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Warum Klitten Kohlebaggern doch nicht weichen musste

Vor 32 Jahren entging der Ort nur knapp seinem Schicksal. Eine Ausstellung in der Kirche erinnert jetzt noch einmal an diese dramatische Zeit.

Von Andreas Kirschke
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Die Junge Gemeinde schrieb damals „"Betet für Klitten"“ auf Kohle-Briketts und verteilte sie im Juni 1989 auf dem Kirchentag der Evangelischen Kirche im Görlitzer Kirchengebiet.
Die Junge Gemeinde schrieb damals „"Betet für Klitten"“ auf Kohle-Briketts und verteilte sie im Juni 1989 auf dem Kirchentag der Evangelischen Kirche im Görlitzer Kirchengebiet. © Andreas Kirschke

Fünf vor Zwölf zeigt die Uhr auf dem Transparent. Zu sehen ist ein Bauernhaus mitten im Grünen. Ein Schaufelradbagger rückt unaufhaltsam näher. Was wiegt schwerer? Kohle oder Heimat? So fragte die Junge Gemeinde 1988 auf einem dreiteiligen Banner. In der evangelischen Kirche Klitten erinnert es noch heute an die drohende Abbaggerung des Ortes durch den Braunkohlen-Tagebau Bärwalde. In der Loge der Kirche zeigt bis 2. März eine Ausstellung Zeitzeugnisse von damals. „Klitten – Klětno 1990“ ist die Foto- und Filmdokumentation überschrieben. An das Leitmotiv 32 Jahre Rettung Klittens knüpfte der 32. Dankgottesdienst für die Bewahrung Klittens am 6. Februar in der evangelischen Kirche gemeinsam mit der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) an.
Eine Welle mutiger Proteste

Zeitungsausschnitte, Fotos und Protokolle erinnern an jene dramatische Zeit. „1984 gab es konkrete Pläne für die Abbaggerung. Anfang der 1990er Jahre wollte sie der DDR-Staat durchsetzen“, sagt Daniel Jordanov, seit 2007 Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Klitten. Der Ortsteil Jasua – auf historischen Karten auch als Jahmen-Ausbau bezeichnet – musste 1987/88 der Kohle weichen. Laut dem Archiv verschwundener Orte in Horno mit der „Dokumentation bergbaubedingter Umsiedlung“ waren damals neun Gehöfte betroffen. 15 Einwohner mussten umsiedeln. Sie zogen in schon vorhandene Wohnungen nach Klitten. Denn Kohle-Ersatz-Wohnungen für Umsiedler gab es keine.

In der evangelischen Kirche Klitten ist bis 2. März eine Ausstellung zu sehen, die sich mit den Geschehnissen um 1990 auseinandersetzt. Pfarrer Daniel Jordanov zeigt ein Plakat von den damaligen Demonstrationen für den Erhalt des Ortes.
In der evangelischen Kirche Klitten ist bis 2. März eine Ausstellung zu sehen, die sich mit den Geschehnissen um 1990 auseinandersetzt. Pfarrer Daniel Jordanov zeigt ein Plakat von den damaligen Demonstrationen für den Erhalt des Ortes. © Andreas Kirschke

Klitten selbst erlebte eine Welle mutiger Demonstrationen. 40 Fotos des Bautzener Fotografen Jürgen Matschie erinnern daran. Die Ausstellung zeigt sie als Dauerschleife. Nah dran war der Fotograf an den Menschen. Er filmte ihren Mut, um die Heimat zu kämpfen. „Lasst uns unser Klitten steh’n, wir wollen nicht in die Fremde geh’n“, „Ein Herz für Klitten“, „Klitten bleibt“ stand auf Plakaten und Transparenten. Schülerinnen in sorbischer Klittener Tracht demonstrierten mittendrin, ebenso Lehrer, Eltern, Großeltern und Einwohner.

