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Harter Weg: Wie ein Arzt aus Charkiw Chefarzt in Görlitz wurde

Anton Kushnir ist Chefarzt der Radiologie in Görlitz. 2015 kam er aus Charkiw nach Deutschland. Seine Eltern leben bis heute in der umkämpften Stadt.

Von Susanne Sodan
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Seit Anfang des Jahres leitet Anton Kushnir in Görlitz das Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie.
Seit Anfang des Jahres leitet Anton Kushnir in Görlitz das Institut für diagnostische und interventionelle Radiologie. © Paul Glaser/glaserfotografie.de

Der Laie sieht helle Felder und dunkle. Verschiedene Schattierungen. Anton Kushnir sieht ein Herz. Hier eine der Herzkammern - da die Herzkranzarterie. Er ist der neue Chefarzt für diagnostische und interventionelle Radiologie im Städtischen Klinikum Görlitz.

Ein Herz zu röntgen, ist schwierig. Dafür braucht man Erfahrung und besonderes technisches Wissen. "Das Herz ist ja immer in Bewegung", erklärt er. "Aber es gibt Phasen, in denen es sich kaum bewegt", Millisekunden, in denen die Röntgenbilder gemacht werden.

"Die Technik arbeitet quasi synchron zur Herzfunktion." Die Bilder sagen Kushnir viel. Er kann sehen, ob die Herzklappen richtig funktionieren, ob es Entzündungen gibt, oder gar einen Tumor. "Das war bei uns früher zumindest in dieser Form nicht möglich", sagt Klinikums-Sprecherin Katja Pietsch. Am Klinikum ist die Freude groß über Anton Kushnirs Wechsel.

Wenn Angriffe zum Alltag werden

Der Mediziner hat gleich zweimal approbiert, also seine ärztliche Zulassungsprüfung absolviert. Nicht ganz freiwillig. Er stammt aus Charkiw an der nordöstlichen Grenze der Ukraine zu Russland. Erst am Dienstag stand ganz in der Nähe ein Krankenhaus in Flammen, wie etwa die Frankfurter Rundschau berichtete.

Kushnir lebt schon seit 2015 in Deutschland. Doch die Geschehnisse 1.700 Kilometer weiter östlich, bewegen ihn sehr - nicht zuletzt, weil seine Eltern noch immer in Charkiw leben. "Mein Vater ist 58 Jahre alt", erzählt er. Männer unter 60 Jahren dürfen nicht ausreisen. Das Haus der Eltern steht noch, "die Garage nicht mehr", sagt Kushnir trocken.

Es ist ein Leben zwischen Furcht und Routine. Charkiw war monatelang von russischen Truppen besetzt, bis zu einer Gegenoffensive im September. Über 900 Leichen von ukrainischen Zivilisten wurden danach entdeckt. Bis heute wird die Stadt immer wieder beschossen. Die Alarme, die Bomben, irgendwie seien sie für die verbliebenen Bewohner - darunter seine Eltern - zur Routine geworden, sagt Kushnir, "man ist langsam gewöhnt an die Situation."

Donbass-Krieg fällte die Entscheidung zu gehen

Anton Kushnir konnte 2015 die Ukraine noch verlassen. Arzt war er damals schon, er hatte zwei Stellen. Eine in Charkiw - und außerdem arbeitete er in der russischen Nachbarstadt. "Die Entscheidung zu gehen fiel 2014", erzählt er. Etwa zeitgleich zur russischen Annexion der Krim brach der Krieg um den Donbass in der Ost-Ukraine aus. "Am Anfang hieß es seitens Russlands, man sei daran nicht beteiligt.

Es sei ein Konflikt unter Ukrainern. Aber ich habe auf meinem Arbeitsweg die russischen Panzer an der Grenze gesehen. Das hat die Entscheidung für mich klargemacht." Die Idee auszuwandern, hatte die Familie früher schon. "Ich weiß aber nicht, ob wir es gemacht hätten." Beim Anblick der Panzer sei klar geworden, "wir müssen hier weg".

Deutsch zu lernen begann Kushnir bereits in der Ukraine, während der Wartezeit auf ein Visum. In Deutschland ging er zunächst nach Berlin. "Ich hatte dort eine gute Sprachschule gefunden und eine WG, in der ich günstig wohnen konnte." Student war er zu der Zeit längst nicht mehr - und doch wieder. Um weiterhin als Arzt arbeiten zu können, musste er die höchste deutsche Sprachprüfung bestehen. Und seine Approbation wiederholen. Das gilt für alle Ärzte, die nicht aus einem EU-Land nach Deutschland kommen.

Schwere erste Jahre in Deutschland

Größte Herausforderung: Grundlage dafür ist eine Ausbildungsstelle in einer Praxis oder Klinik. "Ich hatte Glück", sagt Kushnir. Er bekam eine Stelle am Carl-Thiem-Klinikum Cottbus, wo er zuletzt Oberarzt für Radiologie und Neuroradiologie war. Er ist Spezialist in der Bildgebung des Herz-Kreislauf-Systems. Bestimmte, minimal-invasive OPs kann auch Kushnir vornehmen. Zum Beispiel, wenn bestimmte Blutgefäße erweitert oder verschlossen sind. Auch das kann Leben retten - etwa bei Blutungen im Magen.

Deutsch lernen, noch mal medizinische Prüfungen ablegen, Dokumente übersetzen lassen, alles nebenher zum Arbeitsalltag. Aber noch schwerer habe die emotionale Belastung gewogen. Als Anton Kushnir nach Deutschland ging, war er bereits verheiratet, seine beiden Söhne waren zwei Jahre und drei Monate alt. Mit so kleinen Kindern den Weg nach Deutschland zu beschreiten - Kushnirs entscheiden sich dagegen. Anton Kushnir ging zunächst allein, die Familie blieb zurück. "Da war schwer, sehr."

Görlitz erinnert an westukrainische Städte

Mitte 2016 konnte er seine Kinder und seine Frau zu sich holen. Als vor einem Jahr Russland die Ukraine angriff, setzten sich Kushnirs sehr in der Ehrenamtshilfe ein. Am Cottbuser Klinikum, wo Anton Kushnir zu der Zeit noch arbeitete, wurden Medikamente, Verbandsmaterial und so weiter gesammelt.

Genauso war es an den beiden Görlitzer Krankenhäusern und vielen anderen. Anton Kushnir betreute ukrainische Medizin-Studenten, die geflohen waren und in Cottbus ankamen. Er fuhr unter anderem mit dem Verein Bund Deutscher Einsatzveteranen, also ehemaligen Bundeswehrsoldaten, regelmäßig in die Ukraine, um medizinische Hilfe zu bringen.

Für die Ex-Bundeswehrsoldaten hat Kushnir ganz besondere Achtung. "Sie sind bis an die ukrainisch-russische Grenze gefahren. Manchmal an Orte, an denen eine Stunde später Raketen einschlugen." Bis heute begleitet Frau Kushnir viele Geflüchtete aus der Ukraine bei Behördengängen. Die Familie lebt noch immer in Cottbus, Anton Kushnir ist unter der Woche in Görlitz, am Wochenende in Cottbus.

Das hat nichts damit zu tun, dass er nicht nach Görlitz ziehen wollen würde. "Ein bisschen erinnert die Stadt in ihrer Bauweise an westukrainische Städte." Seine Schwester und Großeltern flohen aus Charkiw zu ihm. Sie könnten ob des Aufnahmestopps in vielen Städten nun nicht mit umziehen, "doch sie brauchen noch unsere Hilfe."