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Preiserhöhungen: Haben sich die Konsumgüterhersteller verzockt?

Die Preise für Alltagsprodukte sind wieder stark gestiegen – in Europa stärker als im Rest der Welt. Markenhersteller verlieren darum Marktanteile. Kann ihnen 2024 die Trendwende gelingen?

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Viele Hersteller haben infolge steigender Kosten ihre Preise erhöht, dafür aber Marktanteile verloren.
Viele Hersteller haben infolge steigender Kosten ihre Preise erhöht, dafür aber Marktanteile verloren. © Symbolfoto: dpa

Von Von Katrin Terpitz und Michael Scheppe

Mehr Umsatz, aber weniger Absatz: Persil- und Pril-Hersteller Henkel ist abermals durch Preiserhöhungen gewachsen. Im Konsumentengeschäft steigerte Henkel die Preise global um 12,4 Prozent, zeigt die am Montag veröffentlichte Bilanz. Der Absatz sank um 6,3 Prozent, etwa weil Verbraucher zu günstigeren Handelsmarken gewechselt sind. Henkel gelang es aber, seine Margen zu steigern.

Für das laufende Jahr rechnet Konzernchef Carsten Knobel damit, dass das Wachstum schwächer ausfallen wird. Nach den 6,1 Prozent im Konsumentengeschäft prognostiziert der Manager nun ein organisches Umsatzplus zwischen zwei und vier Prozent. Das liegt daran, dass Preise nur noch vereinzelt erhöht werden sollen. Ein wichtiger Umsatztreiber fällt damit weg.

Henkel – der letzte große Konsumkonzern, der am Montag seine Jahreszahlen vorgelegt hat – bestätigt den Branchentrend: Viele Hersteller haben infolge steigender Kosten ihre Preise erhöht, dafür aber Marktanteile verloren. Die Produzenten hätten „ihren Strategiefokus auf Profitabilität statt auf Absatzwachstum ausgerichtet“, erklärt Konsumexperte Chehab Wahby, Partner der Strategieberatung EY-Parthenon.

Dadurch ist es den meisten Herstellern trotz eines schwierigen Umfelds aus Konsumzurückhaltung und hohen Kosten gelungen, ihre Gewinne zu steigern. Aber: „Auf Dauer ist Profitabilität vor Wachstum eine riskante Formel“, warnt Berater Wahby. Markenartikler könnten ihre verlorenen Marktanteile mitunter nicht mehr zurückgewinnen.

Angesichts der schwachen Prognose verlor die Henkel-Aktie am Montag zwischenzeitlich um bis zu fünf Prozent. Auch bei Nestlé (Maggi, Kitkat, Nescafé) und Beiersdorf (Nivea) gingen die Kurse nach Bekanntgabe der Prognosen ähnlich zurück. Für die traditionell defensiven Titel sind das starke Bewegungen.

Haben sich die Produzenten mit ihren Preiserhöhungen verzockt? Das "Handelsblatt" hat jetzt die Bilanzen sechs großer Konsumfirmen analysiert – und zeigt, was das für Verbraucher bedeutet.

Preiserhöhungen „von historischem Ausmaß“

Viele Markenartikler haben ihre Umsätze durch Preiserhöhungen gesteigert. Mondelez (Milka, Philadelphia, Oreo) drückte 2023 Preiserhöhungen von 13,4 Prozent durch, Pepsi-Produzent Pepsico erhöhte die Preise um 13 Prozent, Nestlé um 7,5 Prozent. Dabei hatten die Konzerne ihre Preise schon 2022 in dieser Größenordnung angehoben.

Zum Vergleich: 2021 lagen diese noch zwischen maximal zwei und 3,2 Prozent. „Was wir in den vergangenen zwei Jahren erlebt haben, war definitiv ein Anstieg von historischem Ausmaß“, sagt Nestlé-CEO Mark Schneider. Eine solche Entwicklung habe man zuletzt in den 1970er-Jahren erlebt.

Kosten sind seit 2020 um bis zu 38 Prozent gestiegen

Produzenten haben mit Preiserhöhungen vor allem auf gestiegene Kosten reagiert, die ebenfalls historisch stark zugelegt haben. Mit der Pandemie waren die Ausgaben für Rohstoffe und Logistik deutlich gestiegen, durch den Einmarsch Russlands in die Ukraine verschärfte sich die Lage.

Mondelez hat heute 38 Prozent höhere Kosten als 2020, Henkel und Beiersdorf kämpfen mit rund einem Drittel mehr, zeigt die Handelsblatt-Analyse. „Den Höhepunkt der Kostensteigerungen haben wir im zweiten Quartal 2023 gesehen“, sagt Beiersdorf-Chef Vincent Warnery. Bis heute hätten sich diese auf einem hohen Niveau stabilisiert. Bei Unilever (Axe, Knorr), Nestlé und Henkel sind die Ausgaben 2023 im Vergleich zum Vorjahr wieder leicht gesunken.

Die Konzerne profitieren davon, dass die Ausgaben für Energie und viele Rohstoffe stark zurückgehen. Angesichts der Unruhen im Roten Meer ist die Entwicklung der Frachtkosten aber schwer kalkulierbar. Und Tarifabschlüsse dürften dazu führen, dass die Personalkosten weiter steigen werden. Insgesamt rechnet Henkel-Chef Knobel für 2024 mit einer „stabilen Kostenentwicklung“.

Absatz von Markenartiklern bricht ein

Investoren warnen, dass Unternehmen es mit Preiserhöhungen zu weit treiben könnten. Tatsächlich haben viele Markenhersteller deutlich weniger verkauft. Bei Pepsico ging der globale Absatz um drei Prozent zurück. Nestlé und Unilever stagnierten. 2020 und 2021 konnten diese Hersteller ihren Absatz noch um bis zu 5,5 Prozent steigern.

Viele Kunden, die ebenfalls mit steigenden Kosten kämpfen, sind zu Eigenmarken gewechselt. Diese konnten laut Marktforscher GfK ihren Umsatz im ersten Halbjahr 2023 um 19,1 Prozent steigern. Bei Markenprodukten lag das Plus nur bei 3,8 Prozent. Die Erfahrung der Vergangenheit zeige, dass es vielen Markenartiklern nur schwer gelinge, diese verlorenen Anteile zurückzugewinnen, so EY-Experte Wahby.

Auch die Preiskämpfe mit dem Handel machen sich bemerkbar: Händler hatten bestimmte Produkte ausgelistet, Markenhersteller ihre Lieferungen gestoppt. Henkel hat zudem margenschwache Produkte mit einem Wert von 650 Millionen Euro eingestellt oder verkauft, was die Absätze ebenso drückt.

Dass der Rückgang bei Henkel mit 6,3 Prozent besonders stark ist, liegt auch daran, dass der Konzern stärker als Wettbewerber im Waschmittelgeschäft in Westeuropa tätig ist, wo die Konkurrenz durch Handelsmarken besonders groß ist.

Branchenweit richte sich die Strategie nun wieder darauf, die Verkaufszahlen zu steigern, beobachtet Berater Wahby. Aber: „Nur wer eine Topmarke hat, innovative Produkte herausbringt und Vertriebsstärke beweist, dem kann es gelingen, seine Absätze zu steigern.“ Marken, die nicht führend sind, hätten es schwer.

Nestlé konnte seine Verkaufszahlen nach fünf Quartalen mit Rückgängen im vierten Quartal 2023 leicht um 0,4 Prozent steigern. Bei Unilever wuchs der Absatz im Schlussquartal um 1,8 Prozent und damit zum ersten Mal seit Mitte 2021. Henkel geht davon aus, seine bereinigten Absätze 2024 wieder leicht zu steigern.

Mondelez und Beiersdorf konnten ihre Umsätze in der Vergangenheit trotz höherer Preise steigern. Bei Mondelez gingen diese um 1,3 Prozent nach oben, bei der Beiersdorf-Kernmarke Nivea waren es laut CEO Warnery 6,5 Prozent. Bei Schokolade und Kosmetik vertrauen viele Verbraucher weiter auf etablierte Marken. In diesem Jahr richtet sich der Milka-Hersteller jedoch auf eine schwächere Nachfrage ein – vor allem in Europa.

Komplizierte Lage in Europa

Die Entwicklung von Absätzen und Preisen ist in Europa oft extremer. Darauf deuten die Bilanzen von Firmen hin, die diese Zahlen ausweisen. So sind die Verkäufe von Nestlé in Europa mit 2,4 Prozent so stark eingebrochen wie nirgends sonst. Global lag das Minus bei 0,3 Prozent.

Für Unilever war das Absatzminus von 7,7 Prozent in Europa ebenfalls deutlich stärker. Weltweit gab es ein leichtes Plus von 0,2 Prozent. Der Konzern begründete das damit, dass Verbraucher in Europa stärker als anderswo zu Handelsmarken gewechselt seien. Tatsächlich haben vor allem europäische Händler ihr Eigenmarkenangebot deutlich ausgedehnt.

Auch Pepsico hat in Europa mehr Absatz eingebüßt. Anders als Marktführer Coca-Cola hat der Konzern Schwierigkeiten, seine zweistelligen Preisforderungen im Handel durchzusetzen. Pepsi, Lay’s Chips oder Doritos sind seit vielen Monaten nicht mehr bei Edeka, Aldi oder Kaufland erhältlich.

Auffällig ist auch, dass die Preise in Europa 2023 oft stärker angestiegen sind als im globalen Mittel. Das liegt daran, dass die Inflationsentwicklung in Europa im Vergleich zu den USA ein halbes Jahr zurückliegt. Zudem ist in Europa die Verhandlungsmacht des Handels oft größer; es hat für Hersteller offenbar länger gedauert, ihre Preisforderungen durchzudrücken.

So erhöhte Nestlé 2023 die Preise in Europa um 10,6 Prozent, weltweit waren es 7,5 Prozent. In Deutschland habe man die Preise weniger erhöht als im europäischen Schnitt, so Nestlé-Deutschlandchef Alexander von Maillot. „Allerdings schieben wir eine Bugwelle an Kosten vor uns her.“ 20 Prozent der Mehrkosten habe Nestlé hierzulande noch nicht weitergegeben.

Drohen weitere Preiserhöhungen?

Das zeigt, dass sich Verbraucher vereinzelt auf weitere Preiserhöhungen einstellen müssen. Aber: Diese „werden in diesem Jahr viel niedriger ausfallen als im vergangenen“, so Nestlé-Konzernchef Schneider. Andere Hersteller äußern sich ähnlich.

Verbraucher können sich darauf einstellen, dass der Preisanstieg schwächer ausfallen wird. Dass Preise auf breiter Front gesenkt werden, gilt aber auch als unrealistisch. Nach einer Befragung des Ifo-Instituts planen 29 Prozent der Konsumfirmen, im Saldo ihre Preise zu erhöhen. Einen Monat zuvor waren es über 32 Prozent.

Verhaltener Ausblick auf 2024

Ohne spürbare Preiserhöhungen dürfte auch das Wachstum der Konsumgüterhersteller schwächer ausfallen. Laut Experte Wahby können Konzerne in diesem Jahr je nach Markenstärke nur zwischen zwei und fünf Prozent Umsatzwachstum durch steigende Preise einkalkulieren.

Nestlé erwartet nur ein organisches Umsatzplus von vier Prozent nach 7,2 Prozent im Vorjahr. Unilever schaffte 2023 sieben Prozent, rechnet nun mit bis zu fünf Prozent. Und Beiersdorf geht nach einem Plus von 12,5 Prozent in seinem Konsumentengeschäft nur noch von einem Plus im mittleren einstelligen Bereich aus.

Gerade Kosmetikhersteller leiden unter der anhaltenden wirtschaftlichen Schwäche Chinas und anderer asiatischer Staaten. Diese Regionen waren für die Branche bislang Wachstumstreiber.

Auch EY-Berater Wahby ist skeptisch: Viele Verbraucher seien weiter zurückhaltend, es gebe kaum Wachstum durch Preiserhöhungen, und viele Hersteller würden es nicht schaffen, ihre Absätze deutlich zu steigern. „Auch 2024 wird für die Konsumgüterindustrie ein schwieriges Jahr.“