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Im Glasmuseum fehlt das Leben

Trotz Corona fällt die Bilanz in Weißwasser weniger drastisch als befürchtet aus. Aber wie es weitergeht, ist ungewiss.

Von Constanze Knappe
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Die Gläser „zu einem besonderen Anlass“ sind in der Regel von keinem großen künstlerischen Wert. Aber sie dokumentieren die Stadtgeschichte von Weißwasser. Museumsleiterin Christine Lehmann möchte solche Biertulpen in einer Sonderschau 2021 erstm
Die Gläser „zu einem besonderen Anlass“ sind in der Regel von keinem großen künstlerischen Wert. Aber sie dokumentieren die Stadtgeschichte von Weißwasser. Museumsleiterin Christine Lehmann möchte solche Biertulpen in einer Sonderschau 2021 erstm © Joachim Rehle

Gespenstisch ruhig geht es zu im Glasmuseum Weißwasser. Eigentlich hätten sich in der Weihnachtszeit und über den Jahreswechsel die Besucher die Klinke in die Hand gegeben. Doch daran ist in Corona-Zeiten ganz und gar nicht zu denken. Busunternehmen, die sonst Senioren aus ganz Deutschland auf Adventsfahrt ins Glasmuseum brachten, mussten alle Termine streichen. „Man steht vor dem Weihnachtsbaum, aber richtig weihnachtlich wird es einem nicht“, sagt Museumsleiterin Christine Lehmann. Wie auch? Seit Anfang November ist das Museum gemäß der Corona-Allgemeinverfügung geschlossen.

Goldtröpfchen aus dem Tagebau

Das war auch im Frühjahr schon so. Mai, September und Dezember sind an sich die besucherstärksten Monate im Glasmuseum Weißwasser. In diesem Mai aber mussten sich die Menschen erst daran gewöhnen, dass das Museum zwar wieder offen, aber nur nach telefonischer Voranmeldung zu besuchen ist. Dafür folgte ein starker Sommer, weil Besucher aus dem Fürst-Pückler-Park auch gerne rundum Kultur mitnehmen. Das bescherte dem Glasmuseum mehr Gäste als sonst. Deshalb fällt die Bilanz zum Jahresende gar nicht so drastisch schlecht aus wie befürchtet.

Bei 2.645 Besuchern kamen gerade 417 weniger als im Jahr zuvor. Und das, obwohl das Glasmuseum 2020 vier Monate zu war. Allein 475 Besucher wurden bei den Vorträgen gezählt, die als Begleitveranstaltungen zur Sonderschau „Steinschläger, Pechkocher – Herzensbrecher“ stattfanden. Diese gab einen Einblick in 25 Jahre archäologische Grabungen in den Tagebauvorfeldern Reichwalde und Nochten, zeigte beispielsweise Goldtröpfchen aus dem Tagebau Nochten. „Das Thema treibt die Menschen hier um. Es hat sie emotional sehr berührt“, resümiert die Museumsleiterin. Ein bisschen traurig ist Christine Lehmann über das coronabedingte sang- und klanglose Ende der zweiten Sonderschau des Jahres. Die „Beste Bude – Bärenhütte“, eine Personalausstellung zum 85. Geburtstag des Musterschleifers Heinz Schade, sollte eigentlich bis März 2021 verlängert werden. Staatliche Museen, so viel ist inzwischen bekannt, dürfen wegen Corona frühestens ab März wieder öffnen. Kommunen bleibt das selbst überlassen. Die Stadt Weißwasser hat sich dazu noch nicht geäußert. Und im harten Lockdown, der bis 10. Januar 2021 angesetzt ist, aber womöglich auch länger dauern kann, wird dazu vermutlich keine Entscheidung fallen.

