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Wie die Scholle nach Sachsen kommt

Ein Besuch bei Fischsommelier Tino Kaden in Marienberg, der erklärt, warum die Scholle jetzt im Mai ein besonderer Genuss ist und wie man sie zubereitet.

Von Susanne Plecher
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Schollen sind so platt wie Flundern, haben aber eine ganz glatte Haut. Die älteste, die bisher gefangen wurde, soll 50 Jahre gewesen sein. Seemannslatein? Fischsommelier Tino Kaden aus Marienberg ist das egal. Hauptsache, die Schollen sind frisch und zart
Schollen sind so platt wie Flundern, haben aber eine ganz glatte Haut. Die älteste, die bisher gefangen wurde, soll 50 Jahre gewesen sein. Seemannslatein? Fischsommelier Tino Kaden aus Marienberg ist das egal. Hauptsache, die Schollen sind frisch und zart © Ronald Bonß

Es ist ein bisschen wie Urlaub, wenn man in Tino Kadens Laden tritt. Ein mannshoher Leuchtturm steht da, eine Möwe beäugt aus Plastikaugen skeptisch die Kunden, ein Wandbild kombiniert Sehnsuchtsorte der Sachsen neu: die Mole in Warnemünde und die Hafeneinfahrt von Sassnitz vor den Rügener Kreidefelsen. Stimmungsvoller Ostsee-Nippes mitten im Erzgebirge.

Seit fünf Generationen verkauft die Familie von Tino Kaden Fisch- und Gemüsewaren in Marienberg. Der Laden in der Wolkensteiner Straße ist eines der wenigen inhabergeführten Fischgeschäfte, die es in Sachsen noch gibt – so wie Krönert in Eppendorf, Schaarschmidt in Freiberg oder Scheibner in Werdau zum Beispiel. „Der meiste Frischfisch wird jetzt in Super- oder Großmärkten verkauft“, sagt Kaden, der Fischsommelier ist. In Sachsen kann neben ihm nur noch Sandro Dietrich im Selgros in Dresden diese Kenner- und Feinschmeckerqualifikation vorweisen. Beide haben die Fortbildung mit IHK-Abschluss bei Transgourmet gemacht, der Fischsommelierschmiede in Bremerhaven.

In Kadens Frischfischauslage liegt heute ein großer Seeteufel auf Eis. Die spitzen Zähne drohen noch immer im breiten Maul. Die irischen Austern daneben sehen dagegen regelrecht harmlos aus. Saiblinge und Forellen, bodenständig wie Graubrot, stammen aus regionaler Zucht. Die knallbunten Papageienfische aus Sri Lanka, die normalerweise für Exotik sorgen, fehlen diesmal. „In dieser Woche waren keine zu bekommen“, sagt der 47-Jährige und hebt entschuldigend die Arme. Denn die Barschverwandten seien gegrillt unschlagbar. Dafür gibt es jetzt Schollen. Braun glänzt ihre glatte Haut im Kunstlicht des Ladens. Immerhin haben sie sich mit orangen Flecken geschmückt. „Die dienen der Tarnung auf dem Meeresboden, wo die Schollen Muscheln, Krabben und kleine Fische fangen.“

Im Mai besonders zart, weiß und fettarm

Der Mai ist traditionell Schollenzeit. „Jetzt schmeckt die Scholle einfach am besten“, sagt Matthias Scheibner, der seit 1976 den Fischladen in Werdau leitet – erst als HO-Angestellter, nach der Wende als Eigentümer. „Dabei ist der Name ein Kunstprodukt.“ Eine eigenständige Rasse sei der Fisch nicht. „Aber im Mai ist er in einem besonders guten Ernährungszustand“ – für den Mensch, nicht für den Fisch. Sein Fleisch ist jetzt zart, weiß und fettarm. Und das hat seinen Grund. Die Schollen haben eine anstrengende Zeit hinter sich, die ihnen die Fettreserven gekostet hat und sie träge macht. Sie lassen sich leichter fangen.

Die Plattfische laichen im Winter. Dafür schwimmen sie zur Doggerbank, einer großen, etwa 350 Kilometer langen Sandbank in der Nordsee. Sie liegt auf Höhe von Mittelengland Richtung Jütland. Stellenweise ist sie nur 13 Meter tief und zieht damit viele Arten an. Dorsche leben hier, Seezungen und Sandaale. Sie sind Leckerbissen für Räuber wie Seevögel, Meeressäuger – und Menschen auf Fischtrawlern.

Die Schollen auf Kadens Eis sind Dänen ins Schleppnetz gegangen. Auf der Fischauktion in Bremerhaven wurden sie versteigert, im Frischdienst-Lkw der Logistiker von Dachser über Bremen und Hannover nach Radeburg gebracht und dort in einen kleinen Transporter umgeladen. Zwölf Stunden, nachdem sie in Bremerhaven auf die Reise gingen, hat Kaden sie ausgepackt. Der Transport sei organisiert wie Linienverkehr. Noch frischer ginge es nur per Luftfracht, zum Beispiel aus Island via Frankfurt und dann per Sprinter auf die Theke, sagt Scheibner.

Die Nachfrage steigt

Als Baby schwimmt die Scholle wie die meisten anderen Fische aufrecht. Sie sieht auch aus wie ein normaler Fisch: Ein Auge links, eins rechts, die Mittelgräte ragt nach oben. Aber dann kommt die Metamorphose, und aus der symmetrischen Larve wird ein platter Fisch. Das linke Auge – und das ist jetzt wichtig, denn es macht den Unterschied zu den Buttfischen – wandert über die obere Körperhälfte nach rechts und der Fisch wendet seine linke Körperseite dem Boden zu. Rechtsäugig sagen Fachleute dazu. Während das eine Auge nach vorn schaut, kann das andere nach hinten blicken. So was wollen Prüfer von einem angehenden Fischsommelier wissen.

