Dresden. Sie ist das Gesicht ihrer Sportart. Anna Seidel vom Eislaufverein Dresden ist die einzige deutsche Weltklasseathletin im Shorttrack. Auf dem 111 Meter langen Eis-Oval steht die 25-Jährige seit 2014 im Fokus. Schon lange wog die Dresdnerin ab, ob es Sinn macht, bis zu den Olympischen Winterspielen 2026 in Mailand weiterzumachen – es wäre ihre vierten. Nun pausiert Seidel eine Saison lang – eine gesundheitsbedingte Entscheidung. Worum es dabei genau geht, erklärt sie im Gespräch mit Sächsische.de.
Anna, wie haben Sie Ihre Entscheidung abgewogen, die Karriere nicht zu beenden, sondern eine Pause einzulegen?
Ich habe mich auch schon in der vergangenen Saison gefragt, wie es weitergeht. Ich dachte eigentlich erst, dass ein Karriereende der richtige Weg ist. Ich habe nach der vergangenen Saison versucht, mich mit dem Gedanken anzufreunden, aber gemerkt, dass ich mich nicht 100 Prozent wohl damit fühle, zu sagen: Das war es jetzt. Gleichzeitig habe ich auch festgestellt, dass ich nicht nach vier Wochen Pause einfach weitermachen kann wie bisher und so tun, als wäre nichts. Parallel redete ich viel mit Leuten, Freunden, ehemaligen Trainern, auch Sportpsychologen. Dann bin ich irgendwann auf die Idee gekommen, mir die Sache offenzuhalten und mich für eine Saison von dem Wettkampfdruck und dem ganzen Trubel zurückzuziehen, mir die Zeit zu nehmen und dann zuschauen, wie es mir damit geht.
Sie schrieben in Ihrem Instagram-Posting von körperlicher und geistiger Erschöpfung. Wie machte sich die bei Ihnen bemerkbar?
Die körperliche Erschöpfung hat man bei der Weltmeisterschaft ganz gut gesehen – da war einfach der Tank leer. Das ist schon sehr intensiv, was wir da jeden Tag machen. Zusätzlich dass man oft körperlich erschöpft ist, hatte ich beispielsweise Hüftprobleme. Meine verheilte Fußverletzung war immer noch ein Thema – all die Baustellen, die man so hat, die ganze Abnutzung durch den Leistungssport. Aber eben auch, dass es an einem zehrt, dass man kaum noch Körperfett hat. Es ist echt anstrengend, wenn man das jedes Jahr aufs Neue macht. Das hinterlässt auch Folgeschäden am Körper.
Und die mentale Gesundheit?
Es ist halt sehr viel Druck im Leistungssport, gerade wenn man ehrgeizig ist und Anspruch hat. Den Druck macht man sich auch selbst. Aber ich konnte und wollte das nicht mehr. Ich hatte keinen Spaß mehr, merkte einfach, dass ich nicht mehr richtig für den Sport brenne und einfach etwas ausgebrannt bin.
Sind Sie dagegen bereits mit professioneller Hilfe vorgegangen?
Ja, schon. Klar arbeiten wir viel mit Sportpsychologen. Vieles realisiert man aber auch selbst, wenn man etwas in sich hineinhorcht. Es sollte ja nicht so sein, dass man keinen Spaß mehr am Sport hat. Auch wenn man nach der Saison merkt: Ich kann es mir nach der Saison nicht vorstellen, wieder drei Stunden auf dem Rad zu sitzen und von früh bis spät nur Sport zu machen. Da bringt es ja nichts, das weiter so durchzuziehen.
Ein Burn-out oder ähnliche Erkrankungen können Sie für sich ausschließen?
So weit ist es nicht, dann hätte ich in dieser Saison nicht so meine Leistung bringen können.
Sie haben mal gesagt, dass Sie sich den größten Druck eigentlich selbst auferlegen. Das zieht also auch entsprechend enorme Kraft und Energie?
Natürlich. Daran kann man auch arbeiten, aber am Ende ist das auch eine Charakterfrage. Wenn man sehr ambitioniert ist, ist da immer hoher Druck, dem man sich aussetzt. Das kann man nur bedingt ändern.
Vor der vergangenen WM betonten Sie, dass Sie innerhalb des Verbandes nicht immer als Zugpferd agieren wollen, sondern für die Fortsetzung Ihrer Karriere andere Rahmenbedingungen abgesteckt werden müssten. Hat es diese Gespräche dennoch gegeben?
Ja, wir haben da sehr offen drüber geredet. Die DESG war sehr einsichtig und kooperativ und hat mir kommuniziert, dass man mir viele Freiheiten geben würde, wenn es weiterginge. Das war immer offen und transparent. Da gab es Ansätze und Möglichkeiten, die brauchen wir aber für diese Saison nicht. Dann muss man schauen, wie es im kommenden Frühling aussieht.
Der Verband wird dennoch wenig erfreut gewesen sein, dass die einzige Athletin, die international konkurrenzfähig ist, jetzt eine Saison fehlt.
Vielleicht ist das so. Aber da wurde menschlich verständnisvoll reagiert. Man muss ja auch Freude daran haben, sonst kommen die Ergebnisse auch nicht. Es gibt ja auch Athleten, die für Olympia 2026 oder 2030 infrage kommen.
Haben Sie für sich schon geplant, womit Sie Ihre sportliche Pause füllen?
Der Plan ist, dass ich in reichlich einem Monat zu Moritz (Seidel ist mit dem deutsche Eishockey-Profi Moritz Seider liiert/Anm. d. A.) nach Detroit gehe. Ich treibe da auch mein Fernstudium voran und trainiere trotzdem vier, fünf Mal die Woche. Nichts mache ich jetzt nicht. Mir macht Bewegung Spaß – zumal, wenn es freiwillig ist. Es ist nicht so, dass ich den ganzen Tag rumliege. Ich werde spüren, ob noch etwas in mir lodert, wenn die Wettkämpfe im Shorttrack beginnen. Ich habe jetzt ein Sechs-Monats-Visum für die USA, muss dann schauen, ob es mich wieder packt.
Das deutsche Sportsystem verlangt für weitere öffentliche Förderungen jährlich entsprechende Leistung ab. Sind diese Dinge aus Ihrer Sicht geregelt?
Dahingehend habe ich auch immer ganz offen kommuniziert. Ich will keinen Förderplatz besetzen, wenn meine Entscheidung ewig dauert. Wir haben eine gute Zwischenlösung gefunden, in der mir trotzdem Zeit bleibt, mich zu entscheiden, wie es weitergeht.
Sie werden außerdem auch von privaten Sponsoren unterstützt - beispielsweise von Red Bull. Bleiben die an Bord?
Auch da ist mit den meisten alles besprochen, natürlich bleibt es nicht bei den gleichen Summen. Danach kommt es auf meine Entscheidung an.
Stand jetzt ist das ausdrücklich nicht Ihr Karriere-Ende. Können Sie ausschließen, dass Sie nach der Auszeit dennoch sagen: Ich höre auf?
Das kann ich nicht ausschließen. Ich hoffe nicht, dass es so kommt. Aber ich werde auch nichts erzwingen. Ich brauche diese Zeit, mir darüber klar zu werden, was ich will und was nicht. Deshalb mache ich jetzt erst einmal diese Pause – halte mich aber dennoch fit.