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Wie schafft man in der Ukraine endlich Frieden?

Seit einem halben Jahr führt Russland Krieg in der Ukraine. Um die Chance auf Frieden zu wahren, müssen wir die Brücken in Kultur und Gesellschaft erhalten. Ein Gastbeitrag.

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Auf das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig projizierte Friedenstaube als.Zeichen gegen den Ukraine-Krieg.
Auf das Völkerschlachtdenkmal in Leipzig projizierte Friedenstaube als.Zeichen gegen den Ukraine-Krieg. © Foto: Picture Point/Roger Petzsche

Von Ulfrid Kleinert*

Was sich schon lange vorher angekündigt hatte, wurde vor einem halben Jahr Wirklichkeit. Russlands Präsident Putin hatte seine Alleinherrschaft in Russland auf Dauer gestellt, die Opposition im Land mundtot gemacht oder ins Gefängnis gesteckt. Deutschland als zentrale Macht Europas hatte sich von russischem Gas abhängig gemacht. Die Sanktionen der freien Welt waren 2014 nach der militärischen Eroberung der Krim für Moskau moderat ausgefallen. In den eroberten Gebieten der von ihm infrage gestellten ukrainischen Provinzen Luhansk und Donezk lockte Putin die Bewohner mit russischen Pässen.

Sein Propagandafeldzug gegen die Ukraine zeigte Wirkung, im eigenen Land, und auch andernorts. Ein groß angelegtes Manöver an den Nord- und Ostgrenzen der Ukraine sei Routine, log Putin noch im Februar nicht nur seinen auswärtigen Gesprächspartnern am bizarren fünf Meter langen Tisch im Kreml vor, sondern auch seinen eigenen Soldaten. Diese waren überrascht, als sie am 24. Februar um 2 Uhr in die Ukraine in einem Blitzkrieg einmarschieren sollten.

Unser Autor: Ulfrid Kleinert, geboren 1941 in Dresden, ist Religions- und Sozialwissenschaftler.
Unser Autor: Ulfrid Kleinert, geboren 1941 in Dresden, ist Religions- und Sozialwissenschaftler. © J. Loesel, loesel-photographie.d

Anders als in Putins bisher weitgehend gleichgeschaltetem Reich sind europäische Demokratien auf eine freie Kooperation ihrer Bürger angewiesen. Putin aber setzt mit seiner Lügenstrategie und Propaganda und mit gezieltem Einsatz seiner Energielieferungsmacht genau hier an: Die Bürger Europas sollen gespalten werden – getreu der Devise römischer Herrscher: divide et impera („teile und herrsche“). Nun wird für Deutschland entscheidend, ob seine Bürger Energie sparen und insbesondere wohlhabendere Bürger des Landes sich in dieser kritischen Zeit solidarisch gegenüber sozial Schwächeren zeigen.

Ungleich schwieriger aber als Deutschland belastet der Krieg die beiden kriegführenden Staaten; denn auf beiden Seiten sind bereits Zigtausend tote Soldaten (Schätzungen nennen je 80.000) und in der Ukraine Tausende durch russische Waffen ermordete Zivilisten zu beklagen. Russland verzeichnet zwar Gebietsgewinne an der Schwarzmeerküste und ihrem Hinterland. Doch trotz seiner militärischen und personellen Überlegenheit sieht es nicht nach einem baldigen Erfolg für den Aggressor aus.

Erste Verhandlungen als Hoffnungszeichen

Denn auf ukrainischer Seite stehen leidenschaftlich um ihr Recht kämpfende Soldaten. Und sie haben inzwischen Waffen, die über größere Entfernungen hinweg feindliche Kriegsbasen auf der Krim erreichen und empfindlich treffen.

Die Fronten scheinen festgefahren, aber die europa- und weltweite Bedrohung wächst. Momentan zeigen das neben der Versorgungskrise für Energie und Getreide die lebensgefährlichen Risiken, die durch die russische Besetzung des von Ukrainern betriebenen umkämpften Atomkraftwerks (AKW) Saporischschja im Süden der Ukraine entstanden sind. Wo sind da realistische Chancen für den Frieden? Ein Hoffnungszeichen auf höchster politischer Ebene sind bisher die erfolgreichen Verhandlungen des überparteilichen Uno-Generalsekretärs Guterres und des ebenfalls von beiden Kriegsparteien geachteten türkischen Ministerpräsidenten Erdogan.

