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Das unrühmliche Ende einer Verfolgungsjagd

Vors Amtsgericht Weißwasser kam die Sache durch den Tipp einer Zeugin. Die aber konnte sich nicht mehr erinnern.

Von Constanze Knappe
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© Symbolfoto: dpa/David-Wolfgang Ebener

Mit dem Gedächtnis ist das so eine Sache. Nicht erst im hohen Alter lässt es einen scheinbar im Stich, wie sich jetzt vor dem Amtsgericht in Weißwasser zeigte. Im konkreten Fall ging es um eine wilde Verfolgungsjagd, die sich ein Gablenzer am 29. Mai 2019 mit der Polizei geliefert haben soll. Bei schätzungsweise 90 bis 100 km/h soll der Beschuldigte als Fahrer eines Audi A6 gegen 19.32 Uhr an der Kreuzung Kromlauer Weg/Ecke Feldweg in Gablenz mit seinem Verhalten ein kleines Kind in üble Gefahr gebracht haben. Wegen dieses grob fahrlässigen und rücksichtslosen Verhaltens bei einem verbotenen Kraftfahrzeugrennen musste sich der Beschuldigte im November 2020 vor dem Amtsgericht Weißwasser verantworten. In seiner Abwesenheit sah das Gericht den „Tatbestand nach Aktenlage erfüllt“. Strafbefehl: 1.800 Euro sowie drei Monate Fahrverbot.

Beugehaft für Zeugen angedroht

Dagegen legte der Angeklagte Einspruch ein. Im neuen Jahr ging es nun weiter – mit neuem Verteidiger und zwei Entlastungszeugen. Weil sie im Januar zu zwei Terminen nicht erschienen, ließ Amtsgerichtsdirektor Christoph Pietryka sie diesmal von Polizeibeamten vorführen. In den getrennten Befragungen gaben beide an, „etwas Falsches gegessen“ zu haben, weshalb es ihnen so schlecht ging, dass sie nicht zu Gericht konnten. Auf die Frage, was sie denn gegessen hätten, wusste es weder der Zeuge noch seine Lebensgefährtin zu sagen. Überhaupt schien es um ihr Erinnerungsvermögen nicht sonderlich bestellt zu sein.

Dass der Zeuge aus Sagar mit dem befreundeten Angeklagten an jenem Tag zusammen im Auto unterwegs war und wo, weiß er nicht mehr. Um seinem Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen, rekonstruierte der Richter das Geschehen. Er zitierte dazu aus der Aussage des Zeugen im Januar 2020 bei der Polizei. Dass er sich auf dem Beifahrersitz befand, als der Angeklagte von der Polizei verfolgt wurde, konnte er nun nicht mehr bestätigen. Und von Blaulicht und Martinshorn will er nichts mitbekommen haben. „Ich weiß gar nichts mehr, ich war alkoholisiert“, versuchte er, sich zu rechtfertigen. Das nahmen ihm Richter und Staatsanwalt aber nicht ab. Der Amtsgerichtsdirektor drohte gar mit Beugehaft, weil er den Eindruck hatte, dass der Zeuge log. Dieser blieb dennoch bei der immer gleichen Antwort: „Ich erinnere mich nicht“.

Auch die Zeugin, die seit sechs Jahren mit dem Zeugen zusammen ist, hat beträchtliche Gedächtnislücken. Zudem gab sie an, sich nicht für das Vorleben ihres Freundes zu interessieren oder für das, was er sonst so macht. Beim Richter hinterließ die 31-jährige Mutter zweier Kinder den „Eindruck einer Teenagerin, die nicht weiß, was wichtig ist und was nicht“.

