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Villa Loschwitz gibt Geflüchteten in Dresden ein Zuhause

Die Betreiber des früheren Hotels geben 36 Menschen aus der Ukraine Unterkunft und bitten um Unterstützung. Offizielle Mittel fehlen allerdings noch.

Von Nadja Laske
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Katrin Kerber (l.) freut sich über jedes Lächeln der kleinen Lyba und ihrer Mutter Lena. Sie sind nun in der Villa Loschwitz in Sicherheit vor dem Krieg in ihrer Heimat.
Katrin Kerber (l.) freut sich über jedes Lächeln der kleinen Lyba und ihrer Mutter Lena. Sie sind nun in der Villa Loschwitz in Sicherheit vor dem Krieg in ihrer Heimat. © Sven Ellger

Dresden. Bis in den Hof duftet es nach Buletten. Die Frauen haben gekocht und gebraten. Das Abendessen ist vorbereitet. Doch vorher versammeln sich die neuen Bewohner der Villa Loschwitz im Erdgeschoss an einer langen Tafel, die viel darüber verrät, was das Leben hier gerade erzählt.

Viele verschiedene Tische sind zum Dreh- und Angelpunkt des ehemaligen Hotels an der Bautzner Straße zusammengestellt. Dort wird gesessen, gegessen, diskutiert und beraten, sich auf allen möglichen Kanälen über den Krieg in der Ukraine informiert, gehofft, gebangt, geweint und Mut zugesprochen.

Und nun, an diesem frühen Abend wird gelernt. Rund zwei Dutzend Ukrainerinnen und Ukrainer rücken ihre Stühle heran, legen Schreibhefte und Stifte bereit, konzentrierte Ruhe kehrt ein. Das Alphabet, die ersten Wörter und Sätze auf Deutsch sind bereits in den Köpfen. Niemand weiß, ob diese Frauen, Männer und Kinder in Zukunft Gäste oder Dresdner sein werden. Keiner kann sagen, wie lange der Krieg dauern wird. Doch die Sprache des Landes, in dem sie Zuflucht gefunden haben, kennenzulernen, das scheint ihnen allen ein großes Bedürfnis zu sein.

Einkaufsliste via WhatsApp

Für den Deutschunterricht hat Katrin Kerber ihre Freundin Christine Neumann begrüßt. Als "gute Seele" bezeichnet die Inhaberin der Villa Loschwitz sie: immer zur Stelle und auf der Suche nach Informationen darüber, wie das neue Leben unter diesem Dach am besten zu meistern ist. Denn das ist wirklich nicht leicht.

Fast 15 Jahre lang haben Katrin Kerber und ihr Mann Bernd ihr kleines Hotel betrieben. Nach langen, zermürbenden Lockdowns entschlossen sie sich jedoch Anfang des Jahres, nicht wiederzueröffnen. Die Coronaregeln machten für sie den Betrieb unwirtschaftlich. So meldeten die Betreiber ihr Gewerbe ab. Vorübergehend nutzte der Rabbiner Akiva Weingarten die Villa als eine Art Gästehaus. Seit Mitte Februar stand sie wieder leer.

"Über den Kontakt zu einer jüdischen Gemeinde in Chemnitz haben wir schließlich die Anfrage bekommen, ob wir ukrainische Kriegsflüchtlinge aus der Region Kiew aufnehmen können", erzählt Katrin Kerber. Die 53-Jährige ist Gastgeberin durch und durch. Bernd Kerber ebenso. Das Paar hat vier Kinder und vier Enkel. Trubel in allen Räumen ist es gewohnt.

Ab dem 3. März kamen die Geflüchteten, überwiegend Frauen mit Kindern - das Jüngste ist neun Monate, die älteste Seniorin 80 Jahre alt - in Dresden an. Inzwischen leben 36 Erwachsene und Kinder im Ex-Hotel. "Wir haben unser großes Netzwerk aus Familie, Freunden und Bekannten aktiviert und bekommen viel Unterstützung", erzählt Katrin Kerber. Doch nach fast drei Wochen wünschen sich die Helfer Unterstützung von der Verwaltung.

"Sowie die Menschen hier ankamen, haben sie ihre Meldung zur Registrierung im Internet gemacht", schildert Katrin Kerber. Doch bis zum heutigen Tag habe keiner der Neuankömmlinge eine Rückmeldung, geschweige denn das nötige Papier erhalten, das zur Beantragung der Sozialleistungen taugt und die medizinische Versorgung absichert.

Seit Kriegsbeginn vor fast vier Wochen sind in der Landeshauptstadt fast 3.500 Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen worden - mehr als die Hälfte in privaten Unterkünften wie der Villa Loschwitz. Laut Stadtverwaltung kämpfen die zuständigen Mitarbeiter aktuell mit etwa 1.000 Anträgen auf Registrierung, die noch bearbeitet, beziehungsweise deren Bescheinigungen versendet werden müssen.

Nachwuchs im April

Katrin Kerber übt sich in Geduld. "Ich will der Stadt keinen Vorwurf machen, es gibt extrem viel zu tun", sagt sie. Doch die Menschen unter ihrem Dach müssen essen, brauchen Hygieneartikel, duschen, kochen - und haben bisher kaum eigene Mittel dafür. "Ich rede überhaupt nicht von Miete. Doch allein die Betriebskosten werden deutlich höher ausfallen, als wir das vom früheren Hotelbetrieb kennen."

Den tagtäglichen Bedarf haben Katrin und Bernd Kerber gut im Griff. "Ich poste morgens in unsere riesige WhatsApp-Gruppe die Einkaufsliste des Tages und rechtzeitig stehen Helfer mit Tüten und Kisten vor der Tür", freut sie sich. Ob Kinderbett oder Babywagen, alles ließ sich über Freunde und Freundesfreunde klären. Die enorme Hilfsbereitschaft der Dresdner berührt Katrin Kerber tief. Ihren eigenen Einsatz, der acht Uhr beginnt und kaum vor 23 Uhr endet, ist nur so zu verkraften.

Bei aller Unterstützung - das Leben in der Villa muss auf unbestimmte Zeit weiter funktionieren. Spätestens Ende Mai wird die kleine ukrainische Privatgemeinde Zuwachs bekommen. Katrin Kerber ist schon ein bisschen aufgeregt: "Eine der Frauen ist schwanger und wird ihr Baby bald bekommen."

Mit Sachspenden sind die Geflüchteten in der Villa Loschwitz im Moment gut ausgestattet. Doch Geld hilft wirtschaften. Spender schreiben bitte an [email protected]. Spendenquittungen werden ausgestellt.