Was kann der Weltrat der Kirchen tun?

Beide haben in Istanbul unter Zustimmung und Mitwirkung Russlands und der Ukraine erreicht, dass viele Millionen Tonnen ukrainischen Getreides endlich über das Schwarze Meer nach Afrika verschifft werden, wo sie verheerende Hungersnöte mildern können und auch zur Senkung der Weltmarktpreise auf dem Ernährungssektor beitragen.

Beide haben jetzt auch in Lwiw wichtige Anstöße zur Beherrschung der AKW-Gefahren gegeben. Ob auch der Weltrat der Kirchen zur Entschärfung der Krise beitragen kann, wird die ab 31. August in Karlsruhe tagende Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen zeigen. Denn für die Kirchen gilt wie für die Uno seit 1945 die Ächtung jedes Krieges als Mittel von Konfliktaustragung. Moskaus orthodoxer Metropolit Kyrill aber unterstützt bisher Putins Krieg für eine „russische Welt“, weil er diese durch westlichen Liberalismus und Individualismus in der Ukraine bedroht sieht.

Kommunikation mit russischen Partnern

Auch unterhalb der hohen Politik gibt es Möglichkeiten des Versuchs einer Friedensstiftung. Denn wie schon zu DDR-Zeiten, so gibt es auch nach 1989 viele persönliche und institutionelle Kontakte nach Russland und in die Ukraine – in Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Sport. Sie sollten nicht auf Eis gelegt, sondern soweit möglich als Brückenverbindungen genutzt und ausgebaut werden. Zwar ist es zurzeit sehr schwer, mit Partnern aus Russland offen zu kommunizieren, ohne diese Partner selbst zu gefährden. Aber es ist sehr nötig und nicht unmöglich. Ältere Deutsche kennen Vergleichbares noch aus Treffen zwischen Kirchengemeinden aus West- und Ostdeutschland in der DDR vor der Wende.

Für alle Friedensbemühungen gilt die Maxime, einerseits die Interessen aufzuzeigen, die beide Kriegsparteien miteinander verbindet, und andererseits den jeweils bedrohten schwächeren Partner besonders zu stützen. Dass es Grenzen gibt, an denen auch Putin sein Gesicht zu wahren bemüht ist – vermutlich auch unter dem Eindruck von fast weltweiter Empörung, von wirksamen Sanktionen und möglicher Überstrapazierung der durch Propaganda und Unterdrückung hergestellten Loyalität der eigenen Bevölkerung –, hat die Verständigung im Getreide-Schiffstransfer gezeigt. Es wird sich hoffentlich auch im Konflikt um das AKW Saporischschja zeigen.

Zugeständnisse von beiden Seiten

Am Ende von Friedensverhandlungen kann nur ein Kompromiss stehen, der beiden Seiten Zugeständnisse abverlangt. Hierfür hat der langjährige Genfer Uno-Berichterstatter Andreas Zumach in der aktuellen Publik-Forum-Extra-Ausgabe zum Thema „Frieden“ den diskutablen Vorschlag gemacht, dass die Ukraine als souveräner Staat sich verpflichtet, keinen Antrag auf eine Nato-Mitgliedschaft mehr zu stellen – und Russland die 2014 annektierte Krim zurückzugeben bereit ist.

Jeder Kompromiss setzt voraus, dass Russland anerkennt, was heute vor 30 Jahren, am 24. August 1991 geschehen ist. An diesem Tag hat sich die Bevölkerung der Ukraine entschieden, ein von Russland unabhängiger Staat zu sein. Für andere ehemalige Mitglieder der Sowjetunion hat Russland das respektiert, für die Ukraine bis heute nicht. In einem Friedensschluss muss auch diese Haltung ein Ende finden.

*Ulfried Kleinert, geboren 1941 in Dresden, ist Religions- und Sozialwissenschaftler. Er war bis 2000 Rektor der Evangelischen Hochschule für Sozialarbeit in Dresden. Er lebt in Radebeul.