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"Mama, hier heulen keine Sirenen"

Tränen des Glücks und Tränen der Trauer flossen am Wochenende in Hartha. Zwei ukrainische Frauen und ihre vier Kinder haben eine sichere Zuflucht gefunden.

Von Sylvia Jentzsch
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Iryna Chernychka (links) ist mit ihrer Tochter Mariia (elf Monate) und ihrer Tochter Dariia (5) sowie Olena Maidanyk und ihren beiden Kindern im Alter von fünf und zwölf Jahren aus der Ukraine geflohen.
Iryna Chernychka (links) ist mit ihrer Tochter Mariia (elf Monate) und ihrer Tochter Dariia (5) sowie Olena Maidanyk und ihren beiden Kindern im Alter von fünf und zwölf Jahren aus der Ukraine geflohen. © Dietmar Thomas

Hartha. Hinter Iryna Chernychka (29) und Olena Maidanyk (36) liegen viele Stunden des Schreckens und der Angst. Die beiden Frauen sind mit ihren vier Kindern aus Kropywnyzkyj, 300 Kilometer von Kiew entfernt, geflohen.

Nachdem sie Nächte und Tage im Keller verbrachten, heulende Sirenen erlebten, fanden sie Platz in einem Bus, der sie bis an die polnische Grenze brachte. Mehr als 15 Stunden benötigten sie bis dahin. „Es waren ganz viel, viele Fahrzeuge unterwegs. Alles war verstopft. Wir sind nur sehr langsam vorangekommen. Überall wohin man schaute, waren Fahrzeuge“, erzählte Iryna Chernychka.

Ihre große Tochter ist fünf Jahre und die jüngste ist elf Monate. Das eine Kind im Arm, das andere an der Hand, mussten sie zu Fuß über die Grenze. Nur ein Köfferchen mit wenigen Sachen für die Kinder hatte sie dabei und viel Angst, bei den Menschenmassen ein Kind zu verlieren.

Iryna Chernychka sitzt mit ihren Kindern im Bus. Ein letzter Blick, der alles sagt.
Iryna Chernychka sitzt mit ihren Kindern im Bus. Ein letzter Blick, der alles sagt. © privat

Das erste Mal Enkelin Mariia im Arm

Auch Olena Maidanyk ging das so. Erst als sie alle im Zug nach Wrocław saßen, fanden sie etwas Ruhe. Am Samstagnachmittag holte sie Mutter und Schwester Nataliia Chernychka ab, die seit einigen Jahren in Hartha lebt. Sie sah ihre jüngste Enkeltochter Mariia, die am Sonntag ein Jahr als wird, zum ersten Mal.

Nach dem bangen Warten auf ihre Lieben gab es Umarmungen und jede Menge Tränen. Mit dem Auto ging es dann weiter nach Hartha in den Care Palace. Dort hatten die Mitarbeiterinnen um die Geschäftsführerinnen Simone Gerson und Gritt Schmidt alles vorbereitet. (Sächsische.de berichtete).

Die Frauen und Kinder waren erschöpft, aber sehr glücklich angekommen zu sein. Noch immer können sie es kaum fassen, dass ihnen solch ein toller Empfang bereitet worden ist. Simone Gerson und Pflegedienstleiterin Linda Schubert, deren Mann den Kühlschrank füllte und Getränke holte, warteten auf ihre Mitarbeiterin und deren Verwandte, die am Samstagabend gegen 22.30 Uhr eintrafen – mehr als 26 Stunden auf der Flucht.

Tausende Ukrainer sind auf der Flucht. Die Grenze nach Polen musste zu Fuß überwunden werden. Dann gab es großes Gedränge am Bahnhof.
Tausende Ukrainer sind auf der Flucht. Die Grenze nach Polen musste zu Fuß überwunden werden. Dann gab es großes Gedränge am Bahnhof. © privat

Kontakt mit den Ehemännern aufgenommen

„Wir sind froh und dankbar, dass es nicht länger gedauert hat. Manche Menschen sind viel länger unterwegs, wegen dem Stau oder weil sie kein Benzin haben“, sagte Nataliia Chernychka.

„Zuerst wurden die Handys geladen. Denn die Frauen wollten ihren Männern, die für die Ukraine kämpfen, mitteilen, dass sie gut angekommen sind“, erzählt Simone Gerson. Trotz der liebevollen Aufnahme und der glücklichen Ankunft habe es immer wieder Tränen gegeben.