Beamte vermuten Drogendelikt

Dass es überhaupt zu jener Verfolgungsjagd gekommen und der Fall vor Gericht gelandet ist, hat seinen Ursprung in einer ganz normalen Polizeikontrolle auf der Gablenzer Straße in Bad Muskau. Diese verlief ohne Probleme für die Zeugin. Sie steckte den Polizeibeamten, dass ein blauer Audi käme, dessen Insassen Drogen genommen und wohl vorhätten, weitere zu kaufen. Ob die Zeugin tatsächlich etwas wusste oder ihren damals „gerade getrennten Freund“, den jetzigen Zeugen, nur verpfiff, um ihm eins auszuwischen, ließ sich nicht klären. Denn sie konnte sich – nicht erinnern. Nicht an das Gespräch mit der Polizei, nicht einmal daran, dass sie überhaupt kontrolliert worden sei, was durch das protokollierte Kfz-Kennzeichen ihres eigenen Fahrzeugs allerdings bestätigt ist.

Für die Beamten, die in dem Verfahren ebenfalls als Zeugen gehört wurden, war der Tipp Anlass genug, nach einem blauen Audi Ausschau zu halten. So stießen sie auf das Fahrzeug des Angeklagten und wollten ihn kontrollieren. Doch statt anzuhalten, gab dieser Gas. Es kam zu der Verfolgungsjagd, in deren Verlauf beinahe ein kleiner Junge am Straßenrand überfahren worden wäre, wenn ihn nicht seine Mutter in allerletzter Sekunde zurückgerissen hätte.

Astreine Tat oder Restzweifel?

Aus Sicht von Staatsanwalt Robert Klinkicht war es eine „astreine Verfolgung. Irgendetwas hatten die Jungs auf dem Kerbholz, auch wenn sich der Drogenbesitz nicht nachweisen ließ“. Der Angeklagte habe die Polizei gesehen und ist abgehauen. Er habe versucht, das Letzte aus dem Auto herauszuholen. Die Gefährdung des Kindes sei gegeben gewesen. Nicht umsonst seien an der Stelle nur 30 km/h erlaubt.

Für Verteidiger Andreas M. Kohn besteht ein großes Problem darin, dass es keine Messungen gibt, wie schnell der Audi auf welcher Strecke tatsächlich war. Der Polizeibeamte hat das Kind an der Straße gesehen. Das Ganze mag wie eine Gefährdungslage gewirkt haben, aber auch sein Mandant sah das Kind und hatte noch Zeit zu regieren, die Mutter ebenso. Nach dem Tipp der Zeugin habe es bei seinem Mandanten „eine Hausdurchsuchung mit viel Tamtam“ gegeben, doch wurde nur Backpulver gefunden. Dennoch führte dies dazu, dass sein Geschäft den Bach runterging. Der Verteidiger verwies auf Widersprüche. Für ihn blieb ein Restzweifel. Und der lasse nur einen Schluss zu: Freispruch.

Gericht sieht Tatbestand erwiesen

Für Richter Christoph Pietryka hingegen passte alles zusammen. „Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass man nicht anhält, wenn Polizei mit Blaulicht und Martinshorn kommt“, sagte er. Der Angeklagte hingegen gab Vollgas. Ein Anhalten, das Beifahrerfenster runterlassen und sich bei der Mutter entschuldigen, wie es der Angeklagte dem Gericht weismachen wollte, „das gab es nicht“, so der Richter.

Somit sah das Gericht den Tatbestand als erwiesen an und verurteilte den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen je 15 Euro und zu sechs Monaten Fahrverbot, auch hat er die Kosten des Verfahrens zu tragen. Berücksichtigt wurde, dass er nicht vorbestraft und psychisch angeschlagen ist und durch den schlechten Leumund alles verloren hat. „Ich gehe davon aus, dass es ihm leid tut“, so der Richter. Der Angeklagte lebt in einer neuen Beziehung, fährt „ein bescheideneres Auto“.

Gegen das Urteil können beide Seiten vorgehen und Berufung bzw. Revision einlegen. Der Staatsanwalt will indes prüfen, ob er gegen die Zeugin ein Verfahren wegen falscher Verdächtigung einleitet.

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