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"Deutschland ist gründerfeindlich"

Die deutsche Wirtschaft kann auf Startups nicht verzichten. Doch ihnen werden zu viele Hürden aufgebaut, findet Mathias Tholey, Mitgründer von "the nu company".

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Mathias Tholey ist Mitgründer von "the nu company", die in Leipzig nachhaltige Schokoriegel unter der Marke 'nucao' herstellt.
Mathias Tholey ist Mitgründer von "the nu company", die in Leipzig nachhaltige Schokoriegel unter der Marke 'nucao' herstellt. © PR

Von Mathias Tholey

Die Corona-Pandemie hat die Wirtschaft hart getroffen – vor allem für junge Unternehmen, die noch nicht in der Lage waren, sich ein solides finanzielles Polster zu erwirtschaften, ging es plötzlich um alles. Umsätze brachen weg, es gab Probleme mit Zulieferern, Mitarbeiter wurden ins Homeoffice geschickt und Finanzreserven schwanden.

Unser junges Unternehmen hatte Glück. Mit unseren nachhaltigen Schokoriegeln bewegen wir uns in der Konsumgüterbranche, die von der Corona-Krise kaum betroffen ist. Außerdem konnten wir noch wenige Monate vor der Pandemie über die Dresdner Crowdinvesting-Plattform Econeers eine halbe Million Euro von Kleinanlegern akquirieren und später in einer Finanzierungsrunde weitere große Investoren gewinnen. Das alles hat uns geholfen. Es gelang uns sogar, während der Pandemie unseren Umsatz im Vergleich zum Vorjahr zu verdreifachen. Doch wir wissen auch: Es hätte anders laufen können. Wer etwa in der Reisebranche ein Startup gegründet hatte, der stand schnell mit dem Rücken zur Wand. Der Startup-Monitor, eine Untersuchung des Bundesverbands Deutsche Startups, zeigt das Ausmaß: Demnach sehen sich 75 Prozent der Startups in Deutschland durch die Corona-Pandemie in ihrer Wirtschaftstätigkeit stark beeinträchtigt. Natürlich gab es auch Corona-Hilfsprogramme von Bund und Ländern, die das aller schlimmste aufgefangen haben und sicherlich auch viele Startups vor der Insolvenz retten konnten. Doch die Krise wird einige Gründer zur Verzweiflung getrieben und im schlimmsten Fall auch neue Gründer abgeschreckt haben. Und das in einem Land, in dem es ohnehin so schwer ist, Gründer zu sein.

Viel zu wenig Wagniskapital in Deutschland

Deutschland ist gründerfeindlich. Und das fängt bei den kleinen Dingen an. Überall werden uns Hürden aufgebaut. Wir haben zum Beispiel bereits Förderung vom Staat erhalten, aber die Bewerbung für die Förderung kostet uns so viel Arbeit, dass man sich jedes Mal fragen muss, ob man die Arbeit nicht besser ins tägliche Geschäft steckt statt in die Anträge eines Förderprogramms. Eine weitere Sache, die mich extrem ärgert, ist die Umsatzsteuervorauszahlung, die wir als Startup tätigen müssen. Wir haben regelmäßig den Fall, dass das Finanzamt uns über 100.000 Euro schuldet. Ich verstehe nicht, wie man als Staat von Startups solche Beträge anhäufen kann, die wir dann nach zweimaligem Nachfragen irgendwann zurück überwiesen bekommen.

Das alles sind allerdings eher kleine Dinge verglichen mit einem Problem, das für mich an erster Stelle steht und dem sich die Politik dringend zuwenden müsste: Hierzulande gibt es viel zu wenig Wagniskapital. Gemeint ist Eigenkapital, das in neu gegründete Unternehmen eingelegt wird. Ein Venture-Capital-Investor beteiligt sich mit seinem Geld an einem Startup und bekommt entsprechend Anteile an diesem Unternehmen. Mit dem Kapital kann die Firma wachsen, sich am Markt etablieren. Theoretisch jedenfalls. Das Problem: Laut dem Startup-Monitor wünscht sich fast jedes zweite Startup Kapital von Venture Capital-Gebern, doch nur ungefähr ein Fünftel der Startups kann von dieser Finanzierungsquelle Gebrauch machen, weil es einfach zu wenig Wagniskapital gibt. Das Verrückte ist: Gleichzeitig sitzen wir auf Milliarden Euro Vermögen in Versicherungs- und Pensionsfonds. Doch aus diesen wirklich großen Töpfen fließt in Deutschland kaum Geld in Wagniskapital. Das liegt zum einen daran, dass Versicherungen hierzulande sehr viel Eigenkapital hinterlegen müssen. Das macht Investments unattraktiver. Außerdem wollen institutionelle Investoren oft sehr große Summen anlegen, doch es gibt in Deutschland kaum großvolumige Wagniskapitalfonds. Erste Ideen, wie der von der Bundesregierung angekündigte Zukunftsfond, existieren schon. Aber hier muss mehr passieren. Kurz gesagt: Das Kapital ist da, es muss nur zukunftsorientierter eingesetzt werden. Das ist wichtig, damit viele Startups nicht weiterhin neidisch in Richtung USA blicken, die für ihre ausgereifte Venture-Capital-Landschaft bekannt sind. Ich bin davon überzeugt, je mehr Wagniskapital dem Markt in Deutschland zur Verfügung steht, desto innovativer werden die Startups hierzulande.

Und auf Startups kann die deutsche Wirtschaft nicht verzichten. Die jungen Unternehmen nehmen eine Schlüsselposition ein, wenn es um innovative Lösungen für die großen Fragen rund um Klima und Nachhaltigkeit geht. Startups sind es gewohnt, sich schnell auf neue Situationen einzustellen und haben das auch während der Corona-Krise bewiesen. Während andere Unternehmen Stellen abbauen mussten, haben viele Startups neue Mitarbeiter eingestellt. Auch wir konnten unser Team 2020 nahezu verdoppeln. Und dann gibt es natürlich jede Menge Netzwerkeffekte durch neue, junge Unternehmen. Wenn ich überlege, was allein um Shopify, eine E-Commerce-Software, mit der Händler selbst Online-Shops erstellen können, herum alles entstanden ist – neue Agenturen, weitere Unternehmen wie App-Entwickler und so weiter. An solche Chancen von morgen wird heute noch zu wenig gedacht. Ein Resultat daraus ist, dass es bei uns eben kein Google, kein Amazon und Apple gibt. Deutschland muss gründerfreundlicher werden, damit Startups nicht in die USA oder nach China abwandern, sondern hier bleiben und Deutschland, oder, wie in unserem Fall, das Land Sachsen als Wirtschaftsstandort attraktiver machen.

Unser Autor Mathias Tholey ist einer von drei Gründern der Firma the nu company mit Sitz in Leipzig. Die 2016 in Dresden gegründete Firma mit inzwischen 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern produziert nachhaltige Schokoriegel unter der Marke 'nucao'.