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Eiskunstlauf in Peking: „Die Zerstörung eines Kindes“

Die 15-jährige Eiskunstläuferin Kamila Walijewa hält dem Druck nicht stand und wird nach dem Doping-Wirbel Vierte. Ihre Trainerin zeigt kein Mitgefühl.

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Die Russin Kamila Walijewa konnte den Zauber ihrer vorherigen Auftritte nicht wiederholen. Die 15-Jährige stürzte beim Vierfach-Salchow.
Die Russin Kamila Walijewa konnte den Zauber ihrer vorherigen Auftritte nicht wiederholen. Die 15-Jährige stürzte beim Vierfach-Salchow. © dpa/Peter Kneffel

Von Andreas Schirmer und Wolfgang Müller

Peking. Kamila Walijewa bedeckte die Augen mit ihren roten Handschuhen. Die 15 Jahre alte Eiskunstlauf-Europameisterin aus Russland kämpfte nach ihrer verpatzten Kür gegen die Tränen an. Als das Wunderkind am Donnerstag vom Eis glitt, war klar, dass es nichts geworden war mit dem erhofften Olympiasieg. Von ihrer Trainerin gab es nach dem tagelangen Wirbel um Walijewas positive Dopingprobe keinen Trost, sondern harsche Worte.

„Warum hast du alles so aus den Händen gegeben? Warum hast du aufgehört zu kämpfen? Erklär mir das! Nach dem Axel hast du es aus den Händen gegeben“, sagte die in den vergangenen Tagen heftig in die Kritik geratene Trainerin Eteri Tutberidse, wie auf Videos zu hören ist. Walijewas Auftritt fehlte nach all dem Wirbel der vergangenen Tage der Zauber. Sie patzte bei ihren Sprüngen und zeigte Nerven. Sie wirkte verunsichert. Doch statt sie zu trösten, empfing Tutberidse ihre Musterschülerin kühl und nahm sie auch nicht in den Arm.

Ihre Führung aus dem Kurzprogramm konnte Walijewa nach der tagelangen Aufregung um ihr Dopingvergehen nicht verteidigen. Sie rutschte im Damen-Einzel auf Platz vier ab und blieb damit ohne Medaille. Gold ging mit 255,95 Punkten an die russische Weltmeisterin Anna Schtscherbakowa. Silber sicherte sich deren Teamkollegin Alexandra Trusowa, Bronze ging an die Japanerin Kaori Sakamoto.

Walijewa dagegen stürzte zu den Klängen des „Bolero“ von Maurice Ravel beim Vierfach-Salchow und auch der Vierfach-Toeloop gelang nicht ganz. „Sie war ein Schatten ihrer selbst, als sie hier rausgegangen ist. Sie konnte nicht gewinnen in diesem ganzen Spiel. Das, was jetzt passiert ist, ist das Allerschlimmste, sie ist daran zerbrochen“, sagte die ehemalige Eiskunstläuferin und heutige ARD-Expertin Katarina Witt und musste sich Tränen aus den Augen wischen. „Man hat sie jetzt wirklich der Welt zum Fraß vorgeworfen. Irgendjemand Verantwortungsvolles hätte sie rausnehmen müssen, bevor überhaupt dieser Tsunami losging“, sagte Witt und äußerte die Hoffnung, dass sie „das übersteht und dass sie wiederkommt“.

ARD-Expertin Katarina Witt ist entsetzt über den Umgang mit dem Teenie und kämpfte im Olympiastudio mit den Tränen.
ARD-Expertin Katarina Witt ist entsetzt über den Umgang mit dem Teenie und kämpfte im Olympiastudio mit den Tränen. © Screenshot: ARD

Während Walijewa erst einmal in den Katakomben des Capital Indoor Stadiums verschwand und zunächst keine Interviews gab, postierten sich die Medaillengewinnerinnen zu einer kleinen Siegerzeremonie auf dem Eis. „Ich bin überwältigt, fühle aber auch eine Leere in mir“, sagte Schtscherbakowa, posierte stolz mit Maskottchen und ließ sich mit der Fahne des Russischen Olympischen Komitees um die Schultern fotografieren. Über ihre geschlagene Kontrahentin Walijewa sagte die neue Olympiasiegerin: „Ich habe gleich gesehen, dass es bei ihr nicht gut läuft. Ich weiß, wie es ist, wenn so etwas passiert.“ Die Frage, ob Walijewa fair behandelt worden sei, wollte sie nicht beantworten.

Die Reaktionen in Russland fielen jedoch eindeutig aus. Der bekannte russische Trainer Alexander Schulin sprach von einer „Tragödie. Das, was sie getan haben, ist die Zerstörung eines Kindes, eines Menschen. So verloren habe ich Kamila noch nie gesehen.“ Startrainerin Tatjana Tarassowa sagte Sport Express: „Es ist sehr schade. Ich habe keine Worte. Sie haben sie geschlagen, geschlagen – und getötet.“

Es gibt noch viel aufzuklären

Schtscherbakowa zeigte eine fabelhafte Kür, in der die Balance von Technik und künstlerischer Gestaltung zu einem wundervollen Ganzen wurde. Obwohl sie nur zwei Vierfache zeigte, verdiente sie sich Gold. Nicht optimal lief es für die Deutsche Meisterin Nicole Schott. Die 25-Jährige aus Essen fiel von Rang 14 nach dem Kurzprogramm noch auf den 17. Platz zurück. „Es hätte besser laufen können, aber ob man Vierzehnter oder Achtzehnter wird, juckt doch keinen“, sagte sie.

Im Fall Walijewa gibt es nun auch ohne Olympia-Medaille im Einzel viel aufzuklären: angefangen bei der großen Verzögerung der Übermittlung des positiven Tests auf das Herzmittel Trimetazidin im Dezember 2021 an die Rusada über die Aufhebung der vorläufigen Suspendierung bis zur Frage: Warum hat die junge Spitzenathletin die verbotene Substanz genommen oder bekommen? Und was ist mit der Erklärung, dass durch das Trinken aus einem Glas des herzkranken Opas das Trimetazidin unwissentlich in ihren Körper gekommen sein könnte?

Ob der Fall bis zu den Weltmeisterschaften vom 21. bis 27. März in Montpellier abgeschlossen sein wird, ist wenig wahrscheinlich. (dpa)