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Sprung in den Tod

Base-Jumper leben extrem gefährlich. Die Geschichte vom traurigen Ende einer Freundschaft kommt nach Dresden.

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© Anson Fogel

Von Jochen Mayer

Fliegen ist ein Menschheitstraum, ein gefährlicher. Nicht nur Flugpioniere wie Otto Lilienthal bezahlten ihn mit dem Leben. Heute sind Flugzeuge recht sichere Verkehrsmittel. Wer aber relativ ungeschützt das Abenteuer in der Luft sucht, lebt mit großen Risiken. So starben von 1981 bis Oktober 2016 insgesamt 311 Menschen bei Base-Sprüngen. Die sich dieser Extremsport-Sparte verschrieben haben, stürzen sich von festen Objekten, bremsen den Flug rechtzeitig vor dem Bodenkontakt per Spezial-Fallschirm. Im Kunstwort Base sind die Anfangsbuchstaben der Absprungplätze vereint: B wie Building/Gebäude, A - Antenna/Sendemasten, S - Span/Bogen und Brücken, E - Earth/Erdboden und Felsen.

Ian Flanders
Ian Flanders © Anson Fogel

Einer der Base-Toten ist Ian Flanders. Den Kalifornier lockte das Abenteuer. Er reizte sich aus, liebte den Nervenkitzel in den Kletterwänden des Yosemite-Nationalparks. Er war beruflich ein Fachmann im Kampf gegen Schlafstörungen – kam aber selbst nur schwer zur Ruhe. Und er gab seinen Job für den Extremsport auf. „Es gab keine andere Wahl“, sagte Freund und Sehnsuchts-Gefährte Matt Blank. „Es ist wie Atemluft für uns.“

Flanders genoss das Springen und fand immer neue Spielarten: Er stieg durch die Eiger-Nordwand und sprang von oben wieder zurück zum Ausgangspunkt. Spektakulär sein Mountainbike-Flug in einen Canyon. In Utah radelte er über eine Klippe und sank am Schirm in die Tiefe. Mit der Landung klinkte Flanders den Fallschirm aus und strampelte ohne Halt der Sonne entgegen. Ein Bild voller Symbolik.

Fall vom Sessellift in den Canyon

Im Juli 2015 arbeitete der 28-Jährige an einer Dokumentation über sich häufende Todesfälle beim Base-Jumping. Bei einem erstmals in der Türkei ausgetragenen Extremsport-Event in Kemaliye sprang Ian Flanders von einem Sessellift in den Karasu. Der Fluss liegt wie eingeklemmt zwischen gigantischen Felswänden, dem Schwarzen Canyon. „Es war ein wunderschöner Flug, ein herrlicher Blick“, schwärmte der US-Amerikaner bei einem regionalen Fernsehsender über den Sprung. „Die Landung im Fluss – wirklich lustig.“ Die Stimmung schlug am Tag danach dramatisch um.

Sein dritter Sprung führt in die Katastrophe. Die Leinen seines Fallschirms verheddern sich um ein Bein. Verzweifelt versucht er, sie zu entwirren. Doch die Fallhöhe von gut 270 Metern lässt nur wenige Sekunden Zeit, der rettende Schirm entfaltet sich einfach nicht. In engen Kreisen stürzt Flanders dem Fluss entgegen. Kurz nach dem Aufschlag ist ein Rettungsboot zur Stelle. Ein lebloser Körper wird aus dem Wasser gezogen.

Matthew Blank sah aus seinem Sessellift-Platz, wie sein Freund kämpfte, um seinen Fuß frei zu bekommen. Als Blank landete, war Flanders bereits tot. Vorwürfe machen sich die überlebenden Springer nicht. Sie hatten das Gelände, das Wetter, die Windgeschwindigkeit geprüft, die Höhe exakt per Lasertechnik ausgemessen.

Doch trotz aller Gewissenhaftigkeit bleibt ein Restrisiko, das schwer bis nicht zu kalkulieren ist, selbst bei vermeintlich einfachen Sprüngen. „Sein letzter Sprung war Routine“, sagt Donald Schultz, dessen Spezialität Gleitflüge im Flügelanzug sind, bei Independent. Selbst Sprünge von einem Viertel der Höhe hatte Flanders bis dahin sicher gemeistert. „Es war, als ob ein Nascar-Pilot, der ein Rennen überlebt hat, auf dem Heimweg im Auto stirbt“, vergleicht Schultz die Situation.

Trotz der Tragödie springen sie weiter. „Sie machen es aus Leidenschaft“, erklärte Sean Chuma, ein Flanders-Freund, in der Los Angeles Times. „Für Ian war es sicher. Aber du weißt, dass immer etwas passieren kann.“ Chuma gehörte zu denen, die am Tag nach Flanders Tod ein Gedächtnis-Base-Jumping ihm zu Ehren veranstalteten. Und er bemüht einen Alltagsvergleich: Die Leute würden ja auch weiter in Autos steigen, obwohl es immer wieder neue Verkehrstote gibt. „Das ist es mir wert“, klingt Chuma trotzig, „und war es auch für Ian.“

Urne am Gipfelrand geöffnet

Flanders wusste, worauf er sich einlässt. Er hatte vor dem Unglück verfügt, dass die Freunde nach seinem Tod in den von ihm so geliebten Yosemite-Nationalpark pilgern sollen, um seine Urne am Gipfelrand des Half Dome zu öffnen. Seine Asche sollte einen letzten Sprung machen.

Vor dem Flanders-Tod hatte Matt Blank Briefe an seine Freunde und die Familie geschrieben. Für den Fall der Fälle, dass er beim Base-Springen stirbt. Die sollten nach seinem Tod geöffnet werden. Einer war an Flanders gerichtet. Den liest Blank im berührenden Zwölf-Minuten-Film „When We Were Knights“ zu spektakulären Bildern einer Springer-Leidenschaft. Blank trägt vor, was er an seinem besten Freund Ian schätzte. Das Wissen um die Tragödie macht es zu einem traurigen Dokument.

Der Film war bereits bei der E.O.F.T.-Tour zu sehen – auch in Dresden. Nun kommt er zurück. Diesmal mit dem aktuellen Programm, das prämierte Filme vom wohl spektakulärsten Festival für Outdoor- und Abenteuerfilme im kanadischen Banff auf Welttournee zeigt. Die globale Banff-Tour macht mit zwei Programmen am 5. und 6. April Station in Dresden. Der gefühlte Nachruf auf Base-Jumper Flanders wird im Radical-Reels-Programm am 6. April gezeigt.

Banff Mountain Film Festival World Tour, Cinemaxx Dresden, 5. April (Programm: Banff-Tour), 6. April (Radical-Reels-Tour) je 20 Uhr/15,50 Euro.