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Wie der "Scully-Effekt" helfen soll

Warum Frauen naturwissenschaftliche und technische Fächer meiden, liegt vor allem an den Stereotypen in der Gesellschaft. Wie lassen die sich durchbrechen?

Von Nora Miethke
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David Duchovny als FBI-Agent Fox Mulder und Gillian Anderson als seine Kollegin Dana Scully in der amerikanischen TV-Serie "Akte X".
David Duchovny als FBI-Agent Fox Mulder und Gillian Anderson als seine Kollegin Dana Scully in der amerikanischen TV-Serie "Akte X". © dpa

Als sich Juli an der Technischen Universität für Elektrotechnik einschreibt, macht ihr schnöseliger Freund Toss, der Diplomat werden will, Schluss mit ihr. „Überleg doch mal, ich hier mit Schlips und Sekt und du da in deinem Blaumann mit Bier“, erklärt er ihr über Facetime. Das passe halt nicht mehr so. Juli ist am Boden zerstört, da hört sie im Hörsaal die blonde, gutaussehende Professorin für Regelungstechnik sagen: „Denken Sie dran: Die Summe aller Probleme bleibt zwar konstant - aber die Anzahl der Lösungswege geht gegen unendlich“. Und Juli hat eine Idee, wie sie sich an Tossi rächen kann.

Die Szene stammt aus der Webserie „Technically Single“, die seit vergangenem Oktober bei Sixx und Maxdome online verfügbar ist. Es ist wohl die momentan unterhaltsamste Art, um junge Frauen für MINT-Studienfächer zu begeistern, also für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.

Denn die größten Lücken auf dem deutschen Arbeitsmarkt liegen genau in diesen Fachrichtungen. Laut dem arbeitgebernahen Institut für Wirtschaftsforschung waren Ende 2018 rund eine halbe Million MINT-Stellen unbesetzt. Seit Jahren bemühen sich zahllose Initiativen darum, Mädchen und jungen Frauen die lukrativen Seiten von Informatik- und Technikberufen attraktiv zu machen. Mit bescheidenem Erfolg. Im Wintersemester 2017/2018 waren an allen sächsischen Hochschulen insgesamt 1 584 Studierende im ersten Semester Informatik eingeschrieben, nur jede fünfte war weiblich. Der Frauenanteil lag bei 22,7 Prozent. Bei den Informatikabsolventen im gleichen Semester fiel der Frauenanteil sogar auf 13 Prozent. Deutschlandweit betrug der Anteil der Informatikabsolventinnen 19,5 Prozent. Insgesamt waren im vergangenen Jahr in Sachsen 28 Prozent der Studienanfänger in einem MINT-Fach weiblich. Damit liegt der Freistaat nach den Zahlen des Kompetenzzentrums Technik-Diversity-Chancengleichheit e.V. im Vergleich aller Bundesländer auf dem letzten Platz.

Trotz der bescheidenen Erfolge legt Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) jetzt sogar einen ganzen MINT-Aktionsplan auf. 55 Millionen Euro stehen bis zum Jahr 2022 bereit, um bei Schülern und Schülerinnen das Interesse zu wecken. Die zusätzlichen Millionen sollen größtenteils in einen Wettbewerb fließen, bei dem bundesweit 30 bis 40 Netzwerke gefördert werden, in denen sich regionale MINT-Akteure zusammenschließen und dauerhaft, betreute Angebote entwickeln. Auch ist vorgesehen, Forschungsprojekte zu fördern, die herausfinden, was eigentlich die richtige MINT-Bildung ist. Pisa-Tests hatten im Jahr 2015 gezeigt, dass selbst die in Mathe und Physik leistungsstärksten Mädchen ein geringes Selbstvertrauen haben entgegen ihrer tatsächlichen Fähigkeiten. Infolge dessen wählen auch sie später selten Informatik oder Elektrotechnik als Studienfach.

