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„Wir haben mit der Mafia gesprochen“

Zwei Firmenmanager reisten für Unister-Chef Thomas Wagner zum Treffen mit einem vermeintlichen Investor nach Hannover. Was sie da erlebten, machte sie sprachlos.

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© dpa

Ulrich Wolf, Leipzig

Leipzig. Im Prozess um den Millionenbetrug gegen Unister-Gründer Thomas Wagner in Venedig zieht sich die Schlinge um den angeklagten Vermittler des Deals, Wilfried Schwätter (69), weiter zu. Zwei frühere Unister-Manager haben ihn am zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht Leipzig schwer belastet. Einer von ihnen ist der Investmentbanker und Unternehmensberater Roland Sand. Für die Generalstaatsanwaltschaft Dresden entpuppt er sich am Mittwoch vor dem Landgericht Leipzig als Traumzeuge.

Top vorbereitet, strukturiert in seinen Aussagen, bekleidet mit einem dunklen Anzug, erzählt der 51-Jährige von seiner Zusammenkunft mit Schwätter Ende Juni 2016 in Hannover. Wagner habe ihn als Aufsichtsratsvorsitzenden der Unister-Firma Capital One AG sowie deren Vorstandschef Marvin Andrä gebeten, dorthin zu fahren. Man sei seinerzeit auf Investorensuche gewesen. In die börsennotierte Capital One sollte die Reisesparte des Konzerns mit Marken wie ab-in-den-urlaub.de übertragen werden, dafür aber benötigte man Kapital. „Wagner erzählte mir von einem Kreditangebot, das ihm von dem ehemaligen Leipziger Banker Karsten Keune zugetragen worden sei“, sagt Sand. „Wir sollten uns das ansehen, Details des Angebots kannten wir zuvor nicht.“

Er, Andrä, Schwätter, Keune und ein Heinz Beck seien in Hannover zugegen gewesen. Man habe sich im Hotel Luisenhof nahe dem Hauptbahnhof getroffen. „Es hat fast nur Schwätter gesprochen.“

Der habe behauptet, den Investor zu kennen, zudem sei bei dem Kreditmodell auch ein Risikoversicherer involviert. „Wir wollten dann wissen, wer die Versicherung ist, da wurde Schwätter fast aggressiv.“ Das werde er nicht sagen, er mache das seit Jahren so, habe der Angeklagte damals geantwortet. „Für mich war relativ schnell klar: Das hier ist keine Geschäftsbasis“, sagt Sand. „Als dann auch noch die Sprache kam auf Bargeld und Schweizer Franken, sind Herr Andrä und ich gegangen.“ Die Visitenkarten von Schwätter, Beck und Keune „haben wir draußen in einen Mülleimer geschmissen.“

Der Ex-Vorstandschef der Capital One, Marvin Andrä, äußert sich ebenso deutlich. „So ein Geschäftsgespräch hatte ich noch nie erlebt“, sagt der 34 Jahre alte Manager. „Das war völlig unseriös.“ Schwätter sei als Vertreter des Investors aufgetreten, „angeblich ein israelischer Diamantenhändler mit Wohnsitz in Italien oder so was“. Das Treffen in Hannover habe maximal eine halbe Stunde gedauert, „das war Zeitverschwendung“. Noch auf der Rückfahrt nach Leipzig sei der Unister-Chef per Mail informiert worden. „Thomas, lass die Finger davon. Sehr suspekt. Wir wissen nicht, was das für Leute sind. Wir glauben, wir haben mit der Mafia gesprochen.“

Offensichtlich war es der ehemalige Leipziger Banker Keune, der Thomas Wagner weiter bearbeitete. Denn in einer vom Vorsitzenden Richter verlesenen Mail an Wagner, verfasst von Keune nur einen Tag nach dem denkwürdigen Treffen in Hannover, beteuert der Banker die Seriosität des Investors. Man halte das Kreditangebot aufrecht, der Deal könne in Mailand oder Venedig über die Bühne gehen. „Auch nach dieser Mail haben wir Thomas Wagner noch einmal absolut davon abgeraten“, sagt Andrä. Wagner habe darauf mit den Worten reagiert: „Mal sehen, ich lass das trotzdem von den Juristen prüfen.“

Ob Wagner das wirklich machte, ist unklar. Trotz der eindringlichen Warnungen ließ er sich auf Schwätter, Keune & Co. ein und reiste Mitte Juli nach Venedig. Dort aber erhielt er statt eines erhofften 15-Millionen-Kredits einen Aktenkoffer mit Falschgeld und büßte dazu noch 1,5 Millionen Euro ein. „Wir haben das erst am Tage seines Todes erfahren, beim Absturz des Flugzeugs über Slowenien“. Mit Wagner starben der ebenfalls in Hannover dabei gewesene Finanzmakler Beck, ein Mitgesellschafter von Unister und der Pilot. Keune war mit dem Auto gereist, Schwätter hatte den Termin in Italien wegen einer angeblichen Krebserkrankung seines Sohnes abgesagt.

Inzwischen steht wohl auf fest, wie Wagner an die dubiosen Hintermänner des Venedig-Deals geraten ist. Darauf lassen weitere Zeugenaussagen schließen. Der frühere Konzernsprecher von Unister, Konstantin Korosides, erzählt, man habe in Leipzig um seine „enge Freundschaft mit Thomas“ gewusst. Zudem sei einem Kreis exponierter Personen bekannt gewesen, dass der seit Dezember 2012 im Fokus staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen stehende Konzern Investoren suche. Der Linken-Politiker Volker Külow habe ihn deshalb angesprochen und den Leipziger Immobilienmogul Oliver Bechstedt ins Spiel gebracht. Ein erstes Treffen mit ihm habe es in dessen Geschäftsvilla im Januar 2016 gegeben. „Da ging es um 50 Millionen Euro, für mich schien das was Substanzielles zu sein.“

Bechstedt bestätigt das vor Gericht. Nach dem Gespräch mit Külow und Korosides habe er Wagner gut vier Wochen später in einem Leipziger Weinrestaurant kennengelernt. „Herr Wagner machte damals keineswegs einen verzweifelten Eindruck auf mich. Es ging um Expansion“, sagt der 54-Jährige. Der Unister-Chef habe ihn um Kontakte zu Investoren gebeten. Dem sei er nachgegangen und habe Wagners Wunsch hinterlegt bei einer Fondsgesellschaft in Peking, bei Diners-Club-Chef Anthony Helbling in Zürich, bei einem Mittelsmann von ProSieben und bei Karsten Keune. Mit dem Leipziger Ex-Banker sei er seit Jahren befreundet. In einer Mail vom März 2016 teilt Keune Bechstedt mit, er habe von Wagner das Mandat zur Investorenvermittlung erhalten und werden zwei Prozent von der Investitionssumme als Provision erhalten. „Liebe Grüße, Karsten.“

Korosides beteuert, von Keune bis zum Flugzeugabsturz nie was gehört zu haben. Zwar habe ihn ein Vertrauter von Wagners ehemaligem Finanzchef zehn Tage vor der Reise nach Italien vor dem Deal in Venedig gewarnt, „aber mir kam das alles abstrus und blöd vor“. Allerdings habe es zu diesem Zeitpunkt bei Unister schon „jede Menge Zoff“ gegeben. „Es gab einen offenen Krieg, einen Kampf bis aufs Messer, obwohl wir uns alle duzten“, sagt Korosides. Wenige Tage vor der Reise nach Venedig habe er Wagner damit telefonisch konfrontiert, „Thomas hat dazu aber nichts gesagt“. Der einst so erfolgreiche Internetunternehmer habe jedoch „sehr bedrückt“ geklungen. „Die Stimme war belegt, es war wie ein Abschiedsgespräch“. Das wurde es bekanntlich.

Der angeklagte Schwätter will am kommenden Mittwoch sein Schweigen brechen. Gegen Banker Keune ermittelt die Staatsanwaltschaft gesondert, er verweigert die Aussage. Der ominöse Investor Levy Vass steht weiterhin auf der Fahndungsliste.