Dynamos Kapitän: Mein Dresden

Dresden. Was für ein Einstand! Erst die Pokalsensation gegen den Hamburger SV, dabei selbst den Elfmeter zum 4:1 verwandelt. Beim Jubel hat er auf das Emblem gezeigt, eine spontane Reaktion, wie er sagt. Und nun der Auftaktsieg in der 3. Liga, er erzielt per Kopf den Treffer zum 1:0 in Kaiserslautern. Für Sebastian Mai ist derzeit „alles Daumen hoch“, wie Dynamos neuer Kapitän sagt. Der Dresdner spielt wieder für seinen Jugendverein, ist zurück in der Heimat.

Wobei sich der 26-Jährige bereits vor drei Jahren eine Wohnung in Briesnitz gekauft hat und von Halle, wo er bis zum Sommer als Fußball-Profi unter Vertrag stand, regelmäßig gependelt ist. „Ich wollte in dem Viertel bleiben, hier bin ich aufgewachsen, hier lebt meine Familie“, erzählt Mai. Vater Lars war einst Aufsichtsrat bei Dynamo, Bruder Lars Lukas (20 Jahre) wurde vom FC Bayern München für diese Saison an den Zweitligisten Darmstadt ausgeliehen, Schwester Sonja (14) mag Volleyball. Das muss allerdings reichen an privaten Auskünften, die behält der lieber für sich.
Ansonsten redet er beim exklusiven Termin offen über sich und vor allem natürlich seine Stadt, über Dresden. Die Frauenkirche, die Hofkirche, die Brühlsche Terrasse, der Zwinger – er zählt die Sehenswürdigkeiten auf. „Diese Stadt ist einfach unfassbar schön.“ Hier ist er groß geworden, hier ist er zu Hause.
Der kleine Knopp
Wir
treffen uns in Briesnitz vor der 76. Grundschule, hier hat Sebastian
Mai ab 1998 das Lesen, Schreiben und Rechnen gelernt. „Das war alles
ganz cool“, sagt er – und meint vor allem die Hofpausen. „Es gab eine
große Spielekiste, die uns der Aufsichtslehrer rausgestellt hat. Dann
konnten wir auf dem Schulhof unsere Faxen machen.“ Ein Ball war fast
immer dabei, aber auch Haschen oder Verstecken haben sie gespielt.

Auf
die Sportfeste hat er sich besonders gefreut. Ob beim 1.000-Meter-Lauf
oder im Sprint, Basti war sogar schneller als ältere Jungs. „Sie rufen
heute noch manchmal: Der kleine Knopp hat uns damals abgezogen.“ Klingt
verrückt, wenn das einer erzählt, der 1,95 Meter groß ist. „Ich hatte
erst nach einem Schien- und Wadenbeinbruch mit 14 einen Wachstumsschub
und danach motorische Probleme, weil die Muskeln fehlten. Wenn ich
gelaufen bin, sah das sehr schlaksig aus.“
Hier oben im Westen der Stadt kennt er jede Ecke, von der Aussicht vom knapp 100 Meter hohen Kirchturm schwärmt er. „Damals gab es für uns keine Playstation. Ich habe mit meinen Freunden sehr viel Zeit an der frischen Luft verbracht, Räuber und Gendarm gespielt.“ Und Kirschen von der nahen Plantage geklaut? „Nein, die durften wir legal pflücken.“
Rückzugsort mit Aussicht
Sebastian Mai parkt seinen Audi in einer Nische am Straßenrand in Richtung Ockerwitz. So hat er es oft gemacht, als er in Chemnitz, Münster, Zwickau und Halle gespielt hat, „um runterzukommen und zu sagen: Du bist zu Hause“. Von hier aus liegen einem die Stadt und das Elbtal zu Füßen, der Blick reicht bis zur Sächsischen Schweiz und darüber hinaus. An diesem Dienstag ist es jedoch leider diesig, aber man sieht "diese sensationelle Silhouette dieser Stadt“.
Es ist sein Lieblingsplatz, sein Rückzugsort. Als Fußballer ist er ein emotionaler Typ, ein Anführer. Im Privatleben braucht Mai aber einen guten Mix aus Action und Entspannung. „Man kann nicht nur unter Strom stehen, ich genieße auch mal die Ruhe und Zeit für mich, einfach die Seele baumeln zu lassen. Das kann ich hier wunderbar.“

