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Fünf Jahre nach Verhaftung: Dresdner spricht über seine Wettspielsucht

Fußballwetten bringen Thomas Melchior ins Gefängnis, mehr als drei Jahre lang. Inzwischen ist der einstige Bankkaufmann wieder frei - und unterwegs in neuer Mission. Das Pilotprojekt startet jetzt in Dresden.

Von Michaela Widder
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Vom Banker in den Knast: Der Dresdner Thomas Melchior spricht über seine Wettspielsucht - und was er dagegen getan hat.
Vom Banker in den Knast: Der Dresdner Thomas Melchior spricht über seine Wettspielsucht - und was er dagegen getan hat. © privat

Dresden. Es ist ein Datum, das vergisst er nie. Wie ein zweiter Geburtstag. Der 18. Januar 2019 ist der Tag, an dem sich Thomas Melchior das erste Mal wieder frei fühlt. An jenem Tag klickten in der Dresdner Altmarktgalerie die Handschellen. Es klingt paradox, doch Melchior war bis zu diesem Moment 13 Jahre lang gefangen in seiner Wettspielsucht – eine Parallelwelt aus Heimlichtuerei, Lügen und irgendwann auch Betrug. Zu fünfeinhalb Jahren wurde er deshalb verurteilt, saß 1.060 Tage in Haft.

"Zum Glück wurde ich verhaftet", sagt Melchior noch heute. Der gebürtige Görlitzer sieht die Zeit hinter Gittern von Anfang an als die große Chance, seinem Leben nochmal eine andere Wendung zu geben. Und jetzt, fünf Jahre später, stellt er tatsächlich fest: "Mein Leben hat sich um 180 Grad gedreht. Das heißt nicht, dass es manchmal schwierig ist, aber die Richtung stimmt."

Jetzt sitzt er mit seiner Freundin in einem Dresdner Restaurant - gegenüber ist ein Wettbüro. Dieser Drang und Druck, dort hineinzugehen, ist verflogen. Stattdessen sagt Melchior: "Mir tun die Leute leid, die da drin sitzen. Ich weiß, was ihnen für ein langer und schwieriger Weg bevorsteht." Einen Rückfall hat er inzwischen selbst schon erlebt, vor gut einem Jahr war das. Seitdem weiß er: "Für mich gibt es keinen Mittelweg."

Er, der gestandene Banker, hätte nie geglaubt, dass mit einer scheinbar harmlosen Wette 2005 seine Sucht begann. Ausgelöst durch eine Werbung für Sportwetten in der Halbzeitpause beim Champions-League-Spiel von Bayern München gegen Rapid Wien.

Medienwirksame Plakat-Aktion vor dem FC Bayern

Die Abwärtsspirale beginnt, er wettet öfter, verliert, er wettet noch häufiger, verliert noch mehr - erst Geld, dann Freunde und schließlich auch die Familie. In Deutschland haben 4,6 Millionen Menschen ein Problem mit Spielsucht. Eine Sucht also, die man den Betroffenen auf den ersten Blickt nicht anmerkt. Eine Sucht, die heimtückisch ist, weil sie sich so gut verstecken lässt.

Deshalb will Thomas Melchior aufklären, warnen, seine eigene Geschichte erzählen. Schon im Gefängnis sucht er die Öffentlichkeit, schreibt ein kleines Buch über das Erlebte. Wenige Tage nach seiner Haftentlassung im Mai 2022 startet er dann seine erste Plakataktion - direkt an der Einfahrt zur Justizvollzugsanstalt Dresden.

Mit dem Spruch auf dem Plakat "Nur wer mitspielt, ist mittendrin" bezieht sich Melchior bewusst auf die Werbung eines großen Wettanbieters aus dem Jahr 2019. "Ich möchte damit zeigen, was passiert, wenn man macht, was einem die Werbung suggeriert. Ich war mittendrin, keine Frage. Erst in der Sucht, dann in der Privatinsolvenz und zum Schluss im Gefängnis", erklärt er. Noch öffentlichkeits- und medienwirksamer hat er im vergangenen Jahr mit Plakaten gegen Sportwetten-Werbung in München und Stuttgart protestiert, unter anderem direkt am Trainingsgelände des FC Bayern an der Säbener Straße sowie unmittelbar vorm Stuttgarter Bundesliga-Stadion.

Aktionen rund um die Fußball-EM

Für dieses Jahr hat Melchior neue Aktionen geplant, vor allem rund um die Fußball-EM in Deutschland. Auch die Zusammenarbeit mit einem Automobilhersteller steht in den Startlöchern. Ein anderes, mindestens ebenso wichtiges Anliegen ist dem Dynamo-Fan, mit seinem Thema in Schulen zu gehen und bei denen aufzuklären, die sich den Gefahren wohl am wenigsten bewusst sind. Anfang nächster Woche startet dazu ein Pilotprojekt an einem Dresdner Gymnasium mit Achtklässlern.

"Glücksspiel ist zwar erst ab 18 freigegeben, aber wenn Kinder und Jugendliche ins Stadion gehen, werden sie mit Sportwettenwerbung konfrontiert. Ich will zeigen, dass das Thema nicht so harmlos ist und welche Folgen es haben kann. Dafür bin ich ein klassisches Negativbeispiel", sagt Melchior, der selbst mal Fußball in Niesky und beim Dresdner SC spielte. Er betont: "Es geht darum, aufzuklären. Und damit kann man heutzutage nicht früh genug anfangen."

Seine Lebensgeschichte wird er am Dienstagabend zudem im Haus der Presse in Dresden erzählen, mit allen Höhen und Tiefen. "Mir geht es jetzt sehr gut. Mein spielfreier Zustand hat sich stabilisiert", sagt Melchior. "Ich blicke positiv in die Zukunft und bin sehr gespannt auf die nächsten Projekte." Und das, fünf Jahre nachdem die Handschellen klickten.

„Mein Leben ist kein Spiel“ – vom Bankkaufmann in den Knast. Der Dresdner Thomas Melchior erzählt von seiner jahrelangen Wettspielsucht und warum seine Verhaftung eine Befreiung war. Ein spannender wie unterhaltsamer Abend zu einem brisanten Thema. Die Veranstaltung findet am 6. Februar, 19.30 Uhr, im Haus der Presse in Dresden statt.

Tickets gibt es in allen SZ-Ticketshops sowie online unter www.szlink.de/neustart