„Die Frauen haben immer wieder an die Menschen gedacht, die sie zurücklassen mussten“, so Simone Gerson. Vor allem Olena Maidanyk sei hin und her gerissen gewesen, wäre lieber in der Ukraine geblieben. Doch die Sicherheit der Kinder im Alter von fünf und zwölf Jahren sei vorgegangen.

Große Dankbarkeit

„Meine Tochter und Schwester kommen sich vor, wie in einem Hotel mit zehn Sternen. Alle haben so toll geholfen, dass sie sich hier wohlfühlen können. Danke, Danke dafür“, so Nataliia Chernychka.

Es wurden Kinderbetten mit Bettwäsche, eine Wickelkommode, ein Kinderwagen und vieles mehr von den Mitarbeitern aus Schönerstädt und des Care Palace gespendet. Die Frauen und Kinder benötigen auch Sachen. Doch auch da gab es viele Kollegen, die halfen.

Die elf Monate alte Mariia im Luftschutzkeller. Manchmal dauerte der Fliegeralarm zwei Stunden.
Die elf Monate alte Mariia im Luftschutzkeller. Manchmal dauerte der Fliegeralarm zwei Stunden. © privat

Stadt stellt Wohnungen bereit

Bürgermeister Ronald Kunze (parteilos) kam bereits am Sonntag in den Care Palace, um die Angekommenen zu begrüßen. Er brachte auch gleich die Dokumente für die Anmeldung bei der Integrationsbehörde des Landkreises Mittelsachsen mit. Und es gab noch eine weitere positive Nachricht.

Harthaer stellen den beiden Frauen und ihren Kindern eine Wohnung mit Bad und Küche zur Verfügung. Am Donnerstag kann sie bereits besichtigt werden. Von Anfang an stand fest, dass der Aufenthalt im Care Palace vorübergehend sein soll.

„Die Wohnbau Hartha meldet weitere fünf Wohnungen an die Integrationsbehörde. Sie sind nur noch mit Möbeln zu bestücken. Das übernimmt die Gesellschaft für Strukturentwicklung und Qualifizierung Freiberg mbH (GSQ). Auch die anderen Wohnungsunternehmen prüfen, ob sie Wohnraum zur Verfügung stellen können“, so der Bürgermeister.

Am Mittwoch gebe es ein Treffen der Bürgermeister mit dem Landrat. Dann soll über die weitere Verfahrensweise informiert werden. Denn die Kinder sollen auch die Kitas besuchen, die Schüler in Schulen gehen können.

Stadt Hartha ruft zu Spenden für die Ukraine auf

„Jetzt geht es erst einmal darum, dass die Menschen in Ruhe ankommen“, so der Bürgermeister. Auch in Aschershain seien eine Ukrainerin mit zwei Kindern sowie in Gersdorf eine Oma und eine Mutter mit Kindern privat untergekommen.

Die Stadt Hartha hat bereits einen Spendenaufruf auf ihrer Homepage veröffentlicht. Einige größere Spenden seien schon eingegangen, so der Bürgermeister.

Iryna Chernychka zeigt Fotos von der Familie als noch alles in Ordnung war.
Iryna Chernychka zeigt Fotos von der Familie als noch alles in Ordnung war. © privat

Mama, hier heulen keine Sirenen

„Auch wenn wir hier viel für die Flüchtlinge tun, so ist uns bewusst, dass wir ihnen ihre Sorgen um ihre Männer, Freunde und Bekannte nicht nehmen können“, sagt Simone Gerson. Ein Kind habe am Frühstückstisch gesagt: „Mama, die Sirene kommen nicht. Ist hier kein Krieg?“ Als beim Abendbrot am Sonntag ein Flieger über Hartha flog, seien alle erschrocken, erzählt Iryna Chernychka.

Sie zeigt Fotos von einer glücklichen Familie. Sie sind nur wenige Wochen alt. „Wir hatten ein ganz normales Leben, alles war perfekt. Und nun dieser schreckliche Krieg“, sagt die 29-Jährige.

Geldspenden für Hilfe in der Ukraine können unter dem Stichwort „Spende Ukraine“ auf das Konto der Stadtverwaltung Hartha, IBAN: DE39 8605 5462 0039 9400 01 überwiesen werden.