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Wilsdruff: Die Riesenantenne ist auferstanden

Ein Modellbauer aus Herzogswalde hat den Wilsdruffer Sendemast nachgebaut. Zweimal hat er ihn ausgestellt - zuletzt mit großem Erfolg.

Von Maik Brückner
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Jörg Schlegel hat die bekannte Riesenantenne in seiner Herzogswalder Werkstatt als Modell im Maßstab 1:120 nachgebaut.
Jörg Schlegel hat die bekannte Riesenantenne in seiner Herzogswalder Werkstatt als Modell im Maßstab 1:120 nachgebaut. © Daniel Schäfer

Wie sich die Zeiten ändern. Als Jörg Schlegel 2018 sein Modell von der Wilsdruffer Riesenantenne auf der großen Eisenbahnplatte im Freitaler Museum Schloss Burgk aufgebaut hatte, nahmen es nur wenige wahr. Die meisten schauten auf die Eisenbahnen, nicht auf den Turm. In diesem Jahr war das anders.

Kein Wunder. Am 1. August 2021 wurde das Original zum Bedauern vieler Wilsdruffer gesprengt. Der Bleistift, wie ihn viele liebevoll genannt haben, ist Geschichte. Was bleibt sind Erinnerungen und Fotos. Und ein Modell, das nun viel Aufmerksamkeit bekommen hat. Eine späte Genugtuung für den Erbauer? Vielleicht.

Jörg Schlegel weiß, dass er etwas Einmaliges geschaffen hat. Den Plan, den Turm nachzubauen, hatte er schon lange. "Der Abriss war da noch nicht spruchreif." 2017 hatte er nach einer Operation Zeit zur Erholung. Gern hätte er sich das Original aus der Nähe angeschaut. Doch das ging nicht. Der Mast stand auf Privatland und war eingezäunt. Jörg Schlegel fotografierte ihn von einer Anhöhe aus mit einem Teleobjektiv. Von diesem Spaziergang ist der gebürtige Tharandter heute noch begeistert. "Ich war beeindruckt. Das war wie eine abgeschlossene Welt."

Das Vorbild für Jörg Schlegels Modell: Der 153 Meter hohe Wilsdruffer Sendemast, der am 1. August 2021 gesprengt wurde.
Das Vorbild für Jörg Schlegels Modell: Der 153 Meter hohe Wilsdruffer Sendemast, der am 1. August 2021 gesprengt wurde. © privat

Die dort gemachten Fotos halfen ihm weiter. Denn das einzige Maß, das bekannt war, war die Masthöhe, 153 Meter. Mit dieser und mithilfe der Aufnahmen errechnet er die anderen Maße. Skizziert hat er das Modell auf Millimeterpapier. Dazu hat er mehrere Blätter zusammengeklebt. So entstand der Mast zunächst auf dem Papier. Dass daraus ein Modell werden konnte, hat mit seiner Biografie zu tun. Denn beim Modellbau braucht man nicht nur ruhige Hände und Geduld, sondern auch ein paar Fertigkeiten.

"Ich bin gelernter Baumaschinist", sagt er. In der Grundausbildung Metallbearbeitung hat er Sägen, Bohren und Feilen von der Picke auf gelernt. "Das war ein guter Start ins Leben." Nach der Armee hat er nur kurz im Beruf gearbeitet. "Es hat mir keinen Spaß gemacht." Er hat sich als Hausmeister in der Erweiterten Oberschule in Freital beworben und wurde genommen. "Ich war über zwei Jahre auf der EOS, habe aber kein Abitur bekommen", sagt er und lacht. 1988 hat er dann kurz als Heizer gearbeitet. Doch das Arbeiten im Dreischichtsystem sagte ihm nicht zu. Nach vier Monaten war Schluss.

Sabine Neumann und Jörg Schlegel beim Fototermin im Schloss Burgk in Freital. Ausgestellt wurde der Turm im Rahmen der Weihnachtsausstellung.
Sabine Neumann und Jörg Schlegel beim Fototermin im Schloss Burgk in Freital. Ausgestellt wurde der Turm im Rahmen der Weihnachtsausstellung. © Sabine Neumann

Ein guter Freund riet ihm, sich im Haus der Heimat auf Schloss Burgk um den Posten des Hausmeisters zu bewerben. Das tat er. Seit dem 1. Juni 1989 steht er im Dienste dieser Sammlung – und ist weitaus mehr als ein Hausmeister. "Ich habe das Museum mit aufgebaut." Damals gab es nur drei Räume im Ostflügel. Jetzt ist es eine ansehnliche Sammlung. "Meine Vielseitigkeit kam mir dort sehr zugute." Ginge es nach ihm, würde er gern bis zur Rente weiter dort arbeiten, sagt der 57-Jährige. Schließlich kann er dort auch seine Modelle zeigen.

Zum Modellbau selbst ist er eher zufällig gekommen. "Ich habe viele Dinge ausprobiert." Seit frühster Jugend fährt er gern Motorrad. "Und dann habe ich mitbekommen, dass es auch Motorradmodelle gibt." 1992 hat er sich seinen ersten Modellbausatz gekauft.

Inzwischen hat er eine große Sammlung. Später möchte er selbst Motorradmodelle bauen. Auf anderen Gebieten hat er sich schon verwirklicht. Er hat ein Kaufhaus in Miniatur und knapp 30 Bahnhöfe des ehemaligen Wilsdruffer Schmalspurnetzes im H0-Maßstab 1:87 nachgebaut. Auch das inzwischen abgerissene Tharandter Stellwerk steht als Modell in seiner Werkstatt, die er sich in seinem Wohnhaus in Herzogswalde eingerichtet hat. Dort ist auch das Modell des Sendemastes entstanden.

Auf dem Antennenhaus stand der Sendemast drauf. Die Antenne wurde am 1. August 2021 gesprengt.
Auf dem Antennenhaus stand der Sendemast drauf. Die Antenne wurde am 1. August 2021 gesprengt. © Daniel Schäfer

Mit dem Nachbau im TT-Maßstab 1:120 begann er 2018. Der 153 Meter hohe Turm, der am leichtesten nachzubauen war, ist bei ihm 1,275 Meter lang. Mehr war in seiner kleinen Werkstatt nicht möglich, sagt er und zeigt auf die niedrige Decke.

Viel schwieriger war das Antennenhaus nachzuempfinden. Der Rundbau hat eine Tür, Lüftungsöffnungen, ein Blechdach mit Stegen, eine Dachrinne und einen Ringblitzableiter. Die Logik dahinter hat er sich selbst erschlossen. "Ich habe einen Kumpel beim Oldtimer-Stammtisch, der mir manches erklärt hat." Dann ging's ans Bauen.

Grundlage für das Antennenhaus war ein Holzkörper, den er mit Kunststoffplatten aus Styrol beklebt hat. "Dieses Material lässt sich gut bearbeiten." Auch die Dachstege fertigte er aus diesem Kunststoff an. Knifflig war es, das feingliedrige Netz der Blitzableiter anzubringen. Kleben ging nicht, Anlöten auch nicht. Der Kunststoff würde schmelzen. "Ich habe einen unsichtbaren Nähfaden verwendet. Das war eine Friemelei".

Eine Herausforderung war es, das Antennenhaus nachzubauen, auf dem die Antenne stand.
Eine Herausforderung war es, das Antennenhaus nachzubauen, auf dem die Antenne stand. © SZ/Maik Brückner

Nicht weniger kompliziert war es, die Abspannseile realistisch darzustellen. Denn die Stahlseile wurden von mehreren Isolatoren unterbrochen. Schlegel hat probiert, diese auch nachzubauen. Doch hier kapitulierte er.

"Die sind hoch filigran." Sein Bruder, ein Maschinenbauingenieur, half. Er schrieb ihm ein Programm für einen 3D-Drucker. Schlegel fand im Internet eine Firma, die ihm zu einem vertretbaren Preis diese Isolatoren drucken konnte. Er war begeistert, musste aber feststellen, dass er nicht 50, sondern 53 Miniisolatoren brauchte. Nachbestellen wollte er nicht. "Deshalb habe ich beim Modell ein bisschen geschummelt", gesteht er.

Am Nachbau dieser Isolatoren ist Jörg Schlegel gescheitert. Sein Bruder, ein Maschinenbauingenieur schrieb ein Programm für einen 3D-Druck. Das half dem Herzogswalder weiter.
Am Nachbau dieser Isolatoren ist Jörg Schlegel gescheitert. Sein Bruder, ein Maschinenbauingenieur schrieb ein Programm für einen 3D-Druck. Das half dem Herzogswalder weiter. © SZ/Maik Brückner

Die Stunden, die er mit dem Modell zubrachte, hat er nicht gezählt. Es waren viele. Zum Vergleich: Für den Nachbau eines Bahnhofs, bei dem er auf Bausätze zurückgreifen kann, braucht er 15 Stunden. "Den Sendemast aber habe ich aus dem Nichts geschaffen." Offen lässt er, ob er auch das zur Antenne gehörige Funkamt nachbauen würde. "Dazu bräuchte ich die Maße." Nun ja und Zeit. Und die ist auch bei ihm kostbar.

Bisher hat Jörg Schlegel seine Mini-Riesenantenne zweimal gezeigt. Vor allem beim letzten Mal erhielt er viel Lob, so von Wolfgang Lill, der ihn und sein Modell auf der Internetplattform radiomuseum.org vorstellte und von Sabine Neumann vom Förderverein Funkturm Wilsdruff, der in Wilsdruff einen Gedenkort für den Sendemast schaffen möchte. Sie sei überrascht gewesen, als sie vom Funkturm-Modell gehört habe, sagt sie. "Als ich es mir angeschaut habe, war ich fasziniert, wie detailgetreu Herr Schlegel den ‚Bleistift‘ nachgebaut hat. Man sollte ihn dauerhaft irgendwo ausstellen." Doch das ist zurzeit nicht geplant. Der Turm liegt gut verpackt in Schlegels Werkstatt.

In dieser Kiste lagert Jörg Schlegel das Modell der bekannten Wilsdruffer Riesenantenne.
In dieser Kiste lagert Jörg Schlegel das Modell der bekannten Wilsdruffer Riesenantenne. © Daniel Schäfer

Bei nächster Gelegenheit möchte Jörg Schlegel ihn wieder zeigen. Möglich wäre das in Wilsdruff, zum Beispiel im historischen Lokschuppen, im Heimatmuseum oder zur nächsten Ausstellung der Modellbauer im Kleinbahnhof. Schlegel ist für Ideen offen. Nur draußen möchte er ihn nicht aufstellen. Wind und Wetter würden dem Turm schaden. Es wäre schade, wenn auch dieser Turm fallen würde.