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Zugunglück in Griechenland: Zahl der Todesopfer auf 57 gestiegen

Die Züge rasten in der Dunkelheit frontal aufeinander zu, die Insassen der ersten Waggons hatten keine Chance - Griechenland erlebt das schwerste Zugunglück seiner Geschichte.

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Kräne heben Trümmer nach der Kollision zweier Züge von den Gleisen. Nach dem schweren Zugunglück ist die Opferzahl weiter gestiegen.
Kräne heben Trümmer nach der Kollision zweier Züge von den Gleisen. Nach dem schweren Zugunglück ist die Opferzahl weiter gestiegen. © Vaggelis Kousioras/AP/dpa

Athen. Beim schweren Zugunglück in Griechenland sind mindestens 57 Menschen ums Leben gekommen. Dies teilte am Freitag die Feuerwehr mit. Es werden jedoch noch zahlreiche Menschen vermisst. Aus diesem Grund suchen die Rettungskräfte in den Trümmern weiter, wie das Staatsfernsehen (ERT) berichtete. Dutzende weitere Menschen wurden bei dem Unglück zum Teil lebensgefährlich verletzt.

Aus Protest gegen den maroden Zustand der griechischen Bahnen sind die Eisenbahner landesweit in einen 24-stündigen Streik getreten. Auch zwei der drei U-Bahnlinien von Athen werden bestreikt, wie Medien berichteten.

Ein Personenzug war in der Nacht zum Mittwoch auf dem Weg von Athen in die nordgriechische Hafenstadt Thessaloniki mit einem Güterzug zusammengeprallt. Die ersten zwei Waggons des Personenzugs wurden völlig zerstört und brannten anschließend aus - die Leichen können nur per DNA-Abgleich identifiziert werden. Die Zahl der Toten dürfte deshalb noch weiter steigen, hieß es bei den Rettungskräften.

Verkehrsminister zurückgetreten

Beide Züge waren in gegensätzlicher Richtung auf derselben Spur unterwegs, obwohl die Strecke zweigleisig ausgebaut ist. Berichten zufolge funktionierte das elektronische Leitsystem auf der Strecke nicht, weshalb die Bahnhofsvorsteher die Züge koordinierten. Der Verantwortliche am Bahnhof der Stadt Larisa soll am Dienstagabend den entscheidenden Fehler gemacht und den Personenzug auf das falsche Gleis geleitet haben. Der Mann wurde festgenommen, weitere andere Verantwortliche und Techniker werden befragt. Noch stehen die Ermittlungen allerdings am Anfang, auch andere Ursachen wie etwa weitere technische Probleme werden nicht ausgeschlossen.

Der griechische Verkehrsminister Kostas Karamanlis trat noch am Mittwochnachmittag nach einem Besuch der Unglücksstelle zurück. Wenn so etwas Tragisches passiere, sei es nicht möglich, so weiterzumachen als sei nichts geschehen, ließ er mitteilen. Er fühle sich verpflichtet, die Verantwortung für die Fehler des griechischen Staates zu übernehmen, sagte Karamanlis und drückte den Familien der Opfer nochmals sein Mitleid aus.

Feuerwehrleute arbeiten nach einer Kollision zweier Züge am Ort des Zusammenstoßes eines Güterzugs mit einem Personenzug.
Feuerwehrleute arbeiten nach einer Kollision zweier Züge am Ort des Zusammenstoßes eines Güterzugs mit einem Personenzug. © George Kidonas/InTime News/AP/dpa

Weltweit nahmen die Menschen Anteil an dem Unglück. Neben EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprachen auch der Papst sowie viele europäische Staats- und Regierungschefs ihr Beileid aus. "Wir trauern mit unseren griechischen Freunden und denken an die Opfer und deren Angehörige. Wir wünschen Euch viel Kraft in diesen schweren Stunden", schrieb Bundeskanzler Olaf Scholz. Auch der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan kondolierte.

Sichtlich getroffen versprach Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis am Mittag an der Unfallstelle die vollständige Aufklärung der Ursache des Unglücks. Es sei eine "unaussprechliche Tragödie", sagte er. Zunächst sei nun die Hauptaufgabe, die Verwundeten zu behandeln und die Leichen zu identifizieren. Man werde alles tun, damit so etwas nie wieder passiere.

Für Griechenland, das nur ein kleines Schienennetz hat, ist es das schwerste Eisenbahnunglück der Geschichte, vergleichbar mit dem furchtbaren Zugunglück 1998 im deutschen Eschede, bei dem 101 Menschen ums Leben kamen.

Beim Zusammenstoß sind in der Nacht zum Mittwoch in Mittelgriechenland viele Menschen ums Leben gekommen.
Beim Zusammenstoß sind in der Nacht zum Mittwoch in Mittelgriechenland viele Menschen ums Leben gekommen. © Vaggelis Kousioras/AP

Der 59 Jahre alte Bahnhofsvorsteher, der am Dienstagabend am Bahnhof von Larisa verantwortlich war, wurde als mutmaßlicher Unfallverursacher unter anderem wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt, berichtete die Tageszeitung "Kathimerini". Der Personenzug könnte dieser Theorie zufolge schon von Larisa aus auf die falsche Spur geschickt worden sein. Mangels Leitsystem war zunächst auch der genaue Unfallort nicht auszumachen, berichtete der Sender ERT - die Rettungskräfte hätten die Stelle erst suchen müssen. Berichten zufolge soll es Probleme mit der Stromversorgung gegeben haben - auch dies wird untersucht.

Insgesamt mehr als 350 Menschen vom Unfall betroffen

Die Empörung der Menschen in Griechenland ist jetzt schon groß: Wie ist es möglich, dass der Intercity auf demselben Schienenstrang wie der entgegenkommende Güterzug unterwegs war, obwohl die Strecke zweispurig ausgebaut ist, fragt man sich. In Larisa machten sich nach einem Aufruf des griechischen Roten Kreuzes und der umliegenden Krankenhäuser viele Menschen zur Blutspende auf, um ihre Unterstützung für die Verletzten zu zeigen.

Am Zielbahnhof in Thessaloniki versammelten sich kurz nach Bekanntwerden des Unfalls noch in der Nacht verzweifelte Angehörige, Telefon-Hotlines wurden eingerichtet. Rund 200 Passagiere, die nicht oder nur leicht verletzt wurden, wurden vom Unglücksort mit Bussen in die 150 Kilometer weit entfernte Stadt gebracht. Manche Angehörige aber warteten dort vergebens.

Bei vielen der Passagiere soll es sich um junge Leute gehandelt haben, Studierende, die nach einem verlängerten Wochenende wegen eines Feiertags nun auf dem Weg zur Universität von Thessaloniki waren. Insgesamt sollen 354 Menschen von dem Unfall betroffen gewesen sein: 342 Passagiere und zehn Bahnmitarbeiter im Personenzug von Athen nach Thessaloniki sowie zwei Lokführer im Güterzug.

"Ich dachte, ich würde sterben", sagte ein Passagier der Tageszeitung "Kathimerini". Der junge Mann saß nach eigenen Angaben in einem der hinteren Waggons. Er habe am Boden Schutz gesucht, Menschen hätten geschrien und geweint. Andere Passagiere berichteten, sie hätten die Fenster eingedrückt und sich im Dunkeln aus dem halb umgekippten Waggon retten können.

Trotz der Modernisierung mit neuen Brücken und Tunneln und zwei Gleisen entlang der rund 500 Kilometer langen Strecke Athen-Thessaloniki habe es schon länger erhebliche Probleme bei der elektrischen Koordination gegeben, hieß es im Staatsfernsehen. "Wir fahren wie in alten Zeiten von einem Streckenteil zum anderen per Funk. Die Stationsleiter geben uns grünes Licht", sagte Kostas Genidounias, Präsident der Gewerkschaft der Lokführer. Die Gewerkschaft habe den Zustand schon wiederholt beanstandet. (dpa)