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Telefonat aus Israel: "Ein Bekannter wurde gestern für tot erklärt"

Palina Kedem arbeitet für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem in Israel. Ein Telefonat über die letzten Tage und was sich seit den Terror-Anschlägen für sie verändert hat.

Von Elisa Schulz
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Palina Kedem arbeitet und wohnt in Israel. Sie ist seit 18 Jahren im Außenbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung.
Palina Kedem arbeitet und wohnt in Israel. Sie ist seit 18 Jahren im Außenbüro der Konrad-Adenauer-Stiftung. © Konrad-Adenauer-Stiftung

Es ist neun Uhr an diesem Mittwoch. Zehn Uhr in Israel. Palina Kedem wohnt in der Nähe von Tel Aviv und arbeitet für die Außenstelle der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem. Das Wochenende, an dem die Hamas angegriffen hat, hat sie mit ihrer Familie zu Hause verbracht. Die 50-Jährige hat zwei Kinder. Sie ist eine Israelin, in Jerusalem aufgewachsen und spricht eigentlich Hebräisch. Für das Interview spricht sie Deutsch.

Frau Kedem, ich freue mich, dass es geklappt hat. Trotz der Umstände.

Im Moment ist es ruhig, Gott sei Dank. Ich hoffe, es bleibt auch so. Wenn es Alarm gibt, sage ich Bescheid.

Wo genau sind sie gerade?

Wir wohnen in der Nähe von Tel Aviv, in Ramat Gan. Aber ich bin eigentlich Jerusalemerin. Ich bin in Jerusalem aufgewachsen und habe bis vor kurzem dort gelebt. Und ich arbeite immer noch dort. Ich arbeite schon seit 18 Jahren in der Konrad-Adenauer-Stiftung in Jerusalem.

Wie haben sie den Samstag erlebt?

Es fühlt sich an, als wäre es schon ganz lange Zeit her. Wir haben schon so viel überlebt. Aber es kam eigentlich als große Überraschung. Es waren Feiertage, Wochenende noch dazu. Da verbringen wir viel Zeit mit der Familie. Es war alles ganz ruhig und plötzlich, am Schabbat, 6:45 Uhr morgens wachten wir alle von einem Alarm auf - eine Sirene. Und dann sind wir alle in so einen Sicherheitsraum in unsere Wohnung gelaufen. Es ist traurig das zu sagen aber wir kennen uns damit aus. Das passiert ab und zu. Und normalerweise machen wir einfach mit unserem Leben weiter. Und so auch in diesem Fall. Dann kamen verschiedenen Nachrichten und wir haben angefangen zu lesen und Nachrichten zu gucken. Eine wahre Flut von Nachrichten. Und das war einfach nicht zu glauben! Wir dachten zum Teil, dass das Fake ist, wo wir gehört haben, dass die Hamas Leute als Geiseln genommen haben. Es hat mehrere Stunden gedauert, bis irgendwie das Bild klarer war. Es ist bis heute nicht hundertprozentig klar. Sie wissen bestimmt, dass es immer noch neue Zahlen gibt. Mehreren 1.000 tote und ermordete Menschen. Ja, aber so ging es uns am Samstag als alles angefangen hat. Und dann gab es natürlich während des Tages noch mehrere Alarme, wo wir wieder in den Sicherheitsraum mussten. Ja, so geht das weiter bis jetzt. Jeden Tag noch Sirenen.

Wo gibt es denn überall solche Schutzräume?

Also in alten Gebäuden in Israel gibt es Schutzräume. In ganz alten Gebäuden gibt es überhaupt keinen Schutzraum. Man muss raus zu einem öffentlichen Schutzraum laufen. In ganzen neuen Wohnungen oder Häusern gibt es meistens einen sicheren Raum innerhalb der Wohnung. Der ist meistens aus Beton gebaut und hat besondere Türen und Fenster aus Eisen. Das ist einfach ein Zimmer im Haus. Im normalen Alltag ist es bei uns das Arbeitszimmer. Aber in solchen Tagen ist es der Sicherheitsraum.

Könnten Sie sich vorstellen, jetzt in der Situation auszureisen?

