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Messis missbrauchte Krönungsmesse

Lionel Messi erklimmt mit Argentinien den Gipfel, will die Karriere im Nationaltrikot nicht beenden – und wehrt sich auch nicht gegen die bizarre Vereinnahmung des Scheichs.

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Eine Szene, die für Kopfschütteln sorgte: Der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, legt Lionel Messi ein arabisches Bischt um. Fifa-Präsident Gianni Infantino scheint das zu gefallen. :
Eine Szene, die für Kopfschütteln sorgte: Der Emir von Katar, Scheich Tamim bin Hamad Al Thani, legt Lionel Messi ein arabisches Bischt um. Fifa-Präsident Gianni Infantino scheint das zu gefallen. : © dpa/Robert Michael

Von Frank Hellmann

Doha. Abertausende Argentinier schleppten sich am Tag danach sichtlich gezeichnet zum Hamad International Airport von Doha. Die meisten waren nach einer Nacht ohne Schlaf zu kaputt, um weiter zu singen, aber sie vereinte die Gewissheit, dass sich der teure Trip auf die Arabische Halbinsel gelohnt hatte.

Viele gaben für ihre Verhältnisse ein Vermögen aus, manche auf dem Schwarzmarkt 4.000 Dollar für ein Ticket, ungefähr dieselbe Summe für die Flüge, um den historischen Moment mitzuerleben: die himmelblaue Krönungsmesse eines Lionel Messi, der Argentinien den dritten WM-Titel bescherte – und sein sportliches Lebenswerk abrundete.

Auch wenn in dem Wüstenstaat nicht die beste WM aller Zeiten stattgefunden hat, bekam Katar an seinem Nationalfeiertag das beste Finale geschenkt. Dass der sechsmalige Weltfußballer ein solches Spektakel wie gegen Frankreich orchestrierte, um erstmals die wichtigste Trophäe zu küssen, mutete fast surreal an.

Ein für ein paar Tage wieder erstarktes Land

Die besungene Sehnsucht von der gemeinsamen Mission eines Diego Maradona und Lionel Messi hat sich tatsächlich erfüllt, und die fiktive Handreichung zwischen der verstorbenen Legende und der lebenden Ikone trug solch rituelle Züge, dass ein von einer schweren Wirtschaftskrise geplagtes Land sich durch den Fußball zumindest für ein paar Tage wieder stark fühlen kann.

„Gegen Ende meiner Karriere wurde mir fast alles gegeben. Es ist verrückt, dass es so passiert ist. Ich wollte es so sehr“, sagte Argentiniens Kapitän, der sich mehrfach am Kopf kratzte. „Ich wusste, dass Gott es mir geben würde, ich hatte das Gefühl, dass es so sein würde.“ Auch Nationaltrainer Lionel Scaloni fühlte sich Maradona ganz nah, als er mit tränenerstickter Stimme sagte: „Wenn er hier wäre, hätte er eine unbändige Freude empfunden und wäre der Erste auf dem Platz gewesen.“

Es sind spirituell anmutende Verbindungen, die am Rio de la Plata ein solch starkes Band zwischen der „Albiceleste“ und den Menschen machen, von denen eine Million in Buenos Aires auf die Straßen strömte. Die Menge besetzte das Stadtzentrum um den berühmten Obelisken.

Am Obelisken in Buenos Aires feierten bis zu eine Million Argentinier bis in die Nacht den Finalsieg.
Am Obelisken in Buenos Aires feierten bis zu eine Million Argentinier bis in die Nacht den Finalsieg. © dpa/Rodrigo Abd

In der Kabine in Doha hatten die Feierlichkeiten begonnen, die Abwehrchef Nicolás Otamendi festhielt. Sollte doch jeder sehen, dass Schampus und Bier nicht nur in einschlägigen Hotelbars im Emirat in Strömen fließen. Auch Messi gönnte sich ein Schlückchen, gab er doch den Anführer in den berauschenden Momenten: einen Elfmeter in der regulären Spielzeit, einen im Elfmeterschießen verwandelt und einen Treffer seines Kumpels Angel di Maria aus Rosario eingeleitet. Dieses phänomenale Endspiel war die passende Schleife für fast 20 Jahre Profifußball auf nahezu unerreichtem Niveau.

Am Sonntag stieg der 35-Jährige gleich noch zum WM-Rekordspieler und besten WM-Spieler auf. Als „Man of the Match“ schwänzte er die Pressekonferenz, weil er lieber bei Freunden und Familie sein wollte. Der Antrieb, den der Ausnahmekönner aus der Anwesenheit von Ehefrau Antonela Rouccuzzo und seiner drei Kinder Thiago, Mateo und Ciro schöpfte, war nicht zu unterschätzen.

Auf dem Rasen entstanden Familienbilder von Ewigkeitswert. Messi fühlt sich bei der Nationalelf seit dem Gewinn der Copa América 2021 deutlich mehr wertgeschätzt als bei Paris St. Germain, wo er nicht solchen Einfluss hat. Deshalb soll nach 172 Länderspielen nicht Schuss sein. „Es ist kein Geheimnis, dass ich meine Karriere mit diesem Pokal beenden wollte“, sagte Messi. Er möchte aber nun noch „ein paar Spiele als Weltmeister“ erleben.

Wie wichtig ihm seine Familie sei, hatte Messi stets betont. Nach der Siegerehrung saß sie mit auf der Bühne.
Wie wichtig ihm seine Familie sei, hatte Messi stets betont. Nach der Siegerehrung saß sie mit auf der Bühne. © dpa/Tom Weller

Trainer Scaloni, mit dem die Nummer zehn neben dem Vornamen auch die Meinung verbindet, dass eine Mannschaft am stärksten ist, wenn sie um ihn als Fixstern gebaut wird, überlässt ihm diese Entscheidung. „Es liegt bei ihm. Alles, was er weitergibt, das ist surreal, so etwas habe ich noch nie gesehen, dass jemand so viel gibt“, schwärmte der 44-Jährige.

Bedauerlich, dass die Strahlkraft eines solchen Idols von Fifa-Präsident Gianni Infantino und dem Emir von Katar, Tamim bin Hamad Al Thani, bei der Siegerehrung missbraucht wurden. Erst hielten sich zwei profilierungssüchtige Herrscher zu lange am Goldpokal fest, um dann dem vielleicht sogar größten Fußballer aller Zeiten ein Bischt, ein durchsichtiges Übergewand, umzuhängen.

Der bei PSG aus einem katarischen Staatsfonds sehr fürstlich bezahlte und als Tourismusbotschafter für Saudi-Arabien eingespannte Messi hat sich gegen die Vereinnahmung mit einem Kleidungsstück aus dem arabischen Raum nicht gewehrt, aber es ist auch nicht anzunehmen, dass dieses Utensil einen Ehrenplatz in seinem Zuhause in Barcelona bekommt. „Da nimmt man dem Spieler einen ganz großen Moment“, sagte Ex-Weltmeister Bastian Schweinsteiger in der ARD.

Der WM-Gastgeber hat mit der Schlussszene indes deutlich gemacht, dass es bei dieser gigantischen Show am Ende weniger um Fußball ging, sondern eher darum, die weltbesten Kicker für eigene Zwecke einzuspannen.