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Bahnfahren trotz Streiks in Sachsen: Geht doch

Die Gewerkschaft der Lokführer hat ihren dreitägigen Streik begonnen. Wer wagt sich trotzdem auf die Schiene? Eine Fahrt von Dresden nach Leipzig.

Von Johannes Frese
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Am Hauptbahnhof in Dresden war an diesem Werktag kaum Betrieb.
Am Hauptbahnhof in Dresden war an diesem Werktag kaum Betrieb. © Matthias Rietschel

Am Mittwochmorgen stehe ich an Gleis 5 im Bahnhof Dresden-Neustadt. Es ist der erste von drei Streiktagen, zu denen die Lokführergewerkschaft GDL aufgerufen hat. Die Bahn hatte noch versucht, den Streik juristisch zu stoppen. Vergeblich. Nun gilt ein Notfall-Fahrplan. Um 6:23 soll der RE50 nach Leipzig fahren. Darauf hoffen auch 20 andere Wartende mit mir am Gleis.

Am Vorabend und am Morgen der Abfahrt habe ich mehrfach geprüft, ob mein Zug fährt. Auf der Website der Deutschen Bahn ist zu lesen: „Erfahrungsgemäß hat dieser Zug eine hohe Auslastung.“ Ich bereite mich innerlich auf anderthalb Stunden Fahrt hinter beschlagenen Scheiben vor, eingeklemmt zwischen schlecht gelaunten Pendlern und überforderten Zugbegleitern.

Zwei kleine Lichter blitzen in der Dunkelheit hinter der erleuchteten Bahnhofshalle auf. Der Zug ist pünktlich, kaum Fahrgäste darin. Ich nehme in einem leeren Vierer Platz. Ein Zugbegleiter läuft durch den Wagen und ruft einem Kollegen über die Schulter zu: „Sind ja doch ein paar Leute da.“

Bahnstreik in Sachsen: Kein Streit zwischen Streikenden und Kollegen

Der Kollege ist gewerkschaftslos und hat sich freiwillig zum Dienst gemeldet, weil seine Fahrten heute ausfallen. Seinen Namen möchte er lieber nicht in der Zeitung lesen. Die Lokführerin sei bei der Gegengewerkschaft EVG. Zusammen halten sie den Notfall-Fahrplan aufrecht. Normalerweise sei es viel voller um die Uhrzeit, erzählt er, die meisten Pendler seien wohl aufs Auto umgestiegen oder gleich zu Hause geblieben.

Radebeul Ost, Coswig, Weinböhla - auch an den Zwischenhalten steigen nur wenige Menschen zu. Hauptsächlich Berufspendler und Schüler. Carolin und Aline, beide 17, steigen in Weinböhla ein. Normalerweise fahren sie bis Großenhain, heute nehmen sie ab Priestewitz einen Ersatzverkehr-Bus. Nach der Schule werde Carolins Großvater sie abholen.

07:05 Uhr, Riesa. Auf dem gegenüberliegenden Gleis wird ein Zug nach Chemnitz angezeigt, Abfahrt um 15:48 Uhr.

Mario Wend, 52, ist Zugführer im Fernverkehr der Deutschen Bahn und auf dem Weg nach Leipzig. Er springt heute im ICE nach Hamburg ein, „weil sie dort keine Leute kriegen.“ Wend ist Mitglied der EVG, er unterstützt die Forderungen der GDL nicht. „Zumindest nicht in diesem Maße“, ergänzt er. Es gebe aber keinen Streit zwischen den Streikenden und ihren arbeitenden Kollegen.

Im Hintergrund hupt die Bauerndemo

Felix Meyer ist zu dieser frühen Stunde bereits auf dem Heimweg. Der 38-jährige Feuerwehrmann hat einen 24-Stunden-Dienst in Nünchritz hinter sich und fährt zurück nach Trepse. Auf dem kleinen Tisch neben ihm steht eine Thermosflasche mit Kaffee. Für das neue Jahr hat er sich vorgenommen, das Auto öfter stehen lassen und mit der Bahn zur Arbeit zu fahren. Heute ist sein zweiter Tag als Pendler. Er nimmt den Streik mit Humor: „Freunde, da will man einmal mit der Bahn fahren!“

Der Zugbegleiter kommt wieder an meinem Sitz vorbei. Eine inzwischen zugestiegene Frau mit buntem Stirnband will von ihm wissen, ob die Züge morgen zur selben Zeit fahren.

„Der Fahrplan für morgen steht heute Abend fest. Außer es wird jemand krank.“

„Beim Streiken erkältet, oder wie?“

„Nee, es gibt ja noch Personal, das arbeitet. Irgendjemand muss die Fahne doch hochhalten.“

Bei der Rückkehr nach Dresden ist lautes Hupen zu hören. Neben den Gleisen fahren Traktoren in langen Kolonnen. Ein weiterer Protesttag in Sachsen.