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In Erinnerung an sowjetischen Einmarsch: Ein Licht für Děčín

55 Jahre nach seiner Opfertat gegen die sowjetische Besatzung erinnert ein neues Denkmal an die Selbstverbrennung von Jan Palach.

Von Steffen Neumann
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Der evangelische Pfarrer Tomáš Matejovský ist einer der Initiatoren des Denkmals für Jan Palach in Děčín. Der Student protestierte vor 55 Jahren mit seiner Selbstverbrennung gegen den Einmarsch der Sowjetarmee in die Tschechoslowakei.
Der evangelische Pfarrer Tomáš Matejovský ist einer der Initiatoren des Denkmals für Jan Palach in Děčín. Der Student protestierte vor 55 Jahren mit seiner Selbstverbrennung gegen den Einmarsch der Sowjetarmee in die Tschechoslowakei. © Petr Špánek

In die Mauer an der Evangelischen Kirche in der Děčíner Teplická-Straße im Stadtteil Podmokly (Bodenbach) hat sich die Geschichte eingeschnitten. „Hier sieht man die noch Reste eines Schriftzugs in kyrillischen Buchstaben“, zeigt Pfarrer Tomáš Matějovský auf die kaum sichtbaren schwarzen Striche. Was da einmal stand, ist nicht mehr zu erkennen. Es war eine Botschaft an die sowjetischen Besatzer, die im August 1968 die Tschechoslowakei besetzten, um den Prager Frühling niederzuschlagen.

„Wahrscheinlich stand da etwas wie: ‚Ivan, geh nach Hause!‘“, mutmaßt der Pfarrer. Fotos von dem Spruch konnte man nicht finden. Er wurde auch recht bald mit weißer Farbe überstrichen, und die ist bis heute gut zu sehen. „Wir haben leider kein Geld, die Mauer zu sanieren. Bautechnisch ist sie zum Glück in Ordnung“, sagt Matějovský fast entschuldigend.

In Gedenken an die Opfertat Palachs

Doch diese historischen Zeugnisse passen gut zu dem, was in wenigen Tagen an der Mauer angebracht und am Dienstag feierlich enthüllt wird: ein Denkmal für Jan Palach und Jan Zajíc. Bekannt wurde vor allem Palach. Der damals 20-jährige Student an der Prager Philosophischen Fakultät begoss sich am 16. Januar 1969 um 14.30 Uhr am Nationalmuseum mit Benzin und zündete sich an.

Diese radikale Tat war ein Fanal gegen die sowjetische Besatzung und die wachsende Passivität in der tschechoslowakischen Gesellschaft. Palach wurde mit schwersten Verbrennungen ins Krankenhaus gebracht und starb drei Tage später. Sein Begräbnis am 25. Januar wurde zu einer Manifestation gegen die sowjetische Besatzung. Am Trauermarsch nahmen Zehntausende Menschen teil. Gut einen Monat später verbrannte sich der 18-jährige Student Jan Zajíc, der sich in Anlehnung an Palachs Tat „Fackel Nr. 2“ nannte.

Autor des neuen Palach-Denkmals ist der populäre Architekt David Vávra. „Anfangs hatten wir überlegt, wo genau das Denkmal stehen soll und Herr Vávra war sehr schnell dafür, die Mauer zu nutzen“, erinnert sich Pfarrer Matějovský. Denn sie erinnerte nicht nur den Architekten an die Mauer des Nationalmuseums, wo sich Palach verbrannte.

Kerzen am Bild von Jan Palach zum Gedenken vor einem Jahr.
Kerzen am Bild von Jan Palach zum Gedenken vor einem Jahr. © Petr Špánek

Dass ausgerechnet die Mauer an der zweiflügeligen Treppe zur evangelischen Kirche zum Standort eines Denkmals für Jan Palach und Jan Zajíc wird, ist kein Zufall. Beide Studenten waren evangelisch, was wenig bekannt ist, wie Pfarrer Matějovský sagt. Vor allem geht es aber um einen Ort, an dem an die demokratischen Traditionen erinnert werden kann. „Und diesen Ort haben wir gerade hier im Grenzgebiet sehr nötig“, findet Matějovský. Mehr als anderswo entschieden sich im Norden Tschechiens Menschen an der Wahlurne für extremistische und populistische Parteien wie Kommunisten oder die rechtspopulistische Partei, erklärt Matějovský und fügt hinzu: „Das möchten wir mit unserem Denkmal ändern.“

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Erste Ideen für das Denkmal kamen vor fünf Jahren. „Damals organisierten wir zum 50. Jahrestag seiner Selbstverbrennung eine Gedenkveranstaltung für Jan Palach“, erzählt Pavel Randák vom Kirchenvorstand der evangelischen Gemeinde. Damals sagten sie sich, wie schön es wäre, einen Gedenkort für Palach auch in Děčín (Tetschen) zu haben.