Den Grund für dieses geringe Selbstvertrauen sehen viele MINT-Promoter in Stereotypen und unbewussten Vorurteilen, die durch Medien, Erziehung und Bildung geprägt werden. Die daraus resultierenden sozialen Normen bleiben unverändert, trotz aller Bewusstseinsmaßnahmen, die in den vergangenen Jahren angestoßen worden sind. Es ist eine ganze Branche rund um Diversity-Beratungsangebote entstanden. Wie man diese Stereotype durchbrechen kann - dazu gab es im vergangenen Dezember eine große Konferenz an der TU München mit fast 1.000 Teilnehmern und Teilnehmerinnen.

„Es gibt keine Theorie oder Praxis, wie man Vorurteile verändern kann. Verpflichtende Trainings könnten zu Widerstand und Ärger führen“, warnte dort etwa Professorin Prisca Brosi von der Kühne Logistics University in Hamburg. „Über Stereotype sprechen, könnte diese verfestigen“, so Brosi.

Aber wie treten diese Stereotype überhaupt auf? Das wurde auf der Tagung analysiert. Im Klassenzimmer spielten sie im unterschiedlichen Selbstbewusstsein von Jungen und Mädchen eine Rolle, hieß es. Laut Studien halten sich 51 Prozent der Jungen für klug, aber nur 34 Prozent der Mädchen. Durch Bücher und Filme lernten kleine Mädchen schon in Märchen, dass die Prinzen mutig und tapfer sind, die Prinzessinnen eher passiv im Dornröschenschlaf verharren. In Teenager-Serien komme es dann bei den Mädchen vor allem auf den Körper an und bei den Jungen auf den Erfindergeist. Geschlechterstereotype in der digitalen Wirtschaft äußerten sich darin, dass es einen Unterschied mache, ob eine Geschäftsidee von einer Frau geäußert wird oder von einem Mann. Businesspläne von Gründerinnen werden anders beurteilt, sie bekommen andere Fragen gestellt als männliche Gründer und viel seltener eine Finanzierung bewilligt.

Um das zu ändern, braucht es mehr weibliche Vorbilder und die müssen sichtbar werden im Klassenzimmer, auf dem Fernsehbildschirm, im Hörsaal und in den Entwicklungslaboren der Unternehmen. So verspricht sich etwa Heinz-Peter Meidinger, Präsident des Deutschen Lehrerverbandes, nach eigenen Worten „viel von der Vorbildfunktion von Lehrerinnen für Mathe und Physik, die immer mehr werden.“ Das Selbstbewusstsein der Mädchen könnte in den Schulen gestärkt werden durch besseres Feedbacks auf Leistungen, in dem nicht immer die gleichen Schüler rangenommen werden und etwa vor Mathetests betont wird, dass diese Tests schon in anderen Klassen geschrieben wurden, ohne das Leistungsunterschiede zwischen Jungen und Mädchen auffielen. Untersuchungen haben ergeben, dass Mädchen bei dieser Ansage bessere Noten schreiben.

Unternehmen sollten bei der Mitarbeiterwerbung darauf achten, bei der Erklärung ihrer Produkte nicht die Technik in den Vordergrund zu stellen , sondern wie die Anwendungen dazu beitragen, die Welt gerechter, gesünder, nachhaltiger zu machen. „Und für MINT-Frauen ist auch das Arbeitsumfeld wichtig. Besser an die Laborwände Naturposter kleben und keine von Star Wars“, lautete ein weiterer Ratschlag einer Forscherin.

Und die Medien sollten noch stärker auf den Scully-Effekt setzen. Dana Scully ist Agentin und Forensikerin in der TV-Serie „Akte X - Die unheimlichen Fälle des FBI“, die in den neunziger Jahren im deutschen Fernsehen lief. Ihre Figur, gespielt von Gillian Anderson, zeigte, dass nicht nur weiße Männer im Laborkittel coole Wissenschaftler sein müssen. Sie motivierte dadurch viele Frauen in den USA, vermehrt MINT-Fächer zu studieren und entsprechende Berufe zu ergreifen, wie das Geena-Davis-Institut für Geschlechterfragen in Medien herausfand. Und auf diesen Scully-Effekt in ihren Hörsälen hofft nun auch die TU München mit ihrer Webserie „Technically single“.