Die Sonderschau über die Bärenhütte (1887 – 1997) und die in aller Welt gefragten Bleikristallgläser des Musterschleifers Heinz Schade sollte bis März 2021 verlängert werden. Ob daraus etwas wird, ist angesichts des Lockdowns ungewiss.
Die Sonderschau über die Bärenhütte (1887 – 1997) und die in aller Welt gefragten Bleikristallgläser des Musterschleifers Heinz Schade sollte bis März 2021 verlängert werden. Ob daraus etwas wird, ist angesichts des Lockdowns ungewiss. © Joachim Rehle

Zu Horst Gramß’ 85. Geburtstag

Wenn sich die Stadt an den Vorgaben für staatliche Museen orientiert, würde sich auch über der ersten Sonderschau des neuen Jahres ein großes Fragezeichen auftun. Eigentlich wollte das Glasmuseum Horst Gramß mit einer Personalausstellung zum 85. Geburtstag ehren. „Ohne ihn gäbe es die Sammlung hier nicht“, begründet Christine Lehmann. Horst Gramß ist einer der letzten noch lebenden Glasgestalter, die den Glaswaren aus Weißwasser zu Weltruhm verhalfen. Viele Gläser im Fundus des Museums hat er entworfen. Im Februar sollte die Sonderschau eröffnet werden. In welcher Form sie nun überhaupt stattfinden kann, wird man sehen müssen.

Gläser zu einem besonderen Anlass

Die zweite große Sonderschau 2021 ist Alltagsgläsern gewidmet, die zu einem besonderen Anlass entstanden sind. Biergläser oder Cognacschwenker in Übergröße wurden mit Abziehbildern oder besonderen Prägungen versehen und zu Jubiläen von Feuerwehren, Kampfgruppen oder Sportvereinen oder als Weihnachtsgeschenke an Mitarbeiter ostsächsischer Betriebe ausgegeben. Es gab sie zu Jubiläen der Glasfachschule, des Posaunenchores, des Tierparks, zum Sommerfest im Eisstadion oder zum Tag des Berg- und Energiearbeiters. „Es wurden ständig Gläser für irgendetwas gemacht“, weiß Christine Lehmann.

„Im Museum haben wir solche Gläser in großer Anzahl. Sie wurden aber noch nie ausgestellt“, erzählt sie. Zwar seien die Gläser nicht von allzu großem künstlerischen Wert, aber sie dokumentieren die Stadtgeschichte von Weißwasser. In anderen Städten gibt es solche Erinnerungsstücke aus den unterschiedlichsten Materialien, in Weißwasser nur aus einem – aus Glas. Für die Sonderschau gesucht werden Biertulpen. Ein erster Aufruf, solche Gläser zu einem besonderen Anlass dem Museum zur Verfügung zu stellen, fand nicht die erhoffte Resonanz. Wegen der unklaren Corona-Situation wurde die Ausstellung sowieso weit in die zweite Hälfte 2021 verschoben.

20.000 Objekte zu inventarisieren

Obwohl das Museum zu ist, gibt es für Christine Lehmann und ihr Team viel zu tun. „Es sind die vielen Kleinigkeiten, die im Alltag sonst immer liegenbleiben“, sagt sie. Normalerweise wird sie jedes Jahr von zwei Studenten der Museologie aus Leipzig unterstützt. Daraus wurde im Corona-Jahr nichts. Deshalb hat die Museums-Chefin nun selbst damit begonnen, die Objekte der Bärenhütte zu inventarisieren. Im Fundus warten schätzungsweise 20.000 Objekte darauf, ebenfalls erfasst zu werden.

Zudem erhält das Glasmuseum Weißwasser das ganze Jahr über Recherche-Anfragen, etwa weil jemand einen Flakon aus den 30er-Jahren besitzt, der womöglich von Wagenfeld entworfen wurde. „Für uns ist jede Anfrage spannend und meist mit neuen Erkenntnissen verbunden“, so Christine Lehmann, die zu diesem konkreten Fall aber noch nichts gefunden hat.

Dass sie bei der Ruhe im Museum zu mehr wissenschaftlicher Arbeit kommt, gefällt ihr. Dennoch vermisst sie die Besucher, die Gespräche mit ihnen wie auch den Austausch mit ihren Fachkollegen. Christine Lehmann schaut mit gemischten Gefühlen ins neue Jahr. „Es wäre bitter, wenn sich die Schließung tatsächlich bis zum Frühjahr hinzieht. Da hat man als Museum schon Angst, inwieweit hinterher Kultur infrage gestellt wird“, erklärt sie.

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