In Tschechien gibt es bisher kaum solche Orte und die wenigsten sind nicht mit Palach verbunden, so wie Děčín. Palach weilte zwar regelmäßig im nahen Kamenický Šenov (Steinschönau), um seinen Bruder zu besuchen, doch mit Děčín verbindet ihn nichts. Doch das ist kein Hinderungsgrund. „Sogar im Ausland gibt es Orte, die nach ihm benannt sind oder an ihn erinnern“, sagt Pfarrer Matějovský, wie zum Beispiel London, Rom, Venedig oder Vevey am Genfer See. „Wir hatten zwei Möglichkeiten. Entweder wir warten, bis sich die Stadt um ein offizielles Denkmal kümmert oder wir schaffen selbst eins. Weil wir nicht geduldig sind, haben wir uns für die zweite Möglichkeit entschieden“, erzählt Matějovský.

Dass sich gerade die Kirche um das Denkmal kümmert, ist für ihn nur folgerichtig: „Kirche ist nicht per se politisch. Aber wer authentisch seinen Glauben lebt, wird zwangsläufig politisch. Das war vor 1989 so und das ist heute nicht anders“, sagt der Pfarrer. Dabei war das Denkmal auch aus finanzieller Sicht ein ambitioniertes Vorhaben. Die nötigen 800.000 Kronen (über 33.000 Euro) steuerte in Teilen auch die kleine evangelische Gemeinde mit ihren gerade einmal 100 Mitgliedern bei. In einer Spendensammlung kamen weitere über 55.000 Kronen zusammen. Die Tschechische Evangelische Brüderkirche steuerte mit 300.000 Kronen den größten Betrag bei. Große Beträge kamen auch von der Stadt Děčín und örtlichen Firmen wie Hudy Sport oder dem Teehändler Grešík.

Mit dem Denkmal an der Mauer der Treppe zur Kirche wurde zugleich ein Erinnerungsort geschaffen, der sich in Kirchenbesitz und zugleich im öffentlichen Raum befindet. Es wird an einem schmalen Gehweg hängen, wo sich zudem eine Bushaltestelle befindet. „Es wird also immer wieder Menschen geben, die an dieser Stelle verweilen“, sagt der Pfarrer.

Ein Lichtspiel soll der Erinnerung dienen

Das Denkmal besteht aus drei Teilen: vier länglichen Glasflächen, die übereinander zusammengesetzt eine Säule ergeben, der von einem Stern gekrönt wird. Das Glas ist mit blauen, weißen und roten Farbsplittern eingefärbt, die zusammen die tschechischen Nationalfarben ergeben. Links und rechts befinden sich zwei gläserne Hände, über denen die Namen der Geehrten und ihr Sterbedatum geschrieben sind.

Bei den Händen handelt es sich um Abdrücke von Familienmitgliedern. „Die eine Hand stellte uns Andrea Palachová, die Nichte von Jan Palach zur Verfügung, die zweite Marta Janasová, die Schwester von Jan Zajíc“, erklärt Pavel Randák. Wenn man die Hände berührt, leuchtet die Säule entweder rot oder blau oder beide gleichzeitig, dann rot-blau, sonst leuchtet sie weiß. „Ich wollte von Anfang an, dass das Denkmal auch etwas Spielerisches und Positives hat, so wie die Freiheit und Demokratie, für die Palach und Zajíc sich opferten“, sagte in einem Interview der Autor des Denkmals David Vávra.

Wenn das Denkmal zum Jahrestag der Selbstverbrennung am Dienstag enthüllt wird, tritt vielleicht auch ein Wunsch des evangelischen Pfarrers Tomáš Matějovský ein: „Nicht unbedingt, dass wir neue Gemeindemitglieder gewinnen, aber dass wir als Kirche mehr wahrgenommen werden.“

Die feierliche Einweihung findet am 16. Januar, um 18 Uhr, an der Mauer vor der Kirche in der Děčíner Teplická-Straße im Stadtteil Podmokly (Bodenbach) statt.