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Georgswalder erfindet erstes Holztrabpferd

Conrad Hofmann aus Georgswalde im Schluckenauer Zipfel hat es vor rund 100 Jahren entwickelt. Doch es wurde kein Erfolg.

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Dieses Schaukelpferd entstand nach der Vorlage des Georgswalders Conrad Hofmann. Es steht heute im Museum Jirikov in Tschechien.
Dieses Schaukelpferd entstand nach der Vorlage des Georgswalders Conrad Hofmann. Es steht heute im Museum Jirikov in Tschechien. © Retos

V. Maticka und A. Bretschneider

In dem wirtschaftlich blühenden Industrieort Georgswalde/Jiøikov im Schluckenauer Zipfel in Böhmen lebte vor einhundert Jahren ein findiger Baumeister namens Conrad Hofmann. In seiner Freizeit grübelte und tüftelte er an einem Schaukelpferd, das durch die Körperschwingungen eines kleinen „Reitersmannes“ nicht nur hin- und herschaukeln, sondern sich vorwärts und rückwärts bewegen sollte. In der Pferdesprache ausgedrückt: Hofmann wollte das Pferdchen „traben“ lassen. Dazu bedurfte es einer ausgeklügelten Mechanik. Conrad Hofmann wollte weder ein separates Fahrgestell noch Rädchen verwenden. Denn diese hätte der Nutzer beim Schaukeln auf der Stelle in die Kufen versenken und beim Traben ausschwenken müssen.

Trotz der Herausforderung gelang dem Meister der Bau eines Modells, dessen zweifelsfreie Funktionsfähigkeit ihn bewog, ein tschechoslowakisches Patent anzumelden. Das wurde ihm am 24. Januar 1925 erteilt. Was ist denn patentwürdig daran, zählt doch das Schaukelpferdchen als altes, aber auch ewig modernes, Kinderspielzeug? Der Bewegungsapparat ist es, denn er besteht aus verschiedenen Einzelteilen – aus Holz und Metall. Hier sind es insgesamt 35 und die meisten gibt es zweimal.

Conrad Hofmann stellte auch normale, bodengestützte Hoppe-Hoppe-Reiter-Schaukelpferde her. Vom Ehrgeiz gepackt, machte er sich daran, den Stand der Technik auf diesem ambitionierten Spielzeugsektor zu erkunden. Das gehörte schon damals bei einer Patentanmeldung vor die Beschreibung der Vorteile des eigenen Entwurfs. Eine Handvoll erteilter Patente fand er durch solches Patentstudium, wie wir es heute nennen. Also meldete er gegen entsprechende Gebühr im Jahre 1927 sein Funktionsmuster in den USA an und bekam auch dieses Patent am 2. August 1927 erteilt.

Es gibt nur US-amerkanisches Patent

Es ist vorstellbar, dass er von einer oder mehreren Nachnutzungen gegen Lizenzgebühr träumte. Sicher ging er davon aus, dass seine Firma allein den Bedarf weder in der Tschechoslowakei, geschweige denn im industrialisierten Europa oder Übersee, würde decken können. Selbstverständlich hätten die Lizenznehmer seinen Namen und Patentnummer vermerken müssen und er wäre zumindest auf diesem kleinen Fachgebiet vielleicht Schaukelpferdkönig geworden. Sie merken schon, alle Sätze sind in der Möglichkeitsform gehalten. Es ist nichts Konkretes zu alledem überliefert. Ähnlich verhält es sich mit der Bezeichnung "Weltpatent".

Ein noch heute existierendes zweisprachiges Bild-Text-Dokument enthält sowohl auf Tschechisch als auch auf Deutsch dieses Wort, doch englisch ist es nicht ersichtlich. Heute wäre es eine aufwendige Sache, wollte man sie über das US-amerikanische Patentamt Hauptquartier in Alexandria, im Bundesstaat Virginia ermitteln wollen. Patente, die älter als 25 Jahre sind und keine herausragenden Dinge beinhalten, lohnen kaum der Mühe. Dieses Patent ist ziemlich genau einhundert Jahre alt und, wie es scheint, nie bedient, also von einem Nachnutzer in Anspruch genommen worden. In der Fachsprache sagt man, es ist jungfräulich geblieben und folglich auch nie in den letzten 40 Jahren digitalisiert worden.

Es ist auch noch nicht bekannt, wie sich das Leben und Schaffen des Conrad Hofmann während der Annexion des sogenannten Sudetenlandes durch Hitlerdeutschland gestaltete. Nur so viel ist überliefert, dass sich Hofmann vor Kriegsbeginn in die Schweiz absetzte. Von hier aus soll er gegen die braunen Machthaber spioniert sich und kurz vor seiner Endtarnung durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) der Nazis erschossen haben. Hier bietet sich die Nachforschung in Schweizer Personalämtern an.

Aufgefunden bis heute wurde nur das US-amerikanische Patent. Auf dessen Grundlage hat die Varnsdorfer Maschinenbaufirma Retos s.r.o. – zweiter Nachfolger der Ursprungsfirma Arno Plauert – unentgeltlich ein heute im Museum von Jiøikov ausgestelltes, funktionsfähiges Modell anfertigt. Der ursprünglich auf Horizontalbohrwerke spezialisierte Betrieb nutzte dabei klassische Geometrie-Kontrollmessgeräte und modernste Laser-Technik.

Auch wenn es sich weltweit nicht durchgesetzt hat, zeugt das Pferdchen vom kreativen Potenzial der Menschen im Schluckenauer Zipfel. Der galt mitunter als wenig innovativ und arm beeindruckender Landschaft und an Attraktionen. Die Region ist sicher nach dem Zweiten Weltkrieg vernachlässigt worden. Doch die Nordböhmer waren wohl genauso einfallsreich wie ihre Südoberlausitzer Nachbarn. Die heute hier lebenden Tschechen eifern ihren Vorfahren mit sichtbarem Erfolg nach. Webstuhlbau Roscher, später Elitex, oder eine Filiale des Klavierbauers August Förster, später Petrof, waren und blieben Markennamen. In Museen spiegeln sich die deutschböhmische und die nun 76-jährige tschechische Vergangenheit.

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