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Ein Tunis-Kenner über Klischee und Wirklichkeit

Ein Rundgang mit Bestsellerautor Daniel Speck durch Tunesiens Hauptstadt.

Von Kathrin Krüger
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Das Auge isst mit: Zitronenhändler Hamza in der Medina von Tunis.
Das Auge isst mit: Zitronenhändler Hamza in der Medina von Tunis. © Thomas Reinhardt

Für manche ist Tunesien: Kamele, Datteln, Migranten. Daniel Speck gehört zu jenen Menschen, der Reisenden mehr über das Land in Nordafrika vermitteln möchte als solche Klischees: Was ist Tunesien im Kern? Orient? Afrika? Ein Stück Europa? „Nichts davon und alles zugleich“, sagt der Bestsellerautor.

Daniel Speck begleitet uns durch Tunis, die Hauptstadt des Landes, aus dem sein unbekannter Vater stammte. Der hatte in München studiert und war danach in seine Heimat zurückgekehrt, ohne dass der Sohn ihn kennenlernen konnte.

Daniel Speck, der in Deutschland geboren wurde, reiste schon früher nach Tunis, um diesen Teil seiner Familie zu treffen und für sein Buch „Piccola Sicilia“ zu recherchieren.

Ein Schauplatz ist zum Beispiel La Goulette, das Hafenviertel in der Nähe von Tunis. Das jeder Reisende ansteuert, der mit dem Schiff übers Mittelmeer kommt. Weiße schmucklose Wohngebäude und die Hafenanlagen prägen die wenig touristische Stadt.

Claudia Cardinale wurde hier geboren

Als La Goulette vor der Unabhängigkeit 1956 noch ein „Klein Sizilien“ war, als die Schauspielerin Claudia Cardinale hier geboren wurde, sah es anders aus: Überall sandfarbene Häuschen mit den typischen Holzfensterläden. Kleine Geschäfte und Kneipen.

Und eine Melange an Menschen: Italiener, Franzosen und Araber, Juden, Christen und Muslime. „Gemeinsame Feinde waren die Moskitos im Sommer, die Flöhe im Winter und der staubige Scirocco, der heiße Wind aus der Sahara“, zitiert Daniel Speck aus seinem Roman.

Foto: Thomas Reinhardt
Foto: Thomas Reinhardt © Thomas Reinhardt

Schlüsselszenen des Buches spielen immer beim Essen. Denn ein Klischee trifft auf Tunesier bis heute wirklich zu: ihre Gastfreundschaft. In dem, was auf den Tisch kommt, spiegelt sich gemeinsame Mittelmeergeschichte wider, ist Daniel Speck überzeugt.

Er zählt die Einflüsse aus dem Osmanischen, Andalusischen, aus Südfrankreich und eben Italien auf. Deshalb sind seine Freunde in Tunis nicht nur Tunesier, sondern Anwohner des Mittelmeeres im weitesten Sinne.

Ravioli und Käse nach Originalrezept

Um sie zu treffen, gehen wir in die Altstadt, die mittelalterliche Medina. Schmale, enge, überdachte Gassen münden in große Markthallen, wo Fische in Hülle und Fülle angeboten werden, Gemüse aller Sorten (auch im Winter) und orientalische Gewürze in großen Säcken in vielen bunten Farben. Wir schlängeln uns durch das Menschengewühl und finden Fadel, den Inhaber des kleinen Geschäfts Raviolis Mongelli.

Die hier verkauften Teigwaren – ein Euro fürs Kilo – haben sizilianische Prägung durch den früheren Besitzer Mongelli. Fadels Vater hat den Laden 1962 von ihm übernommen, samt der Raviolimaschine, und alles so belassen. Auch der Frischkäse Ricotta wird noch heute von Fadels Sohn nach dem alten Originalrezept hergestellt. Ebenso der typisch italienische Mozzarella. Das Geschäft läuft super.

Pasta wie früher: Bei Fadel gibt es Ravioli, Ricotta und Mozzarella.
Pasta wie früher: Bei Fadel gibt es Ravioli, Ricotta und Mozzarella. © Thomas Reinhardt

Auch am Stand von Zitronenhändler Hamza herrscht lautes Stimmengewirr. Hamzas Onkel baut die in der hiesigen Küche unentbehrlichen Zitronen in der Gegend der Touristenmetropole Hammamet an.

Der Händler erzählt, dass Tunesien das erste Land am Mittelmeer gewesen sein soll, wo diese Zitrusfrucht kultiviert wurde. Schon eine Stunde vor Markteröffnung baut er wie die anderen Händler seinen Stand auf, um alles perfekt zu drapieren. Die bis weit nach oben reichende Fülle ist erstaunlich. Die aufgestapelten Zitronenkisten machen den Stand schon von weitem erkennbar.

Nachfahre des letzten Königs

Doch nicht nur Lebensmittel kauft man in der Medina. Bei den Brüdern Ali und Yousef Chammakh in der Rue Sidi Ben Arous sind Teppiche, Lampen, Keramik, Bilder und weitere Antiquitäten zu erstehen. Das prall gefüllte Haus mit fünf Ebenen, gleich neben der Zitouna-Moschee, stammt aus dem 15. Jahrhundert.

Jeder, der hier durchgeht, fühlt sich unweigerlich in alte Zeiten zurückversetzt. Daniel Speck hat hier Anregungen für die Szenen im Zweiten Weltkrieg gefunden. Die Zeit der Besatzung durch die Wehrmacht, die im Hotel „Majestic“, nicht weit von der Medina, ihr Hauptquartier unterhielt.

Hotel mit Historie: Im „Majestic“ hatte die Wehrmacht ihr Hauptquartier.
Hotel mit Historie: Im „Majestic“ hatte die Wehrmacht ihr Hauptquartier. © Thomas Reinhardt

Hotelbesitzer Karim Bey ist einer der Freunde des Autors. „Den kennen Sie aus meinem Buch“, sagt Speck verschmitzt. Bey ist ein Nachfahre des letzten tunesischen Königs. Aufrecht und würdevoll sitzt er auf dem Sofa unter den historischen Fotos und Bildern, deren Geschichte in „Piccola Sicilia“ erzählt wird. Bey beschreibt den Angriff der Amerikaner auf das Hotel. Wie die Soldaten und Angestellten Schutz suchten.

Er zeigt uns den historischen Ballsaal, der noch originalgetreu erhalten ist. Die wahren Begebenheiten von damals werden im Roman aufgegriffen. Wir müssten nur die Augen schließen, um uns die damalige Zeit vorzustellen. Wie gefeiert und geschossen wurde. Architektonisch Belle epoque, aber menschlich tragisch.

So haben uns Daniel und seine Freunde ein Land näher gebracht, das wirklich mehr ist als Kamele, Datteln und Migranten.

Wer ist Daniel Speck?

Daniel Speck wurde 1969 in München geboren und schrieb die Romane „Bella Germania“ (verfilmt), „Piccola Sicilia“ und „Jaffa Road“. Jetzt hat er im S. Fischer Verlag den opulenten Bildband „Terra Mediterranea“ veröffentlicht. Der war für den ITB Book Award der Internationalen Tourismusbörse, die Anfang März in Berlin stattfand, nominiert.

In dieser kulinarischen Reise ums Mittelmeer mit Fotos von Gio Martorana entführt Daniel Speck neben Salina (Italien) und Betlehem auch nach Tunis. Anhand von Kochrezepten offenbart er Familiengeschichten, die Ausdruck einer über Jahrhunderte gewachsenen Tradition sind.

Daniel Speck erzählt zu grandiosen Fotos Episoden aus seinen Romanen, die alle am Mittelmeer spielen und in deren Schlüsselszenen immer gegessen wird. Anhand von Speisen schlägt er Brücken von Land zu Land, wirbt für Toleranz und Verständnis. „Terra Mediterranea“ ist ein besonderer Reiseführer für Gourmets und solche, die es werden wollen.

Autor Daniel Speck
Autor Daniel Speck © Andreas Reinhardt

Reiseservice

  • Anreise: Direktflug von Frankfurt nach Tunis und zurück ab etwa 200 Euro mit Tunisair.
  • Einreise: mit Reisepass
  • Unterkunft: In der Altstadt von Tunis: Gästehaus Dar Ben Gacem, ab 90 Euro/DZ inkl. Frühstück. Oder Hotel Majestic (4 Sterne): ab 54 Euro/EZ. Exklusiv: Maison dedine, Gästehaus in Sidi Bou Said, ausgezeichnet als bestes Luxushotel Afrikas, ab 257 Euro/DZ.
  • Gruppenreisen: z. B. Studiosus: 12 Tage Rundreise „Drehscheibe der Kulturen“, ab 2.195 Euro
  • Die Medina von Tunis gehört zum Weltkulturerbe und lässt sich gut individuell erkunden.
  • Die Recherche wurde unterstützt vom Tunesischen Fremdenverkehrsamt.