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Energie-Knappheit: Gibt es bald leere Regale in Sachsen?

Die Speditionsbranche hält die Dieselpreise nicht mehr für verkraftbar und fordert eine zeitlich begrenzte Staatshilfe. Einige Unternehmen denken schon ans Aufgeben.

Von Michael Rothe & Rolf Obertreis
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Speditionsbetriebe versorgen die Läden mit Waren, ihre Touren verteuern sich derzeit enorm.
Speditionsbetriebe versorgen die Läden mit Waren, ihre Touren verteuern sich derzeit enorm. © imago images

Kaum glaubt die Wirtschaft, mit Corona das Schlimmste überstanden zu haben, da steht mit dem Krieg in der Ukraine und seinen Folgen unmittelbar das nächste Übel ins Haus – ablesbar an den Zapfsäulen der Tankstellen. Die höchsten Spritpreise der Geschichte bekommen nicht nur gemeine Autofahrer zu spüren, sondern auch Busunternehmen, Taxifahrer, Pflege- und Kurierdienst, Speditionen und in der Folge auch deren Kunden – bis hin zum deutlich teureren Joghurtbecher.

„Wir reden von 25 Prozent Teuerung bei der Fracht binnen weniger Wochen“, sagt Andreas Hanitzsch, Chef und Inhaber gleichnamiger Spedition in Kesselsdorf bei Dresden. Für eine Fuhre zwischen Dresden und Hamburg habe der Preisunterschied zum Januar bei 100 Euro gelegen, in dieser Woche seien es bereits 200 Euro. Hanitzsch & Co müssen ihre Touren vorfinanzieren, „aber so eklatante Steigerungen kann keiner abfedern“, klagt der Spediteur. Bis der Dieselfloater, die automatische Anpassung an die Entwicklung des Kraftstoffpreises, zum Tragen komme, vergingen Monate.

Spediteur Andreas Hanitzsch hat einen Teil seines Fuhrparks auf verflüssigtes Erdgas umgestellt.
Spediteur Andreas Hanitzsch hat einen Teil seines Fuhrparks auf verflüssigtes Erdgas umgestellt. © Ronald Bonß

Hanitzsch führt den 100 Jahre alten Familienbetrieb in vierter Generation. Die meisten der rund 200 Beschäftigten sitzen hinterm Lenkrad: regional, national, international, auf Linie und mit Sonderfahrten – in Summe 25.000 Touren pro Jahr für Industrie und Handel. Das Gros der rund 100 Laster, vom Kleintransporter über 60-Tonner bis zum Kühlfahrzeug, ist auf dem Betriebshof stationiert, mit eigener Tankstelle, Werkstatt und Lager.

Keine dauerhafte Unterstützung

Mit einem dramatischen Appell wendet sich die Lkw-Transportbranche an die Bundesregierung. Die massiven Preissteigerungen bei Diesel können viele Unternehmen faktisch nicht mehr stemmen. Damit drohen nach den Worten von Dirk Engelhardt, Vorstandssprecher des Bundesverbandes Güterkraftverkehr (BGL) schon in nächster Zeit leere Regale in den Supermärkten und weitere Probleme in den Lieferketten. Zusätzlich fallen Tausende von Lkw-Fahrer aus der Ukraine wegen des Putin-Krieges aus. Mit vier Schreiben an das Bundeswirtschaftsministerium hat die Branche, wie Engelhardt sagte, auf die dramatische Lage hingewiesen. „Reaktion bislang null“, empört sich der BGL-Chef genauso wie etliche mittelständische Spediteure, die kurz vor dem Aus stehen.

Laut Engelhardt geht es der Branche nicht um eine permanente staatliche Unterstützung, aber um zeitlich begrenzte Soforthilfe für 90 bis 120 Tage in Form einer Einführung von deutlich günstigerem Gewerbediesel. Engelhardt verweist auf mehrere europäische Länder wie Belgien, Frankreich, Italien oder Spanien, die die Mehrkosten für gewerblich genutztes Diesel erstatten. Die in Berlin diskutierte Senkung der Mehrwertsteuer bringt den Spediteuren nichts, weil das ein durchlaufender Posten ist.

Dazu fordert der BGL eine deutliche Verkürzung der Zahlungsziele von Auftraggebern auf zwei Wochen statt wie derzeit von sechs bis acht Wochen. Zudem sei ein Rettungsschirm für Speditionen notwendig, deren Fahrzeuge mit LNG-Gas fahren. Dort haben sich die Preise von 0,91 Euro pro Kilo im Januar auf 2,35 Euro mehr als verdoppelt. Von Banken, Sparkassen und Volksbanken vor Ort erwarten Spediteure kurzfristig keine Hilfe. „Banken und Sparkassen fehlt das Verständnis für die Situation“, sagt eine Unternehmerin frustriert.

Wie drastisch die Kostensteigerungen ausfallen, wird an einzelnen Beispielen deutlich: Eine größere Spedition, die 220 Lkw betreibt, hat im Vergleich zum Januar wegen des teilweise auf mehr als 2,40 Euro gestiegenen Diesel-Preises monatliche Mehrkosten von 450.000 bis 500.000 Euro. Andere kleinere Firmen müssen statt 105.000 Euro im Januar jetzt fast 180.000 Euro für Diesel ausgeben. „Bei diesen Preisen fahren die Unternehmen gegen die Insolvenz an“, sagt Engelhardt.

Preise zum Augenreiben. Nicht nur Pendler stöhnen angesichts dieser Preise.
Preise zum Augenreiben. Nicht nur Pendler stöhnen angesichts dieser Preise. © imago images

Mehrere Spediteure sagen, dass sie schon in den nächsten Tagen trotz Entgegenkommen der Auftraggeber ihre Fahrzeuge stehen lassen müssten, sollte sich die Lage nicht entspannen. „Den Firmen geht einfach das Geld aus“, so der BGL-Chef. „Die Lage ist kritischer als jemals während der Corona-Pandemie.“ Nach Angaben des Bundesverbandes Güterkraftverkehr werden 70 Prozent der Güter in Deutschland per Lkw transportiert. Und dabei nur acht Prozent über Entfernungen von mehr als 300 Kilometern. Verlagerungswünsche auf die Bahn seien keine Option, kurzfristig schon gar nicht. „Wenn die Lkws stehen bleiben, haben wir ein gesamtwirtschaftliches Problem“, umschreibt Engelhardt die Dramatik der Lage. Die rund 47.000 Speditionen in Deutschland betreiben rund 500.000 Lkw. Dazu kommen 250.000 Fahrzeuge von ausländischen Speditionen. Rund 30.000 Unternehmen in Deutschland verfügen über maximal neun Fahrzeuge, 20.000 davon sogar nur über höchstens drei Lkw. Es geht also um den klassischen Mittelstand.

Eigentlich müsse er derzeit jeden Tag die Preise ändern und jeden Tag für jede einzelne Tour kalkulieren, ob sie noch einigermaßen wirtschaftlich abzuwickeln sei, sagt einer der Mittelständler. Allenfalls bis Mitte des Jahres könnte er bei Anhalten der derzeitigen Preise noch durchhalten. Tragbar halten viele Spediteure einen Diesel-Preis von netto etwa 1,30 Euro, brutto mit Mineral- und CO2-Steuer wären das knapp 1,80 Euro. Daneben müssen die Unternehmen weitere Preissteigerungen verkraften. Der notwendige Diesel-Zusatz Ad Blue sei viermal so teuer wie im Januar, die Personalkosten seien um 25 Prozent gestiegen.

Zudem belastet die Branche europaweit der Ausfall von mehr als 100.000 ukrainischen Lkw-Fahrern, die wegen des Putin-Kriegs in die Armee ihres Heimatlandes eingezogen wurden. Lauf BGL stammten sieben Prozent der Fahrer deutscher Spediteure aus der Ukraine. Ohnehin fehlten hierzulande 60.000 bis 80.000 Fahrer.

Sachsen ist eine Drehscheibe

Dietmar von der Linde, Geschäftsführer des Landesverbands des sächsischen Verkehrsgewerbes, plädiert für „eine generelle Senkung der Abgabenlast“, inklusive Energiesteuer und befristeter Aussetzung der CO2-Abgabe. Der Verbandschef sieht alle Bereiche des Lebens von der Teuerung betroffen. Daher müssen nicht nur das Gewerbe, sondern auch die Bürger entlastet werden, sagt er – „und das sollte auch gehen“.

Der Kesselsdorfer Spediteur Andreas Hanitzsch hat seine Preise kurzfristig angepasst. „Viele Kunden sind vernünftig, andere nicht“, sagt er. Dann werde der Transport verweigert. Der vom Verband geforderte „Gewerbediesel“ sei eine gute Lösung. Und der Rettungsschirm? Hier sieht Hanitzsch Parallelen zu Lieferdramen in der Pandemie: „Die Gesellschaft muss entscheiden, wie wichtig ihr die Logistik ist.“

„Industrie und Handel sind ohne Logistik nicht denkbar“, heißt es in einer Studie von Sachsens Wirtschaftsministerium. Das werde spätestens klar, wenn die Versorgung nicht funktioniere, die Produktion ins Stocken gerate, Waren nicht verkauft werden könnten. Die Branche erwirtschafte im Freistaat mit 170.000 Mitarbeitern 11,7 Milliarden Euro Umsatz, heißt es. Und Sachsen sei wegen seiner zentralen Lage Drehscheibe und ein wichtiges Transitland.