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Elf Stunden: Endlos-Reden im tschechischen Parlament

Politische Folklore in Tschechien: „Ermüdungsreden“ der Opposition gegen Gesetzesvorhaben der Regierung.

Von Hans-Jörg Schmidt
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Blick über Prag.
Blick über Prag. © SZ/Angelina Sortino

Prag. Die Liebe zu meinem Beruf verdanke ich im hohen Maße berühmten Wutreden cholerischer deutscher Bundestagspolitiker wie Herbert Wehner, Franz Josef Strauß oder Helmut Schmidt, deren Redekunst und verbale Angriffslust mich faszinierten. Dagegen ist die einem Prager Korrespondenten auferlegte Pflicht, die Debatten des tschechischen Abgeordnetenhauses zu verfolgen, regelrechte Strafarbeit.

Dafür wird man in Prag immer mal wieder Zeuge, wie sich die Opposition der sogenannten Filibuster-Taktik bedient. Es geht dabei um ermüdende Dauerreden, mit denen man die Verabschiedung eines Gesetzes durch die Mehrheit des Regierungslagers zu verhindern oder zumindest zu verzögern sucht. Dieser Tage wird diese Art tschechischer politischer Folklore einmal mehr vorgeführt.

Hintergrund: die bürgerliche Fünf-Parteien-Regierung möchte, dass die im Ausland lebenden Tschechen künftig per Briefwahl an Wahlen teilnehmen können. Bislang müssen die Auslands-Tschechen zur Stimmabgabe lange Strecken zu diplomatischen Vertretungen Tschechiens im jeweiligen Land zurücklegen.

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Der Grund, weshalb die Opposition die Briefwahl entschieden ablehnt, ist simpel: Von den Stimmen der im Ausland lebenden Tschechen profitieren massiv die derzeit Regierenden. Auch der der Regierung nahe stehende Präsident Petr Pavel war im Ausland deutlich beliebter als sein Konkurrent Andrej Babiš: Pavel bekam dort in der Stichwahl 95 Prozent der Stimmen.

Bislang machten sich rund 20.000 Tschechen die Mühe, im Ausland lange Wege zu einem Wahllokal zurückzulegen. Per Briefwahl könnten künftig bis zu einer halben Million Tschechen im Ausland mitwählen. Logisch, dass die Opposition mit Babiš an der Spitze dagegen Sturm läuft. Verhindern kann sie das neue Gesetz nicht. Aber verzögern.

Babiš redete fast fünf Stunden, davon fünf Minuten über die Briefwahl. Deutlich ärger noch trieb es der Chef der zweiten Oppositionspartei, der Tschecho-Japaner Tomio Okamura. Der Rechtsextremist hielt sich fast elf Stunden am Stück am Rednerpult auf. Zuhörer im Saal hatte er bei seinem „Europarekord“ für Dauerredner nicht. Die Abgeordneten verkrümelten sich beizeiten. Zusehen mussten nur die armen Korrespondenten.