Solche Spiele wie am Montag gegen den HSV und Freitagabend auf dem Betzenberg in Kaiserslautern seien auch für den Kopf anstrengend. „Du musst immer wach sein, immer konzentriert. Es macht unheimlich viel Spaß mit den Jungs, aber danach brauchst die ein bisschen, bis es von dir abfällt“, sagt der Kapitän. Er hat den Abend nach der Pokalsensation mit seiner Familie verbracht und nicht nur über das Spiel geredet.
Dieser Rückhalt ist ihm wichtig. Und sich mit den Kumpels zu treffen, zum Beispiel zum Badminton, aber: Einfach zum Spaß – das kriegt er nicht hin. „Ich kann nicht verlieren. Die Jungs wissen: Wenn sie mit mir spielen, geht’s zur Sache.“ Die meisten kennt er seit der Kindheit und Jugend, mit ihnen spielt er ein-, zweimal in der Woche Skat. „Bei Dynamo kann das leider nur der Harti“, erzählt Mai und meint Marco Hartmann. Patrick Wiegers wollte im Trainingslager der dritte Mann werden. „Er meinte, ich solle es ihm mal fix erklären. ,Wiege, das geht nicht in fünf Minuten.‘ Mach mal! Als ich anfing, man reizt mit einem oder ohne einen, Schell hat neun Punkte und so weiter, winkte er ab: Okay, erkläre es mir in einer ruhigen Minute.“
Auf den Auswärtsfahrten spielen sie im Bus meist Dog, vergleichbar mit dem traditionellen „Mensch ärgere dich nicht“. Und der Trainer? „Ich weiß nicht, ob er Skat spielt, aber er ist ja beschäftigt mit den Videoanalysen“, sagt Mai.
Aufs Dach gestiegen
Ein kleiner Luftikus muss der Basti schon gewesen sein. „Wir sind als Jungs die Traglufthalle hoch gerannt“, erzählt Mai nebenbei. Mit neun Jahren fing er bei Dynamo an. „Ich wollte aufs Sportgymnasium, habe aber die erste Aufnahmeprüfung nicht geschafft.“ In eben jener Traglufthalle gegenüber des Stadions mussten sie sprinten, mit dem Ball im Slalom laufen, turnen und Fußball spielen. „Ich war total aufgeregt, wollte keinen Fehler machen.“ Weil das nicht klappte, versuchte er es noch mal, diesmal für die Sport-Realschule. Die gleichen Übungen, „Ich wusste, was kommt, da war ich gut.“ Also wurde er genommen – auch bei Dynamo. Sein erster Trainer: Tino Kreller.

Nach einem Jahr wechselte Mai doch aufs Gymnasium, hat das Abitur aber nicht gemacht. „Russisch war Prüfungsfach, und ich wusste: Das wird nichts.“ Das lag sicher nicht daran, dass er ab und zu aufs Dach gestiegen ist, also: gerannt. „Am Anfang ging es noch flach rauf, dann sehr steil, eine Wölbung dazu. Man musste schon schnell sein, um hochzukommen. Ich stand oben, wer kann das schon von sich sagen?“ Wie hoch war die Halle, die 1978 eingeweiht und 2007 abgerissen wurde? Vielleicht zehn Meter? „Was ein paar Jungs aus Langeweile eben so machen“, sagt er und grinst. „Zum Glück ist uns nichts passiert.“
Damals war er bei Dynamo-Spielen als Ballholer im Stadion. Maik Wagefeld, Karsten Oswald – die erfolgreiche Zeit unter Trainer Christoph Franke. „Ich war so konzentriert, um ihnen ja schnell den Ball zuzuwerfen“, erinnert sich Mai. „Zur Pause gab es Wiener Würstchen, Weißbrot dazu, Senf und Ketchup drauf – das war lecker.“
Der Genießer
Seine Einstellung zum Essen: „Wenn man es schnell hinterschlingt, nur um etwas zu sich zu nehmen, wäre mir das zu schade.“ Sebastian Mai genießt es lieber, es muss auch nicht immer gesund sein. „Wenn ich Bock habe auf Pasta mit einer Tomatensoße aus der Tüte und richtig fett Emmentaler drauf, mache ich mir das. Mit einem Salat am Abend gleicht sich das auch mal aus.“

Er schwört auf die Lasagne seines Vaters: „Absolute Spitzenklasse.“ Und auf den Fisch mit der hausgemachten Remoulade und Bratkartoffeln in der Gaststätte „Alte Schmiede“.
Erst die Lehre, dann die Karriere
Nach der Schule denkt Sebastian Mai noch nicht an eine Karriere als Fußball-Profi. Er beginnt eine Ausbildung als Sozialversicherungsfachangestellter bei einer Berufsgenossenschaft, sein Arbeitsplatz ist in Stadionnähe. „Den Wecker habe ich mir für 5.10 Uhr gestellt, bin von Striesen mit dem Fahrrad durch den Großen Garten gefahren und habe um 6 Uhr angefangen.“ Er gibt gerne zu, dass ihn sein Vater dazu ermuntert hat, einen Beruf zu erlernen. „Darüber bin ich total froh, auch wenn ich nicht weiß, ob ich das später machen will. Aber es ist gut, so eine Basis zu haben.“

Bei Dynamo ist er mit der B-Jugend in die Bundesliga aufgestiegen, spielte für die zweite Mannschaft in der Oberliga. Trainiert wurde nachmittags. „Natürlich war es auch mein Traum, zu den Profis zu kommen, aber das war nicht greifbar. Dafür war ich noch nicht bereit.“ Für die Ausbildung war er insgesamt zwölf Wochen im Jahr unterwegs, unter anderem in Hamburg, wo er kurzzeitig bei den Junioren des HSV und des FC St. Pauli mittrainieren durfte. „Das war total spannend, ich habe einige Leute kennengelernt, die ich später im Fußball wiedergesehen habe.“
Bentley Baxter Bahn, jetzt in Rostock, und Jannik Starnberg, Halle, nennt er als Beispiele. Mai verließ Dresden 2013 und wechselte nach Chemnitz. Über die Stationen Zwickau, Münster und Halle ist der „verlorene Sohn“ nun zurück in seiner Stadt. Und Kapitän bei seinem Heimatverein. „Eine riesengroße Ehre“ sei das. „Für mich sind ein paar Träume in Erfüllung gegangen.“