Im Gottvertrauen für die Heimat

Ur-Klittener und Zugezogene kämpften vereint für den Erhalt des Ortes. Die Junge Gemeinde schrieb auf Kohle-Briketts „Betet für Klitten“. Sie verteilte sie im Juni 1989 auf dem Kirchentag der evangelischen Kirche im Görlitzer Kirchengebiet. Am 11. Januar 1990 (anknüpfend an die Demonstration vom 6. Januar) folgte eine schriftliche Solidaritätsbekundung. „Wir sorbischen Schriftsteller im Schriftstellerverband der DDR wollen nach unseren Kräften mithelfen, damit Landschaft, Traditionen und Sprache unserer engeren Heimat künftigen Generationen erhalten bleibt“, hieß es darin. „Wir wollen mithelfen, ein ursprüngliches Element mitteleuropäischer Kultur auf dem Territorium der DDR zu bewahren. Wir wollen, dass unser Volk lebt.“ Bei einer der kraftvollsten Demonstrationen forderten rund 2.000 Teilnehmer am 20. Januar 1990 den Erhalt Klittens.

Kurze Zeit später gab der DDR-Staat die Abbaggerungspläne auf. Die Fortführung des Bärwalder Tagebaues war nicht mehr nötig. Klitten durfte stehenbleiben und weiterleben. Im Dankgottesdienst am 6. Februar 2022 erinnerte Pfarrer Daniel Jordanov daran. Er ging auf die Bibelgeschichte Jesu auf dem See Genezareth ein. Petrus und seine Jünger fürchten sich im Sturm vor den starken Seewellen. Jesus streckt die Hand nach dem sinkenden Petrus aus und rettet ihn vor dem Ertrinken. „Wie in dieser biblischen Geschichte wirkte Gottes Eingreifen auch in Klitten“, so Daniel Jordanov. „Es begleitete die politischen Ereignisse von damals. Wir danken daher nicht uns selbst. Wir danken vor allem Gott, der den politischen Rahmen für die Ereignisse veränderte.“ Petrus, so zeigt die Bibelgeschichte, handelte und ging über die Wellen auf Jesus zu. Er vertraute tief in Jesu Kraft. „Genauso war es auch hier“, meint Daniel Jordanov. „Im Vertrauen auf Gott kämpften viele für den Erhalt Klittens, im Hoffen auf Gottes Eingreifen.“

Die Landschaft veränderte sich seit den 1980er und 1990er Jahren. Vier zusätzliche Fotos von Jürgen Matschie verdeutlichen das in der Ausstellung. Sie zeigen den Tagebau Bärwalde im Januar 1990, den still gelegten Tagebau im Juni 1998, den gefluteten Tagebau-Restsee (heute Bärwalder See) im Februar 2015 und die Hafen-Anlage Bärwalder See im Februar 2019. Zur Ergänzung der Foto-Dauerschleife läuft an der anderen Wand ein Dokumentarfilm über Klitten und die damaligen Ereignisse. „Wir möchten, dass sich die damaligen Demonstranten wiedererkennen und sich erinnern. Die Jugendlichen heute sollen erfahren, was damals geschah und mit welchem Einsatz, mit welcher Dramatik, mit welchem Mut der Kampf um die Rettung Klittens verbunden war“, sagt der Pfarrer.

Neue Zeichen der Hoffnung

Hochaktuell ist die Ausstellung „32 Jahre Rettung Klittens“ überdies. Ging es doch damals wie heute um die Bewahrung der Schöpfung. Dort, wo früher Jasua stand, werden in diesem Jahr Ferienhäuser und ein Hotel gebaut. Aus den Wunden des Tagebaus wächst neues Leben. „Mit der Ausstellung wollen auch wir als Kirchengemeinde ein Zeichen setzen. Wir wollen zeigen, dass kirchliches Leben im Ort Bestand hat, wir als Gemeinde Bestand haben und den Ort lebendig mitgestalten“, sagt der Pfarrer und unterstreicht: „Noch in diesem Jahr wollen wir das Dach und die Fassade unserer Kirche erneuern lassen.“

Ausstellung: Sie ist bis 2. März, täglich von 10 bis 16 Uhr, in der Loge der ev. Kirche Klitten zu besichtigen.

Literatur-Tipp: Jürgen Matschie: „Tief im Osten. Die Lausitz im Wandel 1976-2020“. Mitteldeutscher Verlag Halle Saale 2021. 25 Euro. ISBN-Nr.: 978-3-96311-403-8.

Spenden für die Kirchensanierung sind jederzeit willkommen.

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