter 2007 Rentner wurde, machte er sich im Wortsinn auf die Spuren von Caspar David Friedrich, marschierte in zehn Tagen dessen einstiger Wanderung von Dresden ins Riesengebirge nach.

Und es entstand ein Buch über den großen Maler im friesischen Husum-Verlag, der den Dresdner Verlag der Kunst übernommen hatte. Die Norddeutschen ließen sich auch überzeugen, ein Kletterbuch über die Sächsische Schweiz herauszugeben. „Das war vor fünf Jahren schnell vergriffen, trotzdem wollten sie keine Neuauflage“, erzählt Frank Richter. „Für ein gänzlich neues Buch waren sie jedoch bereit.“ Der begeisterte Kletterer, der gerne schwere, lange Routen angeht, sich aber nicht als Gipfelsammler sieht, weiß, was es schon alles gab. Deshalb suchte er nach einem neuen Konzept für sein Buch.

Aber wo anfangen, wie ordnen, was nehmen? „Schon beim Sichten war ich schnell bei Umfängen, die sich nicht drucken ließen“, nennt Frank Richter sein Dilemma. Also nahm er sich eine repräsentative Gipfel- und Routen-Auswahl vor, wobei ihm bewusst ist, dass dies nie nach dem Geschmack aller Insider sein kann. Und Rudolf Fehrmann fiel ihm ein und dessen erster Kletterführer für die Sächsische Schweiz von 1908: „Er hat jeden Gipfel kurz beschrieben. Diese Sätze wirken heute noch romantisch. Ich nutze sie als eine Grundlage im Buch, damit der Blick auch auf die Landschaft geht, nicht nur zu Gipfeln, Griffen und Routen.“

Begangsteigriff: Romantik spezial IXc: Jörg Gerschel, 2020.
Begangsteigriff: Romantik spezial IXc: Jörg Gerschel, 2020. © Frank Richter/Verlagsgruppe Husum

Und es sollte nicht nur die Sicht von Fehrmann sein, sondern auch von anderen Kletterern – bis in die heutige Zeit. So kam ein Geschichten-Mix von Älteren bis zu Jüngeren ins Buch. Da erzählen Erstbesteiger teils haarsträubende Episoden. An Schlüsselstellen verfransten sich welche, es wurden Karabiner vergessen, zu wenig Seil mitgenommen, manchmal konnten nur mit Müh und Not erste Ringe geschlagen werden. Nicht immer hielten sie.

Da gab es die beiläufig wirkende Episode vom Anruf auf Arbeit zum Kletter-Treff. Die Erklärung: Die wenigsten hatten Telefon zu Hause. Das erinnert an einstige Lebensgefühle. „Ich dachte, das könnte interessant sein und eine Brücke über die Zeiten bauen. Das gab es in dieser Form noch nicht“, sagt Frank Richter, dessen Frau eine der ersten kritischen Manuskript-Leserinnen war, eine Kletterin seit frühester Jugend, wo auf Zugfahrten ins Elbsandstein noch gesungen wurde.

„Sie sagte, dass beim Lesen ihre Jugendzeit wieder gekommen sei“, sagt Frank Richter schmunzelnd. „Sie kannte viele Wege und spezielle Stellen. Das könnte vielleicht auch für Kletterer interessant sein, die nicht extreme Herausforderungen suchen. Ich wollte die ganze Palette bieten, die zum sächsischen Bergsteigen gehört und natürlich die herrlichen Gipfel. Ich habe versucht, sie von mehreren Seiten zu zeigen, um neue Sichten zu bieten.“ Luftaufnahmen machen zudem die Dimension des relativ kleinen Klettergebietes sichtbar.

Die zeitliche Brücke über zwei Jahrhundertwenden bis heute bietet erstaunliche Parallelen: Vor über 100 Jahren zeigen Fotos wie heute, dass Kletterer scheinbar an den Felsen kleben. Und wie kunstvoll Fotografen zu allen Zeiten die Felslandschaft in Szene gesetzt haben mit romantischem Nebel oder Wolken- und Lichtspielen. „Das hat Tiefe und eine besondere Aura“, schwärmt Frank Richter. „Deshalb begeistern sich beim Klettern seit vielen Generationen junge wie alte. Erstaunlich, wie zeitlos dieses Romantik-Gefühl ist.“Wie ein roter Faden ziehen sich die Namen Rudolf Fehrmann, Walter Hahn, Herbert Richter, Bernd Arnold und aus heutiger Zeit Robert Leistner durch die Gipfel- und Kletterwege-Auswahl im Buch – es ist eine Traditionslinie.

Sorge vor großen Einschnitten

„Der Mix aus spezieller Landschaft, Romantik, Kletterkunst, Sandstein wirkt wie ein Gesamtkunstwerk“, schwärmt Richter. „Zur Tradition gehören auch die speziellen Kletter-Regeln. Die finde ich gut, selbst wenn manche das Beharrungsvermögen beklagen. Man muss sich im Elbsandstein beschränken, kann sich Gipfel nicht erschwindeln. Das ist gelebte Geschichte, die weitergeht.“ Brisanz sieht er durch das nicht zu übersehende Waldsterben.

Neben den Umweltschäden befürchtet er Konsequenzen für Kletterer: „Wenn Wanderwege wegfallen, weil sie nicht mehr frei gehalten werden, ahne ich große Gefahren, dass für Kletterer manche Gipfel nicht mehr zugänglich sein könnten. Das wäre der größte Einschnitt für die Kletterszene bisher.“ Frank Richter gelingt mit seinem Sohn Martin ein spektakuläres Gipfelbuch. Es soll nicht sein letztes Werk gewesen sein. Er würde „gerne noch was über Caspar David Friedrich machen“, einen digitalen Privatdruck vielleicht, es wäre sein wohl 20. Buch.

Frank und Martin Richter: „Das Buch der Gipfel. Klettern in der Sächsischen Schweiz“ Husum Verlag, 304 Seiten, 925 Fotos, 34,95 Euro.
Frank und Martin Richter: „Das Buch der Gipfel. Klettern in der Sächsischen Schweiz“ Husum Verlag, 304 Seiten, 925 Fotos, 34,95 Euro. © Verlagsgruppe Husum

„Ich will es nicht veröffentlichen, die Lizenzgebühren sind für mich nicht mehr zu stemmen“, sagt er. „Ich möchte alles zusammentragen, was ich über ihn weiß. Das wird ein dickes Werk in zwei, drei Bänden für Freunde und Fachleute, die mir viel geholfen haben. Caspar David Friedrich hat mich nie wieder losgelassen.“ So wenig wie die Sächsische Schweiz.

Bei jedem Wetter ist er immer noch dort unterwegs. Es bleibt eine ewige Liebe.