Den meisten Kunden ist es wurscht, wo der Fisch die Augen hat. Hauptsache, das Tier schmeckt. „Die Nachfrage ist höher als in anderen Jahren – warum auch immer“, sagt Jetta Pauli vom Fischgeschäft Krönert in Eppendorf. „Die Leute kochen wieder mehr zu Hause. Das merken wir“, liefert Scheibner eine Erklärung. Auch bei Tino Kaden geht die Ladentür immer wieder auf und zu. 100 bis 150 Kunden holen sich bei ihm täglich ihren Fisch: Karpfen, Rotbarsch, Schillerlocke aus dem Räucherofen. Oder sie kommen zum Mittagstisch, der momentan nur abgepackt ausgereicht wird. Viele mögen die hausgemachten Salate, die jeden Morgen ohne Konservierungsstoffe zubereitet werden. Der Kundenliebling, marinierter Heringssalat, basiert auf einem alten Familienrezept. Kadens Uropa Alfred Schlosser hat den Fisch schon in den 1950er-Jahren ähnlich zubereitet. Matjes wird mit Zwiebel, saurer Gurke und dünnen Apfelschnitzen in ein wenig Mayonnaise und viel Buttermilch eingelegt. Die macht den Fisch noch mürber und zarter.

Gebraten oder gedünstet

Isst der Kenner irgendwo anders Fisch? „Nein.“ Warum? „Die meisten Gastronomen arbeiten mit Frostfisch. Das muss ich nicht haben.“ Warum? „Der Biss ist fester, die Textur des Fleisches fasriger. Und ich bilde mir ein, dass mit dem Tauwasser auch Inhaltsstoffe weggekippt werden.“ Kann sein.

Ein Kilo frische Scholle kostet aktuell zwischen 10 und 14 Euro, je nach Verarbeitungszustand. Küchenfertig ist sie teurer als mit Innereien und Kopf. „Am meisten kostet sie, wenn wir sie filetieren“, sagt Jetta Pauli. Man muss wissen, dass die Fleischausbeute bei einem guten Exemplar gerade einmal 50 Prozent beträgt. Für einen Erwachsenen sollte mindestens ein 400 Gramm schwerer Fisch eingeplant werden.

Meist werden Schollen gesalzen, mehliert und in Butterschmalz und Speck gebraten – Scholle Finkenwerder Art – oder im Gemüsefonds gedünstet. „Mir persönlich schmecken sie im Juni noch besser, weil sie dann schon wieder ein bisschen Fett angesetzt haben“, gesteht Sommelier Kaden. Sonderlich viel von dem Geschmacksträger hat die Maischolle tatsächlich nicht zu bieten: Jetzt, so kurz nach dem Ablaichen, enthalten 100 Gramm Fisch nicht mal ein Gramm Fett, dafür 17,2 Gramm leicht verdauliches Eiweiß. Für Kalorienzähler: Gedünstet sind das etwa 83 Kilokalorien.

Heute hat Kaden Verstärkung von seiner Mutter. Die 73-Jährige begrüßt fast jeden Kunden mit Namen. Wieder ein Becher Matjessalat, Herr Schmidt? Ein Stück Heilbutt, Frau Krüger? Vielen Dank und grüßen Sie die Mutti!

Rezept: Schollenfiletröllchen mit frischem Spargel

Vorher.
Vorher. © Ronald Bonß
Nachher
Nachher © Ronald Bonß

Noch blüht im Erzgebirge der Löwenzahn. Tino Kaden verwendet die gelben Blütenkörbchen für eine Wildkräuterbutter, mit der er die Schollenfilets einstreicht.

Zutaten für vier Personen: Zwölf Stangen Spargel, ein Bund Petersilie, ein Bund frische Wildkräuter (z. B. Löwenzahnblüten oder -blätter, Giersch, Gänseblümchen, Spitzwegerich), acht Schollenfilets ohne Haut (à ca. 100 Gramm), Saft einer halben Zitrone, Meersalz, bunter Pfeffer aus der Mühle, ein Teelöffel Zucker, drei Esslöffel Butter, 80 ml Grauburgunder, 150 Gramm Crème fraîche, 500 ml Wasser, 50 ml Schlagsahne

Zubereitung:

  • 1. Den Spargel waschen und schälen. Petersilie grob, den Rest der Kräuter fein hacken.

  • 2. Die Kräuter unter zwei Esslöffel Butter mengen und mit Salz und Pfeffer abschmecken.

  • 3. Filets vorsichtig waschen und trocken tupfen. Mit Zitronensaft beträufeln, würzen. Glatte Hautseite leicht mit Kräuterbutter bestreichen. Die Filets mit der bestrichenen Seite nach innen einrollen, mit Holzstäbchen feststecken.

  • 4. Die restliche Butter in einer Pfanne erhitzen. Spargel, Wein, Wasser, je eine Prise Salz und Zucker dazugeben. Die Röllchen darauf setzen und zehn Minuten zugedeckt garen.

  • 5. Fisch und Spargel herausheben, die Soße mit Sahne und Crème fraîche vermengen. Röllchen mit Spargel und Soße anrichten und mit Petersilie garnieren. Dazu passen Salzkartoffeln.