Görlitz
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Die Geschichte des letzten erlegten Wolfes in der Oberlausitz

Vor 120 Jahren wurde bei Boxberg der letzte Wolf geschossen. Damals wurde das noch gefeiert - und das tote Tier ausgestellt.

Von Ralph Schermann
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Nicht immer wurden Wölfe so geschützt wie heutzutage.
Nicht immer wurden Wölfe so geschützt wie heutzutage. © dpa

Es war einmal – da galt der Wolf neben dem Menschen als das am weitesten verbreitete Säugetier der Welt. Bis zur Jungsteinzeit waren Wölfe fast auf der gesamten Nordhalbkugel zu finden. Dann aber war das Tier in ganz Europa so gut wie verschwunden. Nämlich überall dort, wo er Menschen in die Quere kam. 1829 begann die Ausrottung. Da wurden Polizeiverordnungen erlassen, nach denen Grundbesitzer verdeckte Wolfsgruben anlegen mussten. In Wäldern wurden „Luderstellen“ geschaffen, das waren Fallgruben mit Fleischködern. Wer an angeordneten Wolfsjagden nicht teilnahm, musste Strafe zahlen. Sogar Polizeimannschaften wurden für Wolfsabschüsse eingeteilt. Im Gegenzug gab es Prämien für jedes erlegte Tier. „Als Nachweis für bis zu zwölf Taler Prämie waren die abgeschnittenen Ohren vorzulegen“, berichtete der „Neue Görlitzer Anzeiger“.

In der Oberlausitz hatte der letzte Wolf einen starken Namen: „Tiger von Sabroth“. So nannte man das am 27. Januar 1904 in den sogenannten Tzschellner Kuthen abgeschossene letzte Tier. Dieser Wolf war nicht nur der letzte seiner Art in der Oberlausitz, sondern er gilt auch als letzter Wolf im damaligen Deutschland. Das kleine Dorf Tzschelln mit seinem Waldbestand ringsum befand sich zwischen Boxberg und Neustadt und wurde 1979 für den Tagebau Nochten abgebaggert. Alten Aufzeichnungen zufolge hatte der „Tiger“ nach vierjähriger vergeblicher Verfolgung von insgesamt 18 Jägern immer wieder Schützenlinien durchbrochen.

Der erschossene Wolf wurde ausgestellt

Die Presse beschrieb das Tier als 160 Zentimeter lang, 80 Zentimeter hoch und reichlich 40 Kilogramm schwer. Interessenten konnten sich das damals anschauen, denn als „Sieg über den letzten Räuber“ wurde der Wolfskadaver mehrere Tage lang im Schützenhaus von Hoyerswerda ausgestellt. Über 500 Besucher wurden gezählt. Sie erfuhren spannende Schilderungen, die auch im „Neuen Görlitzer Anzeiger“ veröffentlicht wurden. Danach habe zuerst der Revierförster Dommel den „ob seiner Schnelligkeit gefürchteten Wolf“ aufgespürt und der Oberförsterei gemeldet. Daraufhin formierten sich viele Jäger und Treiber. Ein Schuss des Oberförsters Dutmer-Bohla verwundete das Tier, das sich auf freies Feld schleppte und dort von Förster Bremer aus Weißkollm auf 30 Meter Entfernung tödlich getroffen wurde. Der Schütze bekam eine staatliche Prämie von hundert Mark.

Vor allem die Landwirte jubelten, weil es nun endlich damit aufhörte, dass auf den umliegenden Bauernhöfen das Vieh gerissen wurde. Allerdings war man sich nicht sicher, woher dieser Wolf kam, galten dessen Artgenossen doch schon ein paar Jahre zuvor als abgeschossen. Manche nahmen an, dass es womöglich ein aus einem Zirkus oder einer Menagerie ausgebrochenes Tier war, was aber keine der vermuteten Einrichtungen bestätigte. Immerhin führte diese Annahme im Volksmund zum ungewöhnlichen Wolfsnamen „Tiger von Sabroth“.

In Sabroth soll das Tier erstmals aufgetaucht sein. Das ist ein kleiner Ort nahe der Stadt Hoyerswerda, der Name ist sorbischen Ursprungs und bedeutet etwa „Ort hinter der Furt“. Der Abschuss blieb lange dorfprägend, die Nationalsozialisten führten 1936 im Zuge der „Germanisierung slawischer Ortsnamen“ die Bezeichnung „Wolfsfurt“ ein. 1945 erfolgte die Rückbenennung.

Der Wolf im Wappen und als Musiktitel

Die Wolfsgeschichte hatte indes noch weitere Wirkungen. So veröffentlichte eine Heavy-Metal-Band namens „Powerwolf“ 2007 auf ihrem Album „Lupus“ auch den Titel „Tiger of Sabroth“. Die Freiwillige Feuerwehr Sabroth nahm einen Wolf in ihr Wappen auf. So gesehen hätte man für die seit 2016 ausgestrahlten Fernsehkrimis „Wolfsland“ statt dem umstrittenen „Butsch“ sogar einen „Kommissar Sabroth“ erfinden können.

1998 gab es Nachweise erster „neuer“ Wölfe in Sachsen. Im Jahr 2000 wurden die ersten Wolfswelpen in Freiheit geboren. Heute leben 184 Wolfsrudel, 47 Paare und 22 sesshafte Einzeltiere in Deutschland (Stand Oktober 2023). Zu viele, sagen Landwirte und verweisen auf große Schäden durch Nutztier-Risse. Auch in der Politik wird ein Ruf nach kontrollierter Reduzierung des Bestandes lauter. So einfach wie vor 120 Jahren aber ist das nicht. Heute haben Naturschützer die besseren Karten, denn jetzt steht der Wolf bundesweit unter gesetzlichem Schutz.