Nein, nein. Das ist nicht realistisch. Ich habe eine Familie. Ich habe zwei Kinder. Meine erste Tochter ist beim Militär. Ich habe auch Eltern, die bei uns wohnen. Es ist nicht realistisch, aber auch moralisch nicht möglich. Ich glaube, es ist richtig hier zu bleiben und stark zu bleiben und zu unterstützen, wo man kann. Es ist so schön zu sehen wie das gesamte israelische Volk, trotz der Diskussionen in letzter Zeit, eins werden. Alle helfen - alle kaufen nicht nur für sich ein, sondern auch für die Soldaten. Und sie spenden, Blut zum Beispiel. Das ist ja alles total traurig. Aber es stärkt das Herz, wenn alle füreinander Verantwortung übernehmen.

Ihre Tochter ist beim Militär?

Ja, sie ist 20 Jahre alt und sie ist gerade beim Militär.

Ist sie im Einsatz?

Also sie ist in der psychologischen Abteilung beim Militär. Sie gerade Zuhause, aber im Standby, falls sie gebraucht wird. Ihr Freund ist gerade im Süden. Ein Bekannter von ihrer Schule wurde gestern für Tod erklärt. Es ist wirklich schwer. Auch wenn wir nicht im Zentrum leben und vielleicht nicht so betroffen sind, außer mit Raketen. Es ist sehr schwer

Israelis inspizieren die Trümmer eines Gebäudes in Tel Aviv, nachdem es von einer aus dem Gazastreifen abgefeuerten Rakete getroffen wurde.
Israelis inspizieren die Trümmer eines Gebäudes in Tel Aviv, nachdem es von einer aus dem Gazastreifen abgefeuerten Rakete getroffen wurde. © Oded Balilty/AP/dpa

Was hat sich jetzt in Ihrem Leben verändert?

Es hat sich viel verändert. Ich fahre jetzt nicht zur Arbeit. Ich arbeite von zu Hause. Mein Mann ist Lehrer. Momentan geht niemand zur Schule oder in den Kindergarten. Mein Mann unterrichtet jetzt von zu Hause. Mein kleiner Sohn lernt von zu Hause. Wir gehen aus dem Haus, wenn wir müssen. Wir versuchen nicht zu viel rauszugehen. Es kann immer eine neue Raketenwarnung kommen. Ich weiß nicht, ob Sie das in Deutschland mitbekommen haben, aber anscheinend sind mehrere Terroristen auch weggelaufen. Es gibt hier Vorwarnung, dass noch welche im Land sein können.

Ich habe ja gesagt, ich bin Jerusalemitin, und ich habe schon mehrere Terrorattentate erlebt. Ich glaube, was sich am meisten an dieser Situation verändert hat, ist, dass man sich praktisch nicht mehr sicher in seinem Zuhause fühlt. Manchmal denke ich darüber nach: Ja, sie können nach Hause kommen und dich bei dir zu Hause töten. Ich glaube, das ist das Wichtigste, was zumindest ich persönlich im Moment fühle. Na ja, wir müssen stark bleiben. Man darf nicht weinen, man muss stark bleiben und alles Weitere machen. So sehe ich das.

Was würden Sie sich denn von anderen Ländern, wie zum Beispiel Deutschland, jetzt wünschen?

Das ist eine schwierige Frage. Ich bin persönlich sehr mit Deutschland verbunden und deswegen, wenn ich ganz ehrlich bin - Ich bin sehr berührt von meinen Freunden und Kollegen, die mir sofort geschrieben und angerufen haben. Wir freuen uns darüber. Ich weiß aber nicht, ob die Unterstützung von der Allgemeinheit in Israel wahrgenommen wird. Ich glaube, Deutschland muss nicht nur symbolisch, sondern auch politisch äußern.

Symbolisch, auch durch die Verantwortung für die Vergangenheit, macht das Deutschland sehr gut.

Aber, Ich glaube, dass Deutschland als eine der führenden Kraft der EU zusammen mit anderen europäischen Ländern arbeiten muss und sich stärker gegen Terrorismus und terroristischen Entitäten äußern und arbeiten. Sie müssen Terrorismus in der Region und auch in Europa stärker bekämpfen. Das ist nicht nur für die Israelis wichtig ist, sondern auch für die Palästinenser und deren Zukunft wichtig ist.