Trommelwirbel für Freitals Riesenbuche

Seit Wochen hat Andreas Roloff für diesen Auftritt geübt. Das gehört sich so. Schließlich spielt man nicht alle Tage für eine 280-Jährige. Sein Instrument steckt in einem großen eckigen Rucksack. "Sowas haben sie noch nie gesehen", sagt Roloff, indem er eine Holzkiste mit kreisrundem Loch ans Licht zieht. Nein, das ist kein Nistkasten für Eulen, sondern ein Schlagzeug. Trommelstöcke? Braucht er keine. Draufsetzen und loslegen, das ist alles. "Achtung, ich mach' jetzt Lärm."
Neue Messung verhilft dem Baum aufs Treppchen
Das Konzert findet in Freitals Heilsberger Park statt, einem Kulturdenkmal aus dem 18. Jahrhundert. Der Musikant ist Professor an der TU Dresden, Chef des Instituts für Forstbotanik und Forstzoologie in Tharandt. Dass Andreas Roloff hier seine Cajon, eine aus Lateinamerika stammende Kistentrommel, in Betrieb nimmt, hat mit dem Baum des Jahres 2022 zu tun: der Rotbuche. Vor ihm ragt eine der dicksten Buchen Deutschlands in den Himmel.

Offiziell rangiert die Freitaler Buche auf der Liste der Rekordbäume, geführt bei der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft, mit rund acht Metern Stammumfang auf Platz vier. Die Messung ist allerdings schon fast zwanzig Jahre her. Andreas Roloff hat vorige Woche noch einmal das Maßband angelegt und kam auf acht Meter fünfzig. Das wäre Platz drei. Dickere Bäume gibt es lediglich in der Prignitz und im Landkreis Rostock.
Die Jahresbaumkür soll der Allgemeinheit jeweils eine bestimmte Baumart näher bringen und deren Verbreitung fördern. Andreas Roloff baut den Baum des Jahres regelmäßig in seine Vorlesung zur Gehölzkunde ein. Und weil er ein musikalischer Mensch ist - er spielt Cello und Saxofon - führt er dabei stets ein Instrument aus dem Holz des Jahresbaums vor. "Das macht den Studenten Spaß", sagt er, "und mir auch."

Weil das nun schon seit 1995 so geht, hat der Wissenschaftler eine beachtliche Sammlung teils exotischer Musikalien angehäuft, die an seinem Dienstsitz im Tharandter Forstgarten schon fast einen Raum für sich beanspruchen. So besitzt er ein Alphorn aus Kiefer und einen Dudelsack aus Elsbeere, eine Trommel aus Eiche, ein Xylofon aus Robinie.
Sklaven trommeln auf leeren Transportkisten
Nun also auch eine Cajon. Es war das einzig brauchbare Instrument aus Buche - abgesehen von Klanghölzern für Kinder - das sich auftreiben ließ, sagt der Professor. Sklaven sollen die Cajon einst aus leeren Transportkisten entwickelt haben. Heute wird sie als Rhythmusinstrument vielseitig verwendet, in Rock, Blues, Weltmusik, im Flamenco, sogar in der Klassik.

Und solo, wie im Heilsberger Park. Mit Fingern und Handflächen schlägt Roloff auf die Front des Holzquaders, an der Kehrseite, durch die große Schallöffnung, dringen die Töne ins Freie, tiefe, druckvolle Bässe. Der Wissenschaftler ist überrascht. "Ich hätte nicht gedacht, dass es auch draußen so lautstark ist", sagt er. "Eine schöne Erfahrung."
Die Buche ist zum zweiten Mal Baum des Jahres. Ein Novum in der Geschichte der Jahresbäume, die 1989 mit der Stiel-Eiche begann. Schon 1990 folgte die Rotbuche. Andreas Roloff ist seit vielen Jahren Mitglied im Expertenrat, der die Jahresbäume wählt. Er war zunächst nicht dafür, einen Baum doppelt zu nominieren, ließ sich aber überzeugen. "Für die Buche ist es gut, im Focus zu stehen."

Nötig hätte das die "Herrscherin des Waldes" von Natur aus nicht. Es heißt, dass ohne menschliches Zutun zwei Drittel des deutschen Waldes Buchenwald wären. Andreas Roloff spricht sogar von bis zu 95 Prozent. Die Buche hat mehr Power, als viele glauben, sagt er. Sie wird auch den Klimawandel mitmachen. "Ich bin sehr sicher, dass die Buche damit klarkommt."
Bisher nur vier Prozent Buchenwald in Sachsen
Beim Waldumbau gehört die Buche zu den Hoffnungsträgern. Unter den sechs Millionen Bäumen, die 2021 im sächsischen Staatswald gepflanzt wurden, waren 1,7 Millionen Buchen. Erwachsener Buchenwald ist aber noch rar. Laut Sachsenforst machen Buchen bislang vier Prozent des sächsischen Waldes aus. Würde der Umbau wie bisher fortgesetzt, könnten daraus einmal dreißig Prozent werden.

Die Dürrejahre haben auch der Buche zugesetzt. Um Wasser zu sparen, lichtet sie die Kronen. Nur etwa ein Drittel der untersuchten Bäume war 2021 schadfrei, meldet der Waldzustandsbericht. Von einer flächigen Katastrophe wie bei Fichte oder Kiefer könne man aber nicht sprechen, sagt Forstprofessor Roloff. Er nimmt an, dass vor allem die jungen Bäume durch die Mangel-Erfahrung nun besser gewappnet sein werden für die Zukunft.
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Für die Buche im Heilsberger Park ist Wassermangel kein Thema. Ihre Wurzeln streben bis zur Weißeritz hinab, die dank der Talsperre im Hinterland nie austrocknet. Äste sind noch einige vorhanden, mit vielen Knospen, aus denen auch diesen Frühling Blätter sprießen werden, um dem Baum Nährstoffe zu liefern. Potenzial hat er also noch, sagt der Professor, für weitere fünfzig, vielleicht auch hundert Jahre.

Die Heilsberger Buche ist ein Naturdenkmal. Sie darf einen natürlichen Tod sterben. Die Buchen der Wirtschaftswälder hingegen sind ein gefragter Rohstofflieferant. Spitzenstämme erzielten neulich zur Wertholz-Auktion bei Sachsenforst im Schnitt einen Preis von 187 Euro je Kubikmeter. Im Vergleich zur Eiche mit 692 Euro ist das noch bescheiden. Selbst die Fichte war mit 222 Euro teurer.
Das Holz der Buche ist vor allem bei den Möbeltischlern beliebt. Bei Leuten wie Winfried Reuter. Er ist der Chef der Sitzmöbelwerkstätten Emil Reuter in Rabenau und hat immer einen Vorrat Buchenbohlen auf Lager. Daraus werden Zargen, Füße, Lehnen und Platten.
Buche ist hart und hat eine sehr homogene Oberfläche. "Sie lässt sich gut bearbeiten", sagt der Meister. Vorsehen muss man sich, wenn Feuchte ins Spiel kommt. Buche neigt dazu, sich zu verziehen und zu reißen. Wildes Holz sagt man dazu. "Das macht die Eiche nicht."
Über das Material entscheidet zum Teil auch die Mode. Gerade ist Eiche ziemlich angesagt. Und auch Birkenholz hat Winfried Reuter in Arbeit - dreißig Stühle im Chippendale-Stil. Die Buche, das ist klar, wird wiederkommen, für Stühle eben, wie sie im Buche stehen.