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Mehrere Explosionen führten zu Lecks in Nord-Stream-Leitungen

Nach einem Druckverlust in den Gasleitungen Nord Stream 1 und 2 wird nach der Ursache gesucht. Die dänische Regierung spricht von Explosionen.

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Das Nord Stream 2-Gasleck in der Nähe von Bornholm aus der Luft.
Das Nord Stream 2-Gasleck in der Nähe von Bornholm aus der Luft. © Danish Defence Command/dpa

Die Gaslecks in den Ostsee-Pipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 sind nach Angaben der dänischen Regierung nicht auf einen Unfall zurückzuführen. Die Behörden seien zu der eindeutigen Bewertung gekommen, dass es sich um absichtliche Taten handle und nicht um ein Unglück, sagte Ministerpräsidentin Mette Frederiksen am Dienstagabend vor Reportern in Kopenhagen. Innerhalb kurzer Zeit seien mehrere Explosionen beobachtet worden. Es gebe noch keine Informationen dazu, wer dahinterstecke.

Zu den Vorfällen sei es in internationalen Gewässern in den Ausschließlichen Wirtschaftszonen Dänemarks und Schwedens vor der Ostsee-Insel Bornholm gekommen, sagte Frederiksen. Es handle sich nicht um einen Angriff auf Dänemark, sagte sie auf eine Frage, ob es sich um eine gegen ihr Land verübte Kriegshandlung handle.

Klima- und Energieminister Dan Jørgensen bestätigte vorherige Angaben von Geologen, dass es am Montag zunächst um 2.03 Uhr eine Explosion an Nord Stream 2 südöstlich von Bornholm sowie um 19.03 Uhr eine weitere an Nord Stream 1 nordöstlich von der Insel entfernt gegeben habe. Die Gasleitungen lägen tief im Wasser und bestünden aus Stahl und Beton. Die Größe der Lecks deute darauf hin, dass es sich nicht um ein Unglück etwa mit einem Schiffsanker handeln könne.

Insgesamt sind an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 drei Lecks entdeckt worden. Die Ursache wurde noch nicht festgestellt. Sabotage wird nicht ausgeschlossen.

Seismologen haben am Montag in der Nähe der festgestellten Lecks in den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 in der Ostsee Erschütterungen registriert. Ein Seismograph auf der dänischen Insel Bornholm habe zweimal ein Beben registriert - einmal um zwei Uhr morgens Ortszeit, ein weiteres Mal um 19 Uhr, teilte das deutsche Forschungszentrum GFZ am Dienstag mit.

Bjorn Lund vom Schwedischen Seismologischen Zentrum der Universität Uppsala sagte dem Sender SVT: „Es gibt keinen Zweifel, dass das Explosionen waren.“

Nach den Ausschlägen auf den Messgeräten habe es ein Rauschen gegeben, sagte ein GFZ-Sprecher. Er könne nicht sagen, ob das ausströmendes Gas sein könnte.

Die dänische Marine veröffentlichte Aufnahmen, auf denen eine großflächige Blasenbildung an der Meeresoberfläche zu sehen ist.

Nach Informationen des Nachrichtenportals „Spiegel“ ist der Schaden an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 größer als gedacht., sie müssten über eine größere Länge aufgerissen sein. Anders sei der „explosionsartige Druckabfall“ in den Pipelines nicht zu erklären, hieß es aus Kreisen der Bundesregierung.

Der Druckabfall bei NordStream 2 war erstmals am Montagnachmittag gemeldet worden, der bei NordStream 1 am frühen Abend - kurz nach der zweiten der beiden registrierten Erschütterungen. Die Bundesnetzagentur hatte nach dem Druckabfall in der Nord-Stream-1-Pipeline erklärt, es würden keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit erwartet.

Am Montagabend hieß es, die Lage werde nun untersucht. Die Ursachenforschung sei in beiden Fällen eingeleitet, die Sicherheitsbehörden auf Bundesebene hätten sich der Fälle angenommen, erfuhr der Berliner Tagesspiegel am Montag.

„Alles spricht gegen einen Zufall“

Wegen der Zwischenfälle bat die Behörde das staatliche Unternehmen Energinet, im Hinblick auf die Sicherheit ihrer Anlagen besonders aufmerksam zu sein. Brüche in Gasleitungen kämen höchst selten vor, weshalb man Gründe dafür sehe, das sogenannte Bereitschaftsniveau im Gas- und Stromsektor auf die zweithöchste Stufe „orange“ anzuheben, schrieb die Energiebehörde.

Aufgrund des zeitlichen Ablaufs, der drei betroffenen Leitungen und der starken Druckverluste in Nord Stream 1 wird mit dem Schlimmsten gerechnet. „Unsere Fantasie gibt kein Szenario mehr her, das kein gezielter Anschlag ist“, sagte eine in die Bewertung durch die Bundesregierung und die Bundesbehörden eingeweihte Person. Weiter hieß es: „Alles spricht gegen einen Zufall.“

Ein derartiger mutmaßlicher Anschlag auf dem Meeresboden sei alles andere als trivial, er müsse mit Spezialkräften, zum Beispiel Marinetauchern, oder einem U-Boot ausgeführt werden, hieß es weiter aus den über die erste Lagebewertung informierten Kreisen.

Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, wusste am Dienstagvormittag noch nicht die genauen Gründe für die Lecks in den Pipelines. Ob es sich um ein Attentat auf die Gas-Infrastruktur handle, sei „alles hochspekulativ“. Die Lecks seien nicht auf deutschem Hoheitsgebiet, so Müller. Nun würden die europäischen Partner dem Rest des Rohrs nach Schäden absuchen. „Die Drähte glühen aktuell“, sagte Müller.

Bezüglich der Urheberschaft der mutmaßlichen Attacken werden vor allem zwei Möglichkeiten diskutiert. Erstens könnten, so die ersten Spekulationen, ukrainische oder mit der Ukraine verbundene Kräfte verantwortlich sein.Mit dem vorübergehenden Ausschalten der Nord-Stream-Pipelines wären Gaslieferungen von Russland nach Deutschland und Zentraleuropa nur noch über die über Polen laufende Verbindung Jamal oder das ukrainische Pipeline-Netz möglich.

Lieferungen durch Nord Stream 1 waren Ende August eingestellt worden

Zweitens sei genau das gleiche Szenario, aber als sogenannte „False-Flag“-Operation Russlands eine mögliche Erklärung für die Leckagen der Pipelines. Damit könnte zusätzliche Verunsicherung geschürt werden und möglicherweise der Gaspreis wieder nach oben getrieben werden, um die europäische Energiepreiskrise, die sich zuletzt minimal entspannt hatte, wieder zu verschärfen.

Russland selbst wollte auch nicht ausschließen, dass es sich bei den Lecks um einen Sabotageakt handelt. „Jetzt kann keine Variante ausgeschlossen werden“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Dienstag. Der Kreml sei „äußerst beunruhigt“ über den Druckabfall in den Ostseepipelines Nord Stream 1 und 2. „Das ist eine absolut nie dagewesene Situation, die einer schnellen Aufklärung bedarf“, sagte Peskow.

Polen erklärte am Dienstag wiederum, eine russische Provokation als Hintergrund für möglich zu halten. Man befinde sich in einer Situation hoher internationaler Spannung, sagte Vize-Außenminister Marcin Przydacz. „Leider verfolgt unser östlicher Nachbar ständig eine aggressive Politik. Wenn er zu einer aggressiven militärischen Politik in der Ukraine fähig ist, ist es offensichtlich, dass keine Provokationen ausgeschlossen werden können, auch nicht in den Abschnitten, die in Westeuropa liegen.“

Die Ukraine wurde erwartungsgemäß noch deutlicher: „Das großflächige “Gasleck' an Nord Stream 1 ist nichts anderes als ein von Russland geplanter Terroranschlag und ein Akt der Aggression gegenüber der EU„, schrieb der ukrainische Präsidentenberater Mychailo Podoljak auf Twitter.

Der russische Gasmonopolist Gazprom hatte die Lieferungen durch Nord Stream 1 Ende August eingestellt und dadurch die Gaspreise in Europa nach oben katapultiert. Angeblich sind aufgrund der Sanktionen gegen Russland dringende Wartungsarbeiten nicht möglich.

Sowohl westliche Equipment-Lieferanten als auch die Bundesregierung bestreiten diese Darstellung. In den Berliner Sicherheitskreisen hieß es, es sei nicht auszuschließen, dass ein mutmaßlicher Anschlag schon vor dem Lieferstopp geplant worden sei, denn die Vorlaufzeiten für derartige Spezialoperationen könnten lang sein.

Keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit

Eine Sprecherin des Bundeswirtschaftsministeriums teilte am Montagabend mit: „Wir sind dabei, im Austausch mit den betroffenen Behörden und der Bundesnetzagentur, auch hier den Sachverhalt aufzuklären“, sagte sie. Die Bundesnetzagentur sieht, wie auch die dänischen Behörden, nach dem Druckabfall in der Nord-Stream-1-Pipeline keine Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit.

Die Gas-Speicherstände steigen trotz der seit vier Wochen beschickten Pipeline weiter kontinuierlich an. Sie liegen der Behörde zufolge aktuell bei rund 91 Prozent.

Über den Druckabfall in der Nord-Stream-2-Leitung sind bereits mehr Details bekannt. Nach Angaben des Sprechers des Pipeline-Betreibers wurde in der Nacht zu Montag ein Druckabfall in einer der Röhren festgestellt. Daraufhin habe man die Behörden in den Anrainer-Staaten Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland und Russland umgehend informiert.

Dem Sprecher zufolge liegt normalerweise ein Druck von 105 Bar an. Jetzt seien es auf deutscher Seite nur noch sieben Bar.

Der Unternehmensvertreter befürchtet nun, dass die mit 177 Millionen Kubikmeter Gas gefüllte Pipeline in den kommenden Tagen leerlaufen könnte. Die NGO Deutsche Umwelthilfe verwies darauf, dass Erdgas Methan sei, das sich teilweise im Wasser löse und nicht giftig sei. Je tiefer das Gas im Meer frei werde, desto höher sei der Anteil, der sich im Wasser löse, sagte ein DUH-Sprecher. Selbst im Falle einer Explosion unter Wasser gäbe es nur lokale Effekte. (mit dpa)