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Dresdner Hilfsorganisation: "Wir hatten unheimlich viel Druck von der Presse"

Nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs wurde Arche Nova mit Anfragen überschüttet. Selten war so viel zu tun wie zum 30-jährigen Jubiläum. Warum ging der Verein so langsam vor?

Von Christoph Pengel
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Sarah Kendziorra arbeitet bei Arche Nova als Referentin für Auslandsprogramme.
Sarah Kendziorra arbeitet bei Arche Nova als Referentin für Auslandsprogramme. © Christian Juppe

Dresden. Sarah Kendziorra tippt mit dem Finger auf eine Landkarte. "Das ist Sloviansk", sagt sie. Eine Stadt in der Ostukraine. 100.000 Einwohner vor dem Krieg, jetzt nur noch halb so viel. "Da war unser Partner bis vor kurzem."

Die Partnerorganisation sei geflohen, halte sich aber noch immer in der Ukraine auf, ein wichtiger Kontakt für Kendziorra. Bei der Dresdner Hilfsorganisation Arche Nova ist sie unter anderem für die Ukraine zuständig.

Ihr Job, das ist wenig überraschend, verlangt ihr derzeit viel ab. "Ich fange früh um halb 8 an und lese erst mal die Nachrichten", sagt sie. Bis zu elf Stunden täglich sitzt Kendziorra, Mutter von zwei Kindern, nun im Büro oder im Homeoffice, schreibt E-Mails, telefoniert und redet in Meetings manchmal so viel, dass ihre Stimme abends hinüber ist.

Hinzu kommen Interviews. Denn auch wenn es so aussieht, als gebe es zurzeit nicht viel zu feiern: 2022 ist das Jahr, in dem Arche Nova 30 Jahre alt geworden ist.

Arche Nova hat über zwei Millionen Menschen unterstützt

1992 wurde die Hilfsorganisation in Dresden gegründet. Im Jahr 2020 hat Arche Nova nach eigenen Angaben mehr als zwei Millionen Menschen in Not unterstützt - in Afrika, Asien, Europa, Deutschland.

Jetzt wollen viele wissen, was Arche Nova in der Ukraine macht. Im vierten Stock des Yenidze, dem Dresdner Sitz der Hilfsorganisation, steht Sarah Kendziorra vor der Ukraine-Karte, lässt sich geduldig fotografieren und erklärt Journalisten mit ruhiger Stimme, wie es um die Unterstützung im Kriegsgebiet steht.

In der Ukraine herrscht Chaos und Gewalt - aber bei Arche Nova wirken alle sehr gefasst und konzentriert. Auch Mathias Anderson, der Geschäftsführer des Vereins, macht einen entspannten Eindruck. Obwohl er zuletzt mit Anfragen überschüttet wurde. "Wir hatten unheimlich viel Druck von der Presse", sagt er. "Wann geht es denn endlich los? Was machen Sie denn?", habe man ihn zu einem Zeitpunkt gefragt, als viele andere Helfer, zum Teil privat, schon längst nach Osteuropa aufgebrochen waren.

Aber Anderson sagt: "Wir überstürzen nichts." Und: "Wir sind aktiv, wo andere Organisationen vielleicht gar keinen Zugang haben."

Zahnbürsten und Waschmittel für ältere Menschen

Tatsächlich hat Arche Novas Engagement in der Ukraine schon vor Jahren begonnen. 2016 wurde ein Team mit lokalen Mitarbeitern im Osten des Landes aufgebaut - dort, wo der Konflikt mit Russland schon länger schwelt und die Infrastruktur belastet. Sanitär, Wasser und Hygiene sind die Kernkompetenzen von Arche Nova. In Schulen renovierten die Helfer Toiletten oder sorgten dafür, dass die Kinder Seife zum Händewaschen haben.

Lässig zurückgelehnt: Mathias Anderson ist Geschäftsführer bei Arche Nova. Im Yenidze ist das Dresdner Büro der Hilfsorganisation.
Lässig zurückgelehnt: Mathias Anderson ist Geschäftsführer bei Arche Nova. Im Yenidze ist das Dresdner Büro der Hilfsorganisation. © Christian Juppe

Die Partner in der Ostukraine sind mittlerweile eine eigenständige Organisation, aber nun, da Russland mit Panzern und Soldaten vorrückt, werden sie wieder von Arche Nova unterstützt. Die Dresdner überweisen Geld oder vermitteln psychosoziale Betreuung für die Mitarbeiter. Zwar hätten sich die Partner auf Krieg vorbereitet, vom plötzlichen Ausbruch seien aber auch sie geschockt gewesen, erzählt Anderson. New Way, so heißt die Organisation, verteilt nun zum Beispiel Hygienekits mit Waschmittel, Kämmen oder Zahnbürsten in der Ostukraine, vor allem an ältere Menschen.

Spenden: 450.000 Euro für die Ukraine-Hilfe

Passieren Katastrophen wie derzeit in Osteuropa, steigt die Spendenbereitschaft sprunghaft. 450.000 Euro hat Arche-Nova aktuell für die Ukraine-Hilfe eingenommen. "Einerseits ist es schön zu sehen, was die Solidarität in den Menschen bewegt", sagt Anderson. Auf der anderen Seite sei es oft schwer, Geld für Krisengebiete wie Mali aufzutreiben, die weniger Aufmerksamkeit in den Medien bekommen.

Was in der Ukraine vor sich geht, wühlt eben auch deshalb auf, weil sie nicht weit entfernt ist. Viele Privatleute haben in den vergangenen Wochen Kleidung oder andere Sachen gespendet. "Polen ist überflutet mit Hilfsgütern. Aber wie sie in die Ukraine kommen sollen, ist oft nicht klar", sagt Anderson. "Dadurch geht leider viel verloren, weil die Koordinierung fehlt." Arche Nova arbeitet daher mit einer Kollegin an der Grenze zusammen, die bei der Verteilung und bei der Kommunikation hilft.

Mit alten NVA-Wagen über elf Landesgrenzen

Dass Anderson in der Krise lieber langsam vorgeht, als gleich mit voller Kraft vorzusprechen und Hilfskonvois zu beladen, liegt nicht zuletzt an seiner eigenen Erfahrung. Der Ingenieur für Bauwesen war für Arche Nova lange Zeit im Ausland, unter anderem in Afrika. Er war einer von denen, die direkt ins Krisengebiet fuhren und vor Ort anpackten. Aber nicht nur Anderson, die gesamte Organisation hat in den vergangenen 30 Jahren ihren Kurs geändert.

Ein Foto aus dem Gründungsjahr 1992, als eine Gruppe aus Dresden einen Hilfsgütertransport in den Irak organisierte.
Ein Foto aus dem Gründungsjahr 1992, als eine Gruppe aus Dresden einen Hilfsgütertransport in den Irak organisierte. © Arche Nova

In den Anfangszeiten, so erzählt Anderson, war Arche Nova von "Machern" geprägt, und das hieß damals in erster Linie: von Männern. Alles begann damit, dass eine Gruppe um den Gründer Sven Seifert 1992 nach Irakisch-Kurdistan fuhr. Ohne Erfahrung. Und ohne zu fragen, ob die Sachen, die man in alten NVA-Wagen über elf Landegrenzen transportierte, in Irakisch-Kurdistan überhaupt gebraucht wurden. Es ging den Männern ums Helfen - aber auch ums Abenteuer.

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Nach und nach wurde die Organisation professioneller. Heute spielen schnelle Einsätze bei Katastrophen noch immer eine Rolle, aber zugleich versucht Arche Nova, in anderen Ländern Strukturen aufzubauen, die sich irgendwann von selbst tragen - Hilfe zur Selbsthilfe. So wurden in Afrika zum Beispiel nicht nur Brunnen gebaut, sondern auch Einheimische ausgebildet, die die Technik reparieren können.

Und längst hat sich auch der Frauenanteil erhöht. "Die Quote liegt bei über 50 Prozent", sagt Anderson. Eine dieser Frauen ist Sarah Kendziorra, die Mitarbeiterin, die bei Arche Nova für die Ukraine verantwortlich ist. Meetings, Telefonate, Interviews: Sie und ihr Team haben demnächst noch viel zu tun.