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Dieser kuriose Oldtimer wurde seit 46 Jahren nicht gewaschen

Ein Berliner Professor will herausfinden, wie sich mangelnde Pflege auf einen alten Opel auswirkt. Dafür musste er sich auch schon mit der Polizei anlegen.

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Der 1956 gebaute Opel Olympia vor einem Café in Berlin:  Der Oldie ist zur Kreuzberger Sehenswürdigkeit geworden.
Der 1956 gebaute Opel Olympia vor einem Café in Berlin: Der Oldie ist zur Kreuzberger Sehenswürdigkeit geworden. © dpa/Joerg Carstensen

Berlin. Er hat Beulen und Rostflecken. Die Originalfarbe, ein Verona-Grün, ist nur noch mit ganz viel Fantasie zu erkennen. Der Opel Olympia Caravan von 1956 ist seit Jahrzehnten ein kurioser Blickfang in Berlin-Kreuzberg. Auf seiner Karosserie wachsen Moose und Flechten. Und manchmal verstecken sich Mäuse im Wagen.

Der Opel gehört Hanns-Lüdecke Rodewald. Der pensionierte Professor, ein Experte für Fahrzeugsicherheit, beteuert, den Wagen seit 1977 nicht mehr gewaschen und ein Langzeitexperiment daraus gemacht zu haben. "Ich will erforschen, was passiert, wenn man ein Auto jahrzehntelang stehen lässt und nur ganz wenig macht", so Rodewald.

Seine wichtigste Erkenntnis: "Eine Komplettrestaurierung ist gar nicht nötig, wenn man das Auto nur fahren will." Bislang habe er alle Defekte reparieren können, etwa die Bremsleitungen und Achsschenkelbolzen. "Ich muss häufig schweißen, Opel hat damals schlechte Rostvorsorge gemacht", erklärt er.

Für 500 Mark wollte ihn niemand kaufen

Bevor er das Auto dem Schmutz überließ, hatte Rodewald den Wagen noch einmal richtig schön zurechtgemacht - für den geplanten Verkauf im Jahr 1977. "Aber für 500 D-Mark wollte ihn niemand kaufen. Da habe ich gedacht, der ist wertlos, und ein wertloses Auto braucht man auch nicht mehr waschen", erinnert sich Rodewald, der das Fahrzeug 1976 für 600 Mark in Koblenz gekauft hatte.

Kleinere Zusammenstöße mit Mopeds, einem Poller und einem Baumstumpf haben Beulen hinterlassen. Graffiti ziert die Motorhaube: "Das ist Patina extrem. Alles, was in den Jahren dazugekommen ist, ist noch da. Ich will nicht in den Werdegang eingreifen", sagt der Besitzer.

Auch wenn der Opel schrottig wirkt: Er ist angemeldet, bekommt seinen TÜV und ist fahrbereit. Weil er nur selten bewegt wird, braucht er beim Start etwas Nachhilfe: Rodewald gießt etwas Benzin in den Vergaser und schon schnurrt der Motor wie eine alte Nähmaschine.

Hanns-Lüdecke Rodewald in seinem 1956 gebauten Oldtimer Opel Olympia.
Hanns-Lüdecke Rodewald in seinem 1956 gebauten Oldtimer Opel Olympia. © dpa/Joerg Carstensen
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© dpa/Joerg Carstensen
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Der TÜV sei allerdings immer eine Herausforderung: "Der Wagen ist halt optisch nicht sehr schön und hat auch technisch immer kleinere Mängel, wo man Ermessensspielräume walten lassen muss", sagt Rodewald. "Gurtsysteme, Airbag, Rückfahrscheinwerfer und Nebelleuchten hat er nicht. Aber heutige Prüfingenieure suchen oft danach und wundern sich, dass der Wagen das nicht braucht."

Ordnungshütern und Behörden ist der Wagen schon lange ein Dorn im Auge. "Die Polizei hat ihn 1995 zwangsstillgelegt, hat aber verloren, musste ihn wieder anmelden und mir Schadenersatz zahlen", erinnert sich Rodewald. "Das Ordnungsamt hat das Auto als "Abfall" angesehen und mir dreimal einen Verstoß gegen das Abfallbeseitigungsgesetz vorgeworfen, aber immer ohne Erfolg."

Eine weitere Hürde: die Umweltzone, in der er nicht stehen darf, da die grüne Umweltplakette fehlt. "Deswegen hatte ich 15 Verfahren. 14 habe ich gewonnen und das letzte verloren. Seitdem habe ich eine Ausnahmegenehmigung, dass ich trotzdem hier stehen und fahren darf", sagt Rodewald. Grund: Das Auto dient touristischen Zwecken und wird für Werbezwecke und Filmaufnahmen gebucht.

Bei Google eine historische Sehenswürdigkeit

"Der Wagen entspricht einfach nicht dem gängigen Bild von einem Oldtimer", erklärt Rodewald die Schwierigkeiten. Und weil der TÜV ihm keinen guten Pflegezustand attestieren kann, gibt es für den Wagen auch kein Oldtimer-Kennzeichen.

Doch was die einen verärgert, begeistert andere: Bei Google ist der Opel als historische Sehenswürdigkeit gelistet. Und Café-Besitzer Selcuk Demir möchte das Auto vor seinem Lokal in der Schönleinstraße auf keinen Fall missen. "Für mich ist es alles in einem: Kunst, Kult, Sehenswürdigkeit." Das Auto passe perfekt zum Nostalgie-Stil des Cafés und ziehe auch Kundschaft an.

Immer wieder müsse er den Wagen aber vor weiterem Vandalismus bewahren: "Es kommen immer wieder rücksichtlose Leute, die wollen ihre Räder am Auto abstellen. Oder Kinder, die raufklettern wollen", so Demir.

"Der Wagen ist etwas ganz Besonderes", sagt auch Anwohnerin Sarah Grimm. "Er zeigt, dass man Altes nicht immer sofort ersetzen muss und ist ein Symbol für Wiederverwertung", sagt die Kreuzbergerin. Der Opel passe einfach in den Kiez, weil er so charmant und unperfekt sei wie die Bewohner. Immer wieder sorge der Wagen auch für Verwunderung, so Rodewald. "Wenn ich etwas repariere, halten es manche Café-Besucher für ein Theaterstück und schauen ganz ehrfürchtig zu."

Für den Fall, dass der 68-Jährige den Wagen nicht mehr halten kann oder will, hat er auch schon einen Interessenten: "Ein junger Mann aus Bayern ist begeistert von dem Wagen und will ihn mir gern abnehmen. Er ist eigentlich Postbote, kann aber sehr gut schweißen."

Gleich ein ganzes "Automausoleum" hat Michael Fröhlich, Inhaber einer Oldtimer-Agentur, bei Düsseldorf zusammengetragen. In einem Wald auf seinem Privatgrundstück in Erkrath stehen 50 Wagen aus dem Baujahr 1950 - Müllers Geburtsjahr. Zur Sammlung gehört auch ein Opel Olympia. "Der sieht aber noch schlimmer aus als der Berliner Opel", sagt Fröhlich, der die 50 Autos - anders als Besitzer Rodewald - ganz und gar der Natur überlässt. Immer sonntags öffnet er den Auto-Skulpturen-Park für Besucher. (dpa)