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Wenn sich alles dreht

Bei einer Neuritis vestibularis ist das Gleichgewichtsorgan im Innenohr geschädigt. Eine Übung hilft, die Symptome in den Griff zu bekommen.

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Wenn sich schlagartig alles um einen dreht, kann dahinter auch ein entzündeter Nerv im Innenohr stecken.
Wenn sich schlagartig alles um einen dreht, kann dahinter auch ein entzündeter Nerv im Innenohr stecken. © Christin Klose/dpa-tmn

Bei einer Neuritis vestibularis ist das Gleichgewichtsorgan im Innenohr durch einen entzündeten Nerv gestört oder fällt aus. Die Symptome: plötzlicher Drehschwindel, Übelkeit, Erbrechen. Was es dann braucht, ist viel Übung.

Alles dreht sich rasend schnell. Wo oben und unten ist? Nicht mehr zu erkennen. Die Beine versagen, Übelkeit steigt auf. So beschreiben Menschen den Schwindel, der sie meist von jetzt auf gleich überfällt und in Panik versetzt.

Es ist das typische Symptom einer Neuritis vestibularis, auch bekannt unter den Begriffen Neuropathia vestibularis oder einseitige Vestibulopathie. Viele Namen für eine Erkrankung, bei der das Gleichgewichtsorgan - das Vestibularorgan - auf einer Seite oder beiden Seiten gestört ist oder ausfällt.

Das Vestibularorgan sitzt im Innenohr beider Ohren und liefert ebenso wie die Augen und das propriozeptive System Informationen an das Gehirn. Das errechnet daraus blitzschnell, wie wir uns in unserer Umgebung orientieren. Bekommt das Gehirn nur noch von einer Seite Futter, gerät das System durcheinander.

Prof. Dr. Frank Schmäl ist HNO-Arzt und Schwindelexperte am Zentrum für HNO-Heilkunde Greven bei Münster. 
Prof. Dr. Frank Schmäl ist HNO-Arzt und Schwindelexperte am Zentrum für HNO-Heilkunde Greven bei Münster.  © Wilfried Gerharz/Frank Schmäl/dpa-tmn

Wer einen Drehschwindel erlebt hat, sollte sich untersuchen lassen. Zunächst gilt es einen Schlaganfall ausschließen. Steckt tatsächlich eine Störung des Gleichgewichtsorgans dahinter, bekommt der Patient zunächst ein Cortisonpräparat. "Der Gleichgewichtsnerv ist durch den Virusinfekt angeschwollen. Das Cortison lässt ihn abschwellen", erklärt Prof. Frank Schmäl von der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie. Die Dosis wird nach und nach herabgesetzt.

Auch Vomex, ein Mittel gegen Übelkeit und Erbrechen, können Betroffene einnehmen, jedoch nicht länger als 48 Stunden. Solche Medikamente sedieren und dämpfen die Symptome. Das Gehirn braucht aber genau das Gegenteil. "Es muss merken, dass es falsche Signale bekommt, um dann gegenzusteuern", erläutert Leif Erik Walther vom Deutschen Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte.

Das funktioniert nach und nach, kommt aber umso besser voran, je schneller Physiotherapeuten mit dem Betroffenen das Gleichgewichtssystem trainieren. Das geht zum Beispiel im Stehen auf einem flachen Schaumstoffkissen - mal die Füße zusammen, mal voreinander. Dabei kommt es anfangs wieder zu Drehschwindel, zu Übelkeit und Angst. Betroffene müssen das aushalten, auch wenn sie sich eigentlich am liebsten ins Bett legen wollen. Das Gehirn lernt in Bewegung schneller, dass etwas nicht stimmt - und kompensiert den Ausfall.

Prof. Dr. Leif Erik Walther ist HNO-Arzt und Schwindelexperte in Sulzbach sowie Experte des Deutschen Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohrenärzte. 
Prof. Dr. Leif Erik Walther ist HNO-Arzt und Schwindelexperte in Sulzbach sowie Experte des Deutschen Berufsverbands der Hals-Nasen-Ohrenärzte.  © Deutscher Berufsverband der HNO-Ärzte/Leif Erik Wa

Einige Krankengymnasten sind spezialisiert auf die Behandlung von Schwindel. Zu ihnen gehört Ann Kathrin Saul vom Deutschen Verband für Physiotherapie (ZVK). "Wir trainieren auch die anderen Sinnesorgane wie Augen und Tiefenwahrnehmung", sagt sie. "Nach drei bis vier Wochen kommen Patienten wieder recht gut durch ihren Alltag", ist Sauls Erfahrung. Voraussetzung ist, dass sie jeden Tag auch zu Hause üben.

Etwa drei Monate braucht es, bis das Gehirn den Ausfall im Gleichgewichtsorgan kompensiert hat, sagt Schmäl. Bei der Hälfte der Patienten erholt sich das Gleichgewichtsorgan im Laufe der Zeit komplett. Bei der anderen bleibt der Ausfall, das Gehirn kompensiert ihn aber. So oder so lautet die gute Nachricht für Betroffene: Mit genügend Training bekommt man einen Drehschwindel in der Regel in den Griff. (